«Ich verstehe das einfach nicht, warum freut ihr euch so, dass Putin seine Truppen hierhin schickt? Was habt Ihr davon? Nicht mal die Russen stehen so hinter Putin.» Es ist nicht nur die chinesische Staatsmacht, mit der sich Jixian Wang in seinen Videos anlegt, sondern auch mit vielen seiner Landsleute. In sozialen Medien wird der 37-Jährige heftig attackiert, doch schweigen will er deshalb nicht.
Anfang des Jahres zog der Programmierer aus China nach Odessa. Nach dem russischen Überfall auf sein Gastland fing Wang an, Videos aus der Hafenstadt in chinesischen sozialen Medien zu posten. Was Wang dort berichtet, passt so gar nicht zu Darstellungen des Krieges in den chinesischen Staatsmedien. Die halten sich an die russischen Propagandalügen von der «militärischen Spezialoperation» zur «Entnazifizierung» der Ukraine. Berichte über russische Kriegsgräuel in Butscha, Mariupol und anderen Orten liefern sie nicht.
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Ganz anders Wang. In seinen Videos berichtet er meist vom Alltagsleben in Odessa. Die Stadt am Schwarzen Meer steht nicht unter russischer Besatzung, doch die Bedrohung ist allgegenwärtig. Regelmässig schrillt der Luftalarm, immer wieder sind Bomben und Raketen nahe der Stadt eingeschlagen. Wer Wangs Begegnungen mit den Menschen in der Stadt sieht, wird kaum glauben können, dass diese von einer nationalistischen Diktatur befreit werden müssen, wie es die russische Seite behauptet und wie es in China weiterverbreitet wird.
Doch Wang geht in seinen Berichten noch weiter. Er zeigt Bilder von zerstörten russischen Panzern, von schlecht ausgerüsteten oder gefangenen russischen Soldaten – und widerspricht damit der offiziellen chinesischen Erzählung, wonach die Invasion ganz im Sinne Moskaus verlaufe. Anfangs liessen die chinesischen Zensoren Wang machen, doch spätestens seit Ende März sieht sich der Blogger massivem Druck ausgesetzt.
Am 28. März postete er ein Video, in dem er von Vergewaltigungen durch russische Soldaten in Butscha spricht – und ganz direkt die Führung in Peking kritisiert. Daraufhin sperrten nicht nur die chinesischen Zensoren Wangs Konto auf der Plattform WeChat, auch Youtube liess Wang keine Videos mehr hochladen. Begründung: Er teile dort «gewalttätige Inhalte».
«Ich finde das unerklärlich», sagte Wang «Radio Free Asia». «Wo ist denn die Gewalt? Ich habe in dem Video überhaupt keine Bilder von Gewalt gezeigt.»
Seinen Youtube-Kanal mit den mehr als 116'000 Abonnenten hat Wang nach einer Beschwerde inzwischen wiederbekommen, doch auch die Anfeindungen werden schlimmer – nicht nur vonseiten der Regierung in Peking.
In Chinas sozialen Medien wird Wang häufig als Verräter beschimpft, manche Nutzer warnen ihn vor Kritik an der chinesischen Führung, andere wünsche ihm «von den Tschetschenen gefangen zu werden». Seine Familie fürchtet, dass Wang in China Repressalien zu erwarten hat, sollte er in sein Heimatland zurückkehren. Aufhören will er dennoch nicht.
«Wenn ein autoritärer Staat dich einschüchtern will, musst du so gut es geht zurückschlagen», so Wang. «Panik kann ansteckend sein und sich wie ein Virus verbreiten. Ich begegne den Lügen und der Panik, indem ich von der Front berichte.» (t-online,mk )