Gerade erst hat Donald Trump die Zölle auf chinesische Importe in die USA auf 145 Prozent erhöht und damit den Handelskrieg zwischen den beiden Ländern weiter eskaliert. Es ist schon jetzt die dramatischste Auseinandersetzung dieser Art in unserer Generation – wahrscheinlich sogar die global folgenreichste der modernen Geschichte. Die Volksrepublik schlägt mit einer Reihe von Massnahmen zurück. Nichts deutet derzeit darauf hin, dass sie nachgeben könnte.
Viel steht auf dem Spiel. Nicht nur ein jährliches Handelsvolumen von fast 700 Milliarden Dollar. Nicht nur die geschätzten 1,4 Billionen Dollar chinesischer Portfolioinvestitionen in den USA. Es geht auch um die bilaterale Kooperation in Wissenschaft und Bildung. So haben inzwischen die US-amerikanischen National Institutes of Health (NIH), die grösste Einrichtung zur Forschungsförderung weltweit, den Datenzugang für chinesische Wissenschaftler gesperrt.
Pessimisten erwarten nun den sofortigen Handelsstopp zwischen den zwei grössten Volkswirtschaften der Welt. Optimisten hoffen auf einen im Hintergrund ausgehandelten Deal zwischen den beiden. Am Ende mag es auf irgendetwas dazwischen hinauslaufen.
Obwohl der Anteil der Exporte aus China in die USA im vergangenen Jahr nur rund 2,76 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachte, würde eine plötzliche Entkopplung von den USA die sich abschwächende Ökonomie in China überproportional treffen. Trump will nicht weniger, als die gesamte Weltwirtschaft umzugestalten und Chinas Bedeutung für die globalen Lieferketten zu schwächen.
Chinas Führung ist sich dessen wohl bewusst und will die Herausforderung nicht nur annehmen, sondern selbst gestaltend eingreifen. Allerdings hat es derzeit weder die Mittel noch die Absicht, die globale Rolle der USA in den vorhandenen Strukturen zu übernehmen.
Und wie gesagt, bislang weicht China nicht zurück. Aus dem Weissen Haus hiess es, man warte noch auf den Versöhnungsanruf aus Peking. Stattdessen gab es Vergeltung: Dazu gehören das Ende der Kooperation in der Fentanyl-Frage, weitere Restriktionen für den Export von Sojabohnen, Sorghum und anderen Produkten in die USA, Gegenzölle beim Austausch von Dienstleistungen, die Beschränkung oder Streichung von Filmexporten nach China, Untersuchungen zu Einnahmen aus geistigem Eigentum bei einigen US-Firmen und manches mehr. Am 11. April kündigte China seinerseits Zölle in Höhe von 125 Prozent auf alle in den USA hergestellten Produkte an. Einem Dutzend US-amerikanischer Firmen hat die Regierung das Geschäft mit China komplett untersagt. Das sind die härtesten Massnahmen, die China seit seinem Wiedereintritt in den Weltmarkt in den 1980er-Jahren ergriffen hat.
Allerdings wird das Land als Exportwirtschaft in diesem Streit selbst schwere Schäden davontragen. Ein gutes Beispiel ist die arbeitsintensive Textilindustrie. Ein Drittel der chinesischen Textilexporte ging im vergangenen Jahr in die USA. Mehr als zehn Millionen Menschen arbeiten in diesem Sektor und den damit verbundenen Bereichen. Die Textilindustrie ist ein wichtiger Motor für die Logistik, für die Chemieindustrie oder den Maschinenbau. Ähnliches gilt etwa für chinesisches Spielzeug, Spielekonsolen oder Laptops, die alle in den USA hohe Marktanteile haben und der chinesischen Wirtschaft Technologieinnovationen und Vitalität bringen.
Ein sehr schwerwiegender langfristiger Effekt von Trumps Zöllen wäre der weitere Abfluss ausländischer Direktinvestitionen aus der chinesischen Fertigungsindustrie. Das könnte eine enorme Schwächung von Chinas Position als Fertigungszentrum der Welt bedeuten, da macht man sich im Land sehr zu Recht grosse Sorgen. Bevor Chinas Vergeltungszölle verkündet wurden, hatte das chinesische Handelsministerium mehr als 20 US-Unternehmen zu einem Treffen am Runden Tisch eingeladen, darunter Tesla, GE HealthCare und Medtronics – um sie davon zu überzeugen, im Land zu bleiben. Doch alle internationalen Unternehmen in China werden ihre Made-in-China-Produkte reduzieren müssen, wenn sie in die USA exportieren wollen, und sogar die chinesischen Hersteller werden ihre Lieferketten global diversifizieren müssen.
Wie der Rest der Welt auf dieses «Lasst China nicht mehr mitspielen»-Spiel reagiert, ist derzeit unklar. Ein Bericht von Bloomberg hat Trumps Zoll-Blitzkrieg treffend als Gehorsamstest beschrieben, der die Länder in ein «Team Mitmacher» und ein «Team Widerstand» spaltet. Chinas Führung umwirbt ihrerseits die Trotzigen, hat es aber im Moment nicht leicht, Verbündete zu finden, obwohl niemand glücklich ist mit der wahnsinnigen Politik des US-Präsidenten. Australien hat Chinas Angebot, einander in Sachen Trump-Zölle «die Hände zu reichen», zurückgewiesen. Und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat in einem Telefonat mit Premier Li Qiang die Besorgnis der EU zum Ausdruck gebracht, dass China den europäischen Markt mit Billigprodukten fluten könnte.
Eine Hoffnung gibt es immerhin für die Führung der herrschenden Kommunistischen Partei bei all dem Druck von aussen: Ihre Regierung erreicht derzeit die höchsten Zustimmungswerte seit dem Ende der inhumanen Massnahmen zur Pandemiekontrolle 2022. Selbst die Ökonomen und Investoren, die Xi Jinpings Wirtschaftspolitik seit Jahren kritisieren, unterstützen jetzt die harte Haltung im Zollstreit.
Als etwa die chinesische Zentralbank einen Stabilisierungsfonds auflegte, um gemeinsam mit staatseigenen Fonds den Aktienmarkt zu stabilisieren, beteiligten sich viele private Investoren mit ihren Fonds. Sie sind vom chinesischen Aktienmarkt der vergangenen Jahre bitter enttäuscht, und sie wissen auch, dass diese Unterstützung ihnen keinen Profit bringen wird, dennoch leisten sie ihren Beitrag. Im Augenblick sieht es so auf dem chinesischen Aktienmarkt immerhin nicht allzu schlimm aus.
Viele Chinesinnen und Chinesen posten derweil in den sozialen Medien gerade den Spruch «Jede Generation hat ihre Schlacht von Shangganling» – in Anspielung auf eines der brutalsten Gefechte des Koreakriegs in den 1950er-Jahren. Was sie meinen: dass jede Generation ihre eigenen Nöte zu ertragen, Schlachten zu schlagen und Opfer zu erbringen hat. Die häufigsten Kommentare zu jeder neuen Nachricht im Zollkrieg lauten denn auch in etwa so: «Niemals zurückweichen!», «Ich habe meine Kindheit in Armut überlebt und immer nur Porridge gegessen. Wenn es sein muss, dann eben wieder», «Wir sind eine grosse Nation, und wir können das überleben!», «Unterstützt die Regierung!» Von vielen Seiten gibt es auch Trost für die kleinen und mittelgrossen Unternehmer, deren Geschäfte unter den Zöllen leiden: «Ich verstehe deine Notlage!», «Für unser Land – lass uns durch diesen Sturm segeln». Und so weiter.
Was immer Xi Jinping mit seiner Politik in den vergangenen Jahren auch angerichtet hat – Donald Trump hat ihm allein dadurch schon geholfen, dass er einfach ein noch schädlicherer Grossmachtpräsident ist.
Abgesehen von nationalistischen Gefühlen ist den betroffenen chinesischen Geschäftsleuten und Unternehmern klar, dass das alte System zerbrochen ist. Die sozialen Medien in China sind voll mit Kurzvideos von chinesischen Herstellern, die über den Verlust von Klienten und Verträgen klagen und befürchten, ihre Unternehmen liquidieren zu müssen. Doch viele von ihnen sind auch auf der Suche nach Optionen. Zwar hat die Regierung ihnen zugesagt, bei der Suche nach heimischen Märkten behilflich zu sein, aber sie wissen, dass das nicht sonderlich realistisch ist. Der chinesische Markt ist gesättigt, der Wettbewerb ist auf allen Gebieten brutal, während die Konsumkraft der normalen Chinesinnen und Chinesen sinkt.
Ein Repräsentant der Wirtschaft aus Wenzhou, einem Zentrum der Fertigungsindustrie im Osten Chinas, meinte zu mir: «Ja, wir bekommen eine Menge Druck, aber viele unserer Fabriken haben sich auf die Situation vorbereitet und Filialen auf der ganzen Welt eröffnet, von Europa zum Nahen Osten bis Südamerika. Vielleicht werden wir unsere Märkte an diesen Orten weiter ausbauen.» Und er fügte hinzu: «Manche verkaufen weiterhin Konsumgüter via Amazon direkt in die USA, sie verdoppeln einfach die Preise und verkaufen weiter.»
Und weitere Unternehmen werden versuchen, Fabriken in Drittländern zu eröffnen und zusätzliche Märkte zu erkunden. Das würde dazu führen, dass mehr Kapital China verlässt. In der Folge würde der Immobilienmarkt weiter geschwächt – immer noch eine Säule der chinesischen Wirtschaft.
Um diese Jahrhundertherausforderung zu meistern, hat Chinas Führung zwei Möglichkeiten. Eine besteht darin, eine grosse Reform zu beginnen und die Kluft zwischen Arm und Reich zu vermindern. Damit würden die Konsumkraft der Menschen und die heimischen Märkte gestärkt. Die andere Möglichkeit wäre, Trumps Strategie zu übernehmen, die Wut der Öffentlichkeit auf einen äusseren Feind zu richten. So oder so liegt eine sehr, sehr schwierige Wegstrecke vor uns.
Dieser Artikel wurde zuerst auf Zeit Online veröffentlicht. Watson hat eventuell Überschriften und Zwischenüberschriften verändert. Hier geht’s zum Original.
Ich denke die US Industrie ist stärker abhängig von chinesischen Rohstoffen und Komponenten als ihnen gut tut.
Zusammen mit den US-Wertpapieren in Chinas Besitz haben sie die USA an den E***n.
Ich denke China hat die besseren Karten und für uns ist es auch nicht gut wenn China so abrupt heruntergefahren würde.