Die USA sind dem Rest der Welt einen Schritt voraus. Schon zu Jahresbeginn ist in der grössten Volkswirtschaft eine Mindeststeuer für Unternehmen in der Höhe von 15 Prozent in Kraft getreten. Damit will die amerikanische Regierung der Steueroptimierung von Grosskonzernen den Riegel schieben und zu mehr Fairness beitragen.
Für Unruhe in der Geschäftswelt sorgt aber, dass diese neue US-Mindeststeuer mit dem Modell der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), über deren Umsetzung die Schweiz am 18. Juni abstimmt, nur in Grundzügen vergleichbar ist.
Die Details, in aller Kürze: Von der neuen US-Mindeststeuer sind Firmen betroffen, die im Durchschnitt der vergangenen drei Jahre einen jährlichen Profit von umgerechnet mindestens 911.3 Millionen Schweizer Franken erwirtschafteten und dem nationalen Fiskus IRS (Internal Revenue Service) bisher weniger als 15 Prozent ihres Vorsteuergewinns ablieferten. (Im OECD-Modell liegt dieser Schwellenwert bei 750 Millionen Euro oder umgerechnet ungefähr 730 Millionen Schweizer Franken.)
Für Konzerne, deren Hauptsitz sich im Ausland befindet - zum Beispiel in der Schweiz -, kommt noch eine weitere Regel hinzu: Sie fallen nur unter die US-Mindeststeuer, wenn die amerikanischen Tochterfirmen im Durchschnitt der vergangenen drei Jahre mindestens 100 Millionen Dollar (ca. 91 Millionen Schweizer Franken) Nettogewinn auswiesen.
Weil das amerikanische Steuerrecht kreativen Buchhalterinnen und Buchhaltern viel Spielraum überlässt, sind Prognosen über die konkreten Auswirkungen der neuen Mindeststeuer schwierig. In einer Studie der University of North Carolina at Chapel Hill aus dem vergangenen September ist nachzulesen, dass bloss 78 börsenkotierte US-Unternehmen mit einer Steuererhöhung in den USA rechnen müssten. Die Zusatzeinnahmen würden vollumfänglich in die Bundeskasse fliessen.
Ausländische Unternehmen, die in der grössten Volkswirtschaft tätig sind, wurden von den Studienautoren aus Chapel Hill nicht berücksichtigt. Ein Blick auf eine Liste der 2000 grössten Firmen der Welt zeigt aber, dass bloss 21 Schweizer Firmen im vorigen Jahr einen Profit von mehr als 911.3 Millionen Franken (oder 1 Milliarde US-Dollar) erwirtschafteten.
In dieser illustren Riege befinden sich die üblichen Kandidaten wie Nestlé, Novartis, Roche und die Zurich Insurance Group. Aus den jeweiligen Jahresberichten geht allerdings nicht hervor, wie viel Geld diese Konzerne bisher in den USA erwirtschafteten und wie hoch sie besteuert wurden.
Knifflig ist auch die Antwort auf die Frage, wie die beiden Steuersysteme miteinander vereinbart werden können, damit amerikanische Unternehmen in den USA und in Europa nicht unterschiedlich angefasst werden. Denn dies würde dem eigentlichen Ziel der OECD-Initiative widersprechen, juristische Personen in den wichtigsten Industrienationen endlich gleich zu behandeln.
Die OECD verweist auf Ausführungsbestimmungen zur Säule 2 ihres Modells, aus denen sich auch ableiten lässt, dass US-Firmen zumindest einen Teil ihrer ausländischen Steuerbelastung mit der inländischen verrechnen können.
Dabei handelt es sich allerdings gemäss Beobachtern nur um eine Übergangslösung für die Jahre 2024 und 2025. In spätestens zwei Jahren steht dem amerikanischen Parlament also eine Diskussion über die OECD-Regeln ins Haus.
Der Zeitpunkt ist nicht zufällig gewählt: Wichtige Pfeiler der 2017 unter Präsident Donald Trump verabschiedeten Steuerreform laufen Ende 2025 aus; falls Repräsentantenhaus und Senat nicht reagieren, würden automatisch wieder die alten, höheren Steuerfüsse in Kraft treten. Eine Grundsatzdebatte über Steuerfragen, inklusive der Unternehmensbesteuerung, drängte sich also auf.
Die Republikaner allerdings, die zumindest bis Anfang 2025 die Mehrheit im Repräsentantenhaus stellen, zeigen sich skeptisch. So will der Abgeordnete Jason Smith, ein führender Finanzpolitiker, nichts von einer Übernahme der OECD-Ideen wissen.
Bereits kündigte der republikanische Volksvertreter «Gegenmassnahmen» an, um US-Firmen vor ausländischen Steuervögten zu beschützen. Unterstützung erhält er dabei von multinationalen Firmen, deren Buchhalter verzweifelt versuchen, sich im Gestrüpp der neuen nationalen und internationalen Regeln zurechtzufinden.
Die Demokraten wiederum, die vorderhand im Senat den Ton angeben, wirken richtungslos. Eigentlich ist die Forderung, dass Grosskonzerne wie Amazon.com zur Kasse gebeten werden sollten, bei Wählerinnen und Wählern beliebt. Im Senat scheint aber ein energischeres Vorgehen gegen steueroptimierende Unternehmen nicht mehrheitsfähig zu sein.
So scheiterte zu Beginn von Präsident Joe Bidens Amtszeit der Versuch, die OECD-Reform ins nationale Recht zu übernehmen. Zentristische Abgeordnete befürchten, als wirtschaftsfeindlich beschimpft zu werden, sollten sie die Steuerpläne einer Organisation unterstützen, die ihren Hauptsitz in Frankreich hat. (aargauerzeitung.ch)