Vier Tage in der Woche arbeiten, drei Tage pausieren – und trotzdem 100 Prozent des Lohnes erhalten: Für viele klingt das zu gut, um wahr zu sein. Und trotzdem ist die 4-Tage-Woche seit einiger Zeit auf dem Vormarsch.
Die Idee begeistert viele, andere wiederum sind noch überhaupt nicht überzeugt. Zurzeit werden immer neue Daten und Ergebnisse gesammelt – obschon das Thema bei der Wirtschaftselite zumeist als nicht umsetzbar oder «realitätsfern» galt.
Ungeachtet der Bedenken haben sich in den letzten Jahren zahlreiche Staaten und Unternehmen daran gemacht, sich eingehend mit der Idee auseinanderzusetzen. In Island ist die 4-Tage-Woche bereits für mehr als 80 Prozent der Angestellten Realität. Dies, nachdem man eine deutlich positive Bilanz aus der dreijährigen Testphase gezogen hatte.
Die Non-Profit-Organisation 4 Day Week Global hat weltweit und immer mit lokaler Unterstützung bereits einige Pilotstudien zur 4-Tage-Woche geplant, durchgeführt und analysiert. (Mehr zu den Ergebnissen dieser Studien unter Welche Länder haben die 4-Tage-Woche schon getestet?)
Nun beginnt 4 Day Week Global auch in der Schweiz mit einem Experiment: In Zusammenarbeit mit dem Zürcher Beratungsunternehmen Hailperin und der Berner Fachhochschule für Wirtschaft (BFH) startet die erste Pilotstudie noch im laufenden Jahr. Erste Unternehmen hätten bereits ihr Interesse bekundet, bei der Studie dabei zu sein, meldet Veit Hailperin, Country Manager für die Schweiz von 4 Day Week Global.
In einer ersten Phase erhalten die teilnehmenden Unternehmen diverse Werkzeuge, Metriken und Informationen und werden von Expertinnen und Experten der Hailperin Beratung unterstützt. Die Unternehmen führen dann während sechs Monaten die 4-Tage-Woche ein, wobei sie von Forschenden des Instituts New Work der Berner Fachhochschule Wirtschaft begleitet werden. Die 4-Tage-Woche wird dabei als Arbeitszeitverkürzung bei gleichbleibendem Lohn verstanden.
Die 4-Tage-Woche will die gesamte Arbeitszeit, die in einer Volkswirtschaft geleistet wird, statt auf fünf auf vier Tage pro Woche aufteilen.
Theoretisch gibt es dazu zwei Möglichkeiten: Entweder wird die gleiche Anzahl an Arbeitsstunden wie bisher (40 resp. 42 Stunden) auf vier Tage aufgeteilt. Das hätte längere Arbeitstage zur Folge. Oder die geleisteten Stunden werden reduziert (z.B. auf 35 Stunden pro Woche) und auf vier Tage verteilt – also: gleich lange Arbeitstage bei einem Tag weniger.
Vereinzelt steht auch eine dritte Möglichkeit zur Diskussion, wobei lediglich die wöchentlichen Arbeitsstunden reduziert werden, diese aber auf nach wie vor fünf Tage aufgeteilt werden können.
Wichtig ist bei allen Varianten: Der Lohn bleibt gleich wie vorher. Hier kommt das sogenannte 100-80-100-Modell zum Tragen, das auch explizit im Pilotprojekt in Grossbritannien angewandt werden soll: Es gibt 100 Prozent des Gehalts für 80 Prozent der bisher gearbeiteten Zeit, dafür wird trotzdem 100 Prozent Produktivität erwartet.
Die grössten Vorteile einer kürzeren Arbeitswoche erhofft man sich durch höhere Zufriedenheit und eine bessere Gesundheit der Arbeitnehmenden.
Ausserdem wird erwartet, dass – zumindest in einigen Branchen – die Produktivität steigt. Dies unter anderem, weil Angestellte bei der Arbeit weniger Zeit damit verbringen würden, sich nicht-arbeitsbezogenen Dingen zu widmen. So könnte die Effizienz erhöht werden. Dazu passt, dass Arbeitspsychologen argumentieren, die meisten Menschen könnten sich nicht länger als fünf Stunden am Tag richtig konzentrieren.
Hinzu kommen weitere ökonomische Gründe aus Sicht der Arbeitgeber: So kann das Angebot einer 4-Tage-Woche ein wichtiges Mittel im Kampf um Arbeitskräfte sein. Aufgrund des Fachkräftemangels gilt es als Unternehmen, diese möglichst an sich zu binden – und dies funktioniert längst nicht mehr nur über den Lohn. Insbesondere das Versprechen einer guten Work-Life-Balance kann einen Arbeitgeber heute attraktiv machen.
Dazu gibt es ökologische Gründe für eine 4-Tage-Woche: weniger Pendlerverkehr, zum Beispiel. Angestellte könnten ausserdem mehr Zeit haben, selber zu kochen (was den Take-Away-Abfall vermindern würde). Ob allgemein in den Büros und Fabriken weniger Energieaufwand anfällt, hängt davon ab, ob eine 4-Tage-Woche auch eine reduzierte Produktion zur Folge hätte.
Eine 4-Tage-Woche könnte nicht zuletzt dazu beitragen, das geschlechtsspezifische Lohngefälle zu entschärfen. Die Denkfabrik Women's Budget Group (WBG) kam dazu zum Schluss, dass weniger Tage bezahlter Arbeit zu einem besseren Gleichgewicht zwischen dem Anteil von Männern und Frauen an unbezahlter Betreuungsarbeit, etwa für Kinder oder andere abhängige Personen, führen könnte.
Von Gegnern der 4-Tage-Woche werden hohe Kosten befürchtet. Dies primär dann, wenn die Produktivität nicht auf demselben Niveau gehalten werden kann.
Eine Ablehnung der 4-Tage-Woche wird oft auch mit dem grassierenden Fachkräftemangel begründet, der durch ein solches Modell weiter verschärft würde, so das Argument. Werden pro Arbeitnehmenden weniger Stunden gearbeitet, müssten demnach noch mehr Arbeitskräfte gefunden werden, um die fehlenden Stunden zu decken.
Ausserdem wird argumentiert, dass nicht alle Branchen ihre Arbeitszeit verkürzen und trotzdem denselben Output generieren könnten. Ist das der Fall, könnte eine 4-Tage-Woche bei gleichem Lohn zu Ungleichheiten zwischen den Branchen führen.
The benefits of the 4-day workweek would need to be distributed equitably – not only to knowledge workers, but production line workers, manufacturers, truck drivers, argues @jonasprising, CEO of @ManpowerGroup.
— World Economic Forum (@wef) May 25, 2022
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Zuletzt besteht die Möglichkeit, dass sich die Mitarbeitenden nach Einführung einer 4-Tage-Woche gestresster fühlen. Das kann insbesondere in wissensbasierten Berufen der Fall sein, und zwar dann, wenn sich zwar die Arbeitszeit verkürzt, die zu verrichtende Arbeit aber gleich bleibt und die Mitarbeitenden zu wenig bei der Transition unterstützt werden.
Die allermeisten Unternehmen, in denen die kurze Woche zur Anwendung kommt, sind private Unternehmen. Standardmässig einen Tag weniger arbeiten – das haben nur ganz wenige Länder grossflächig bereits als Praxis:
Auch weitere Länder und Unternehmen wollen in Zukunft eigene Erfahrungen über die 4-Tage-Woche sammeln. Die Non-Profit-Organisation 4 Day Week Global unterstützt und berät sie bei der Durchführung und Auswertung von Pilotprojekten. Die Gruppe wendet sich auch direkt an Unternehmen, die von sich aus reduzierte Arbeitszeiten einführen wollen.
Bei 4 Day Week Global sind 2024 weitere Pilotprojekte, gemäss denjenigen in den USA, Grossbritannien und Südafrika in Planung, zum Beispiel in Portugal.
In Schottland begann Anfang 2024 ein staatlicher Versuch, während Wales ebenfalls einen Versuch in Erwägung zieht. Die Entscheidung war das Einlösen eines Wahlversprechens der regierenden Scottish National Party (SNP). Die Arbeitszeit der Arbeitnehmer wird dabei um 20 Prozent gekürzt, Einbussen bei der Vergütung soll es auch hier nicht geben.
Auch Spanien ist im Begriff, ein grossangelegtes Pilotprojekt durchzuführen. Allerdings wird dessen Start immer wieder verschoben. Bereits 2021 wurden auf Druck der regierenden Linkspartei Más País 50 Millionen Euro für die Durchführung gesprochen.
Ende 2022 wurde bekannt, dass Portugal die 4-Tage-Woche ebenfalls testen will. Das Pilotprojekt begann im Sommer 2023 und richtet sich zunächst an den privaten Sektor, bevor es auf den öffentlichen Bereich ausgedehnt wird.
Was die Privatwirtschaft betrifft, gibt es auch in der Schweiz vermehrt Berichte über Unternehmen, die auf eigene Faust eine kürzere Arbeitswoche einführen. Dabei handelt es sich aber meistens um kleinere Unternehmen, bei grösseren sind bislang noch keine Bestrebungen zu erkennen. Und: Auch wenn Unternehmen die 4-Tage-Woche einführen, so kommt das in den meisten Fällen keiner Reduktion der Arbeitszeit gleich. 40 oder 42 Stunden werden somit auf vier statt fünf Tage aufgeteilt.
Auf Seiten der öffentlichen Hand wollte man lange nichts vom Thema wissen. Im Dezember 2021 reichte Tamara Funiciello (SP) zwar eine Motion zur 4-Tage-Woche ein. Darin wird gefordert, in einer Zeitspanne von zehn Jahren die Erwerbsarbeit auf maximal 35 Stunden pro Woche zu senken – bei vollem Lohn für mittlere und tiefe Einkommen. Das Parlament hat die Motion noch immer nicht behandelt, und der Bundesrat hat sie bereits abgelehnt.
Im März 2023 kam allerdings erneut Bewegung in die Politik: Die Zürcher Stadtverwaltung gab bekannt, in einem Pilotprojekt die 35-Stunden-Woche testen zu wollen. Der Gemeinderat hat dabei einen entsprechenden Vorstoss von AL und SP an den Stadtrat überwiesen. Gegen seinen Willen muss dieser nun ein Versuchsprojekt für eine 35-Stunden-Woche ausarbeiten.
Getestet werden soll die Arbeitszeitreduktion mit jenen Angestellten, die im Schichtbetrieb arbeiten und deswegen besonderen Belastungen ausgesetzt sind. Neben Mitarbeitenden in Pflege und Betreuung sind dies etwa jene in der Reinigung, bei der Polizei oder bei den Verkehrsbetrieben.
Auf nationaler Ebene reichte Cédric Wermuth, SP-Nationalrat, gleichentags eine Interpellation ein. Diese muss der Bundesrat – in der Regel bis zur nächsten Session – schriftlich beantworten. Bei der vorliegenden Interpellation verlangt der SP-Co-Präsident vom Bundesrat, die «4-Tage-Woche oder ähnliche Formen der Arbeitszeitreduktion» zu prüfen.
Unter anderem soll die Frage geklärt werden, ob der Bundesrat über die nötigen Daten zu einer möglichen Arbeitszeitreduktion verfügt, ob er beabsichtigt, den «Wunsch aus der Bevölkerung aufzunehmen» und ob er bereit wäre, ein entsprechendes Pilotprojekt zu initiieren.
Die Schweizer Gewerkschaftsverbände äusserten sich gegenüber SRF positiv zu einer allfälligen 4-Tage-Woche. Das wichtigste Argument: In den letzten Jahrzehnten sei die Produktivität gestiegen, die geleisteten Arbeitsstunden seien aber nicht gleichzeitig gesunken. Die 4-Tage-Woche habe aber nur Vorteile, wenn die wöchentlichen Arbeitsstunden effektiv sinken.
Anders sieht es der Arbeitgeberverband: Eine gewisse Flexibilität sei grundlegend in der Schweizer Wirtschaft. Unternehmen müssten selbstständig über ihre jeweiligen Arbeitsmodelle entscheiden können. Der Verband äusserste sich deshalb gegen eine gesetzlich verordnete 4-Tage-Woche.
Eine weitere Hürde, die sich in der Schweiz stellen würde, sind die vielen Angestellten, die bereits Teilzeit arbeiten. Nach Angaben der OECD arbeiten in Europa nur in Holland noch mehr Menschen nicht 100 Prozent.
In der Schweiz dürfte das primär am hohen Durchschnittslohn liegen: Auch wenn ihr monatliches Gehalt dadurch sinkt, können es sich viele Angestellte grundsätzlich leisten, nicht in Vollzeit zu arbeiten. Die vielen Teilzeitangestellten könnten so den Druck auf und das Bedürfnis für eine kürzere Arbeitswoche vermindern.
Mit Material der SDA
Mitarbeiterzufriedenheit, Motivation und Loyalität zählen hier nicht.
Grund: Stunden kann man zählen, Effizienz (zumindest im Bürobereich) nicht. ü