Mit der beschlossenen Mindeststeuer der OECD und den G20-Staaten kommt die Schweiz unter Zugzwang: Entweder sie führt selber eine Mindeststeuer für grosse internationale Konzerne ein – oder andere Staaten können die Differenz für sich selbst einstreichen.
Dass die Schweiz handeln muss, da sind sich alle Beteiligten einig. Aber wie sie das tun soll, darüber wird gestritten. Damit auch du mitreden kannst, erklären wir dir hier die Vorlage, was sie zu bedeuten hat und wer dafür und wer dagegen ist.
Im Oktober 2021 hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gemeinsam mit der Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) ein Projekt verabschiedet. Das Ziel davon: die Regeln zur Besteuerung von grossen Unternehmen an die neuen globalen Gegebenheiten anzupassen.
Hintergrund ist die fortgeschrittene Digitalisierung in der Wirtschaft sowie deren Globalisierung: Unternehmen sind immer häufiger global vernetzt und international tätig. Das hat unter anderem zu einem starken Standortwettbewerb geführt, weil die einzelnen Länder darum bemüht sind, diese grossen Firmen bei sich anzusiedeln. Die Folge davon war ein sogenanntes «Race to the Bottom»: Die Staaten versuchen einander mit immer tieferen Steuern zu unterbieten, insbesondere für multinational tätige Konzerne, um ihre Standortattraktivität zu verbessern.
Nun wollen die OECD und die G20 dieser Entwicklung einen Riegel vorschieben. Dazu haben sie ein Zwei-Säulen-Modell entwickelt. In der ersten Säule geht es darum, Rahmenbedingungen zu schaffen, die es den Staaten erlauben, gewisse Unternehmen auch dort zu besteuern, wo sie ihre Waren verkaufen oder ihre Dienstleistungen erbringen – und nicht nur am Ort, an dem der Firmensitz steht.
Die zweite Säule des Projekts – und um diese geht es bei der Abstimmung am 18. Juni – sieht vor, dass Unternehmensgruppen mit Unternehmen in mehr als einem Land und mit einem Jahresumsatz von mindestens 750 Millionen Euro mit einem Mindeststeuersatz von 15 Prozent auf ihren Gewinn besteuert werden sollen.
Der Entscheid der G20 und der OECD wurde in vielen Ländern grösstenteils begrüsst. So sagte die US-amerikanische Finanzministerin Janet Yellen in einer Erklärung 2021: «Jahrzehntelang haben sich die Vereinigten Staaten an einem selbstzerstörerischen internationalen Steuerwettbewerb beteiligt, indem sie ihre Steuersätze gesenkt haben, nur um zu sehen, wie andere Länder daraufhin ihre eigenen Steuersätze senkten.» Das Ergebnis sei ein globaler Wettlauf nach unten. Yellen sagte auch, dass niedrigere Steuersätze den Ländern Geld für die Infrastruktur, die Bildung und den Kampf gegen die Pandemie vorenthalten würden.
Zusammen mit rund 140 Staaten hat sich die Schweiz dem OECD-Projekt angeschlossen. Um die darin vorgesehenen Ziele umsetzen zu können, haben Parlament und Bundesrat einen Bundesbeschluss vorgenommen. Dieser beinhaltet eine Verfassungsänderung – der Grund: Gemäss unserer Bundesverfassung müssen alle steuerlich gleichbehandelt werden. Weil die Umsetzung des OECD/G20-Projekts aber nur grosse und international tätige Unternehmen betrifft, benötigt der Bundesbeschluss eine Verfassungsänderung – und diese wiederum erfordert eine Absegnung durch das Schweizer Stimmvolk.
Die Vorlage schafft gemäss den Erklärungen des Bundesrates «die Voraussetzungen dafür, dass die Schweiz die Besteuerung im Marktstaat (Säule 1) einführen kann». Allerdings: «Bundesrat und Parlament haben noch nicht entschieden, ob die Schweiz sich einem künftigen internationalen Übereinkommen anschliessen und die Besteuerung im Marktstaat umsetzen soll.»
Konkreter wird es bei der Umsetzung der Säule 2: Bereits 2024 soll die Mindeststeuer von 15 Prozent zum Tragen kommen. Zu diesem Zweck wollen Bundesrat und Parlament eine Übergangsbestimmung einführen. Sie erlaubt es, mit einer Verordnung eine Ergänzungssteuer zu etablieren, um die 15 Prozent Gewinnbesteuerung zu erreichen. Diese Ergänzungssteuer soll danach aber innerhalb von sechs Jahren von einem neuen Gesetz abgelöst werden, das die Mindeststeuer definitiv verankert und die Verordnung ablöst.
Parlament und Bundesrat haben beschlossen, dass die betroffenen Kantone 75 Prozent der Einnahmen aus der Ergänzungssteuer erhalten und der Bund die restlichen 25 Prozent. Der Bund verpflichtet sich dabei, zwei Drittel dieser Einnahmen in Standortförderungsmassnahmen zu investieren. Die Kantone können indes selbstständig entscheiden, was sie mit den Einnahmen machen. In der Vorlage ist lediglich festgeschrieben, dass sie die «Gemeinden angemessen berücksichtigen» müssen. Es ist davon auszugehen, dass auch die Kantone das Geld in die Förderung ihres Wirtschaftsstandorts investieren würden, um damit die Nachteile der höheren Steuern zu kompensieren.
Mehr Einnahmen. Wie viel genau, ist aber wie immer schwer vorherzusagen. Die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) schätzt, dass die Einnahmen aus der vorgesehenen Ergänzungssteuer kurzfristig, also im ersten Jahr, zwischen 1 und 2,5 Millionen betragen werden. Eine von der SP in Auftrag gegebene Studie (ausgeführt vom Forschungsinstitut BSS) kam zum Schluss, dass sich die zusätzlichen Einnahmen auf etwa 1,6 Milliarden belaufen würden.
Mittel- bis langfristig hingegen, so schreibt es der Bundesrat, «könnten die Einnahmen aus der Ergänzungssteuer und weitere Einnahmen des Staates auch zurückgehen». Grund dafür sei, dass sich Unternehmen «anpassen und beispielsweise weniger investieren», da die Schweiz durch die Mindestbesteuerung für grosse Unternehmensgruppen steuerlich weniger attraktiv würde.
Der Bundesrat schreibt zwar, alle Kantone seien von der OECD-Mindeststeuer betroffen, da es heute allen theoretisch offen stehe, eine Gewinnsteuer von unter 15 Prozent festzuschreiben. In der Praxis sind es 21 von 26 Kantonen, in denen teilweise deutlich tiefere Gewinnsteuern gelten. Unter dem Strich ist es aber korrekt, dass alle Kantone betroffen sein werden, und zwar durch den Finanzausgleich. Die Mehreinnahmen, die durch die 15-Prozent-Steuer anfallen, sollen im nationalen Finanzausgleich berücksichtigt – also auch mit Kantonen, in denen keine Mehreinnahmen erwartet werden, geteilt – werden.
Was die Unternehmen betrifft, so schätzt der Bund, dass ungefähr 200 Konzerne mit Hauptsitz in der Schweiz und rund 2000 Firmengruppen mit Hauptsitz im Ausland und Schweizer Ableger von der OECD-Mindeststeuer betroffen sein werden.
Für die Vorlage macht sich der Bundesrat sowie eine Mehrheit im Parlament stark. Die Parteien SVP, Mitte, FDP, GLP und EVP haben der Vorlage zugestimmt. Aber auch die Konferenz der Kantone sowie die bürgerlich eingestellten Economiesuisse, die Bankiervereinigung und der Gewerbeverband sind dafür.
Die Anpassung an den OECD-Beschluss ist für die Schweiz unumgänglich. Zum Hauptargument der Befürwortenden gehört denn auch die drängende Zeit: Setzt die Schweiz die Mindeststeuer (noch) nicht um, die anderen Staaten aber schon, dann dürften diese die Besteuerung vornehmen und die Differenz zu den 15 Prozent für sich abschöpfen.
Bleibt das Steuersubstrat in der Schweiz, könnten es die Kantone und Gemeinden dafür einsetzen, den eigenen Standort trotz der höheren Gewinnsteuern weiterhin zu stärken – und so sicherzugehen, dass die Unternehmen trotzdem bleiben, so der Tenor.
Von den Parteien im Parlament hat sich lediglich die SP offen für ein «Nein» zur Vorlage ausgesprochen. Bei der Schlussabstimmung im Nationalrat hat der Vorlage allerdings sowohl bei der SP als auch bei den Grünen niemand zugestimmt. Dennoch hat die Partei auf nationaler Ebene eine Stimmfreigabe beschlossen.
Ebenfalls dagegen ist Alliance Sud, ein Schweizer Zusammenschluss für internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik, zu dem Hilfsorganisationen wie Swissaid, Caritas oder Heks gehören.
Die Linke und Alliance Sud sind nicht gegen die OECD-Mindeststeuer – im Gegenteil: «Nach 40 Jahren neoliberaler Wirtschaftspolitik ist die OECD-Mindeststeuer ein erster Hoffnungsschimmer», schreibt der ehemalige Journalist Walter Langenegger in einem Beitrag auf der SP-Homepage. Vielmehr ist der im Parlament beschlossene Verteilschlüssel der Mehreinnahmen der Grund für die Ablehnung.
Die Linke stört sich daran, dass 75 Prozent davon an die Kantone gehen und dass das Geld unter den Kantonen nicht besser verteilt wird. Sie hat sich dafür eingesetzt, dass mehr als der übrig bleibende Viertel an den Bund geht. Dieser hätte das Geld für die Bevölkerung einsetzen können – statt einer Rückverteilung an die Kantone, wo 40 Prozent davon an die beiden Tiefsteuerkantone Zug und Basel-Stadt gehen, so das Votum.
Die Befürchtung: Die Kantone würden Wege finden – entweder über «neue Steuersenkungsrunden für Unternehmen und Aktionäre», durch die Übernahme von Kosten für die Unternehmen oder durch andere Arten einer Rückvergütung –, das eingenommene Steuergeld wieder den Konzernen zurückzugeben. «Was mit der neuen OECD-Mindeststeuer einkassiert würde, ginge über Umwege gleich wieder zurück an die Multis», schreibt Langenegger.
Das Argument lautet ebenfalls, dass die Schweiz bei einem Nein nicht viel zu verlieren hat (also «Figgi und Mühli»), weil die Mindeststeuer ohnehin kommen würde. Die bürgerliche Mehrheit wäre in diesem Fall gezwungen, so schnell wie möglich eine neue Lösung – und damit vielleicht auch einen neuen Verteilschlüssel – zu finden, da das Geld sonst an andere Länder abfliessen würde.
Die Alliance Sud hat sich indes dafür eingesetzt, dass ein Teil der Mehreinnahmen an Entwicklungsländer im Globalen Süden fliesst. Diese Länder würden am meisten unter dem «Race to the Bottom» leiden, da sie mit den tiefen Steuern nicht mithalten könnten und ihnen so Steuereinnahmen in hohen Beträgen entgehen. Doch diese Idee wurde im Parlament versenkt.
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