Die Lage ist angespannt wie schon lange nicht mehr: Indien hat als Reaktion auf einen Terroranschlag in der umstrittenen Region Kaschmir Luftangriffe auf Ziele in Pakistan geflogen; Pakistan hat umgehend Vergeltung angekündigt. Die beiden Atommächte stehen damit am Rande eines Kriegs, der unabsehbare Folgen haben könnte.
Der indisch-pakistanische Konflikt, der bisher zu vier Kriegen geführt hat, besteht schon, seit die beiden Staaten aus der Teilung von Britisch-Indien entstanden sind. Der Streit um die Region Kaschmir ist der wichtigste einzelne Grund für diese erbitterte Feindschaft, aber sie hat noch weitere Ursachen. Eine Übersicht in 6 Punkten.
Der indische Subkontinent ist der am dichtesten besiedelte Grossraum der Erde. Die drei Staaten Indien, Pakistan und Bangladesch, die mit insgesamt 4,2 Millionen km² den Hauptteil der Landmasse einnehmen, haben zusammen fast zwei Milliarden Einwohner; allein auf den Giganten Indien entfallen mehr als 1,4 Milliarden davon. Die Bevölkerung besteht aus zahlreichen ethnischen, sprachlichen und religiösen Gruppen, besonders in den Vielvölkerstaaten Indien und Pakistan. Bangladesch ist dagegen ethnisch eher einheitlich.
Trotz aller Verschiedenheiten teilen Indien und Pakistan eine gemeinsame Geschichte. Beide waren Teil von Britisch-Indien und haben Traditionen der Kolonialherren teilweise weitergeführt – beispielsweise Englisch als Amtssprache. Beide Länder haben zudem britische Militärtraditionen geerbt. Auch das Rechtssystem beider Länder ist vom englischen Common Law stark beeinflusst.
Vor allem zwischen Nordwestindien und Pakistan, die über Jahrtausende hinweg einen zusammenhängenden Kulturraum bildeten, gibt es zahlreiche Gemeinsamkeiten; etwa die Sprache. Hier dominieren indoarische Sprachen, allen voran Hindustani, was auf die Einwanderung von indoeuropäischen Nomaden um 1500 v. Chr. zurückgeht. Hindustani ist hier neben Punjabi die hauptsächliche Verkehrssprache; unter der Bezeichnung Hindi ist es zudem Amtssprache in Indien, als Urdu in Pakistan, allerdings mit unterschiedlichen Schriftsystemen.
Vor fast 4000 Jahren, lange vor Christentum und Islam, entwickelten sich in Nordindien und Pakistan die hinduistische Götterwelt und das Kastenwesen. Heute sind rund 80 Prozent der Einwohner Indiens Hindus. Der später ebenfalls in Indien entstandene Buddhismus verschwand hingegen in seiner Heimat weitgehend, hauptsächlich als Folge der islamischen Eroberung, die im 11. Jahrhundert begann. In den von den muslimischen Eroberern begründeten Sultanaten in Nordindien fand der Islam weite Verbreitung. Der Süden blieb indessen mehrheitlich hinduistisch. Erst das islamische, religiös tolerante Mogulreich konnte den Süden für längere Zeit beherrschen.
Die Folge der islamischen Invasion war eine religiös diversifizierte Gesellschaft, in der die muslimische Bevölkerung insgesamt zwar in der Minderheit blieb, aber gegenüber der hinduistischen Mehrheit eine Vormachtstellung genoss. Der in der Mogulzeit relativ schwache Gegensatz zwischen Hindus und Muslimen nahm erst in der britischen Kolonialzeit wieder zu, da die Kolonialherren die religiösen Gruppen gegeneinander ausspielten. Der religiöse Antagonismus war der Hauptgrund für die Teilung Britisch-Indiens, die wiederum die bereits angespannten muslimisch-hinduistischen Beziehungen weiter eskalieren liess.
Auch nach dem millionenfachen Bevölkerungsaustausch nach der Teilung stellen die Muslime mit gut 14 Prozent die grösste Minderheit in Indien – nach Indonesien und Pakistan ist Indien der Staat mit der drittgrössten muslimischen Bevölkerung. Umgekehrt sind die Hindus die grösste religiöse Minderheit in Pakistan, stellen jedoch lediglich etwas mehr als 2 Prozent der Bevölkerung. Beide Minderheiten erfahren in den jeweiligen Staaten Diskriminierungen: In Pakistan nutzen Behörden das Blasphemiegesetz, um Hindus – und Christen – zu drangsalieren, in Indien hat die islamfeindliche Hetze in letzter Zeit deutlich zugenommen.
Pakistan und Indien – indirekt auch Bangladesch – sind aus der Erbmasse der wichtigsten britischen Kolonie hervorgegangen: Britisch-Indien. Das «Kronjuwel des Britischen Empire» umfasste zuletzt neben direkt von den Briten verwalteten Gebieten eine Vielzahl von halbautonomen Fürstentümern und Zwergstaaten. 1947 musste das durch den Zweiten Weltkrieg geschwächte Grossbritannien die Kronkolonie in die Unabhängigkeit entlassen.
Die Unabhängigkeitsbewegung hatte sich bereits 1906 in eine hinduistische und eine islamische Fraktion aufgespalten. Letztere, die Muslimliga, arbeitete auf die Gründung eines unabhängigen Staates der Muslime hin. Die gewalttätigen Zusammenstösse zwischen Hindus und Muslimen noch vor der Unabhängigkeit bewogen die Kolonialmacht dazu, Britisch-Indien in zwei Staaten aufzuteilen, wobei religiöse Mehrheitsverhältnisse möglichst berücksichtigt wurden. Pakistan («Land der Reinen») konstituierte sich als Islamische Republik, Indien als säkularer Staat.
Als die Grenzen der neuen Staaten bekannt gegeben wurden, brach Chaos aus: Millionen Menschen entschlossen sich innerhalb von Stunden zur Flucht, andere wurden vertrieben. Es kam zu Massakern, Plünderungen, Vergewaltigungen. Schätzungsweise eine Million Menschen kam ums Leben, 20 Millionen mussten – oft völlig mittellos – eine neue Heimat finden. Provinzen wie Punjab oder Bengalen wurden geteilt; aus dem muslimischen Ostbengalen wurde Ostpakistan, das 1600 Kilometer vom westlichen Landesteil entfernt war. Die Gräuel der Trennung und des gigantischen Bevölkerungsaustauschs bewirkten ein Trauma, das bis heute nachwirkt.
Die Briten hatten den Herrschern der zahllosen Fürstentümer erlaubt, sich nach ihrem Ermessen einem der beiden Staaten anzuschliessen oder für die Unabhängigkeit zu optieren. Im Falle des Fürstenstaats Jammu und Kaschmir im Himalaja führte dies zum Krieg: Der hinduistische Maharadscha entschied sich am Ende für Indien, obwohl die Bevölkerung mehrheitlich muslimisch war. Dies führte zum Ersten Indisch-Pakistanischen Krieg, der 1949 mit der De-facto-Zweiteilung Kaschmirs endete, das seither ein Zankapfel zwischen Indien und Pakistan ist. Indien und Pakistan führten danach noch zwei weitere Kriege um Kaschmir (1965 und 1999), die den Status quo der Region jedoch nicht veränderten.
Der Krieg von 1971 brach hingegen wegen des Konflikts zwischen West- und Ostpakistan aus. Das bengalische Ostpakistan hatte damals viel mehr Einwohner als der grössere westliche Teil des Staates, wurde politisch aber systematisch benachteiligt. 1971 versuchte die überwiegend westpakistanisch geführte Armee, die Unabhängigkeitsbestrebungen im Osten niederzuschlagen, wobei es zu Massakern mit bis zu 3 Millionen Opfern und Massenvergewaltigungen kam. Nun intervenierte Indien zugunsten der Separatisten und errang einen klaren Sieg. Ostpakistan wurde darauf als Bangladesch unabhängig, Restpakistan erlebte ein nationales Trauma.
Das kleinere und militärisch zumindest materiell unterlegene Pakistan führte den Kampf um Kaschmir zunehmend mit anderen Mitteln. Jedenfalls wirft nicht nur Indien der Islamischen Republik vor, Terrorgruppen zu dulden oder gar zu unterstützen. Es gibt Hinweise darauf, dass der pakistanische Geheimdienst ISI den Aufstand in Kaschmir durch finanzielle Unterstützung und Bewaffnung militanter Gruppen anheizt. Islamistische Terroristen aus Pakistan haben auch in Indien selbst mehrere Anschläge verübt, darunter der Anschlag auf das indische Parlament 2001 und die Anschläge in Mumbai 2008. Pakistan hat eine Beteiligung an diesen Attacken stets dementiert.
Indien begann schon in den 1960er-Jahren ein eigenes Atomprogramm. 1974 wurde das Land mit dem ersten Atomtest eine nukleare Macht. Pakistan wiederum lancierte nach dem verlorenen Krieg gegen Indien 1971 ein eigenes Atomprogramm. Premierminister Zulfikar Ali Bhutto verkündete, man werde eine «islamische Bombe» bauen, «selbst wenn wir Gras und Blätter essen oder hungrig bleiben müssen». 1998 führte Pakistan den ersten Atomtest durch. Damit waren nun beide rivalisierenden Staaten Atommächte; Indien soll heute über 172 Sprengköpfe verfügen, Pakistan über 170. Beide haben zudem den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet.
Die Gefahr einer nuklearen Eskalation zwischen Indien und Pakistan ist besonders hoch, weil die pakistanischen Streitkräfte in konventioneller Hinsicht der grösseren indischen Armee unterlegen sind. Die pakistanische Nukleardoktrin sieht daher einen nuklearen Erstschlag vor, falls die pakistanische Armee in einem konventionellen Krieg nicht mehr in der Lage wäre, das Land zu verteidigen. Zudem entwickelt Pakistan taktische Atomwaffen, die für den schnellen Einsatz auf dem Schlachtfeld vorgesehen sind, was die Hemmschwelle für einen Ersteinsatz stark senkt.
Indien verfolgt hingegen offiziell die Doktrin des No First Use, droht aber für den Fall eines nuklearen Angriffs mit massiver Vergeltung. Damit ist ein Szenario nicht ausgeschlossen, in dem Pakistan in einem konventionellen Krieg in Bedrängnis gerät und deshalb auf dem Gefechtsfeld einen begrenzten Nuklearschlag mit einer taktischen Atombombe durchführt, worauf Indien – seiner Doktrin der massiven Vergeltung folgend – pakistanische Städte mit Atomwaffen zerstören würde. Einem solchen Atomkrieg könnten in kurzer Zeit 20 Millionen Menschen zum Opfer fallen. Wenn beide Staaten ihr gesamtes nukleares Arsenal einsetzen würden, wären die Auswirkungen global und die Opferzahlen immens.
Indien wie Pakistan sind hochgerüstet. Die Website Globalfirepower.com, die Kennzahlen zur militärischen Stärke von Staaten sammelt und daraus einen sogenannten Power Index ableitet, sieht Indien auf Rang 4 von 145 Ländern, während Pakistan demnach auf Rang 12 steht. Ins Gewicht fallen neben der deutlich grösseren Bevölkerung und Wirtschaftskraft Indiens vornehmlich die höheren Militärausgaben und die materielle Überlegenheit der indischen Luftwaffe und Flotte. Die wichtigsten Zahlen zur konventionellen militärischen Stärke:
In nahezu allen Bereichen ist Indien seinem Nachbarland überlegen. Schwieriger einzuschätzen ist der Ausbildungsstand und das Training des Militärpersonals. Hier hat die kleinere pakistanische Armee womöglich Vorteile.
Hingegen fällt für Pakistan negativ ins Gewicht, dass die USA ihre traditionell enge Partnerschaft mit Islamabad gelockert haben. Pakistan hat dafür enge Beziehungen zu China aufgebaut und bezieht mittlerweile auch Rüstungsgüter aus dem Nachbarland. Indien, einst Verbündeter der Sowjetunion, unterhält nun strategische Partnerschaften mit Russland und den USA. Auch mit Israel und den Golfstaaten bestehen enge Beziehungen.
Die aufgeführten Punkte sind uns allen bekannt und sind mitunter auch die Gründe.
Trotzdem habe ich nur eine Antwort.
"Weil beide Länder von Idioten beeinflusst und regiert werden!"
Da ich die Gegend Kashmir/Jammu/Ladakh gut kenne, möchte ich ein paar subjektive Eindrücke beitragen:
In der hinduistischen Mehrheitsbevölkerung hat sich eine Art Nationalchauvinismus breitgemacht. Auch kluge Leute erklären dir dann, dass die Hindus vor 5000 Jahren schon die Quantentheorie entdeckt haben. Totales Überlegenheitsgefühl.
Zugleich treten die Muslime in Nordindien teils sehr militant auf. An miterlebten Demonstrationen in Leh und Umgebung waren die Transparente an muslimischen Feiertagen vom IS kaum unterscheidbar.