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Tote Schauspieler per KI zurückholen: Was Studios dürfen und was nicht

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Tote Schauspieler mit KI für Filme zum Leben erwecken – wann gehen Studios zu weit?

Für einen neuen Film soll James Dean zurück auf die Leinwand gebracht werden – ein Schauspieler, der seit bald 70 Jahren tot ist. Wie weit darf KI im Film gehen? Wir haben mit einem Experten gesprochen.
16.03.2024, 18:5817.03.2024, 13:06
Corina Mühle
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Vergangenes Jahr haben die Schauspieler in Hollywood gestreikt. Sie forderten unter anderem eine bessere KI-Regelung und Schutz davor, von KI ersetzt zu werden. Eine gerechtfertigte Forderung?
Manuel Hendry:
Ja, auf jeden Fall. Man muss berücksichtigen, dass die Schauspielergewerkschaft in den USA nicht nur die grossen Stars vertritt, sondern auch Statisten. In den vergangenen Jahren ist es öfter vorgekommen, dass Statisten unter dem Vorwand, ein paar Fotos von ihnen machen zu wollen, komplett digitalisiert wurden – inklusive Stimme. Diese digitalen Bilder wurden später für Hintergrundszenen wieder verwendet, ohne dass die Statisten gefragt (oder bezahlt) wurden. Dieses Beispiel zeigt sehr gut, dass Technologien, die eingesetzt werden, um Menschen zu digitalisieren, sehr schädlich werden können, wenn man nicht berühmt ist. Viele Menschen der Branche müssen mit kleineren Jobs überleben. Da ist die Gefahr gross, dass sie von diesen Entwicklungen überrollt werden.

Wann gehen Studios zu weit?
Die Frage nach dem respektvollen und verantwortungsbewussten Umgang mit diesen Technologien gegenüber Menschen, die von ihrer Kreativität leben, ist ein grosses Thema. Studios möchten natürlich immer für wenig Geld so viel Leistung wie möglich bekommen. Wenn die Studios aber nur noch ihren Gewinn maximieren und dabei soziales Kapital ohne Rücksicht auf Verluste zerstören, wird dies irgendwann auf sie zurückfallen – weil niemand mehr in der Branche arbeiten will.

Zur Person
Manuel Hendry ist seit 20 Jahren Spielfilm-Regisseur und unterrichtet an der ZHdK. In den letzten Jahren hat er sich künstlerisch sehr intensiv mit Künstlicher Intelligenz (KI) auseinandergesetzt. In der Forschung wie auch in seiner Lehrtätigkeit ist er darauf fokussiert, dem Publikum diese neuen Technologien näherzubringen, aber auch einen kritischen Umgang mit ihnen zu fördern.
Manuel Flurin Hendry (*1973), Film Director from Switzerland
Manuel Hendry setzt sich seit Jahren mit KI im Film auseinander.Bild: zvg

Für einen neuen Film soll James Dean zurück auf die Leinwand gebracht werden – ein Schauspieler, der seit bald 70 Jahren tot ist. Warum wird nicht ein Schauspieler gecastet, der ihm ähnlich sieht?
Ein grosser Trend in der Unterhaltungsindustrie ist, dass man immer stärker auf Bewährtes setzt. Disney beispielsweise hat Lucasfilm («Star Wars») und Marvel («Spiderman») gekauft und rezykliert seither deren Stoffe immer wieder von Neuem. Momentan sind in den meistgesehenen Kinofilmen fast nur noch Sequels, Prequels oder Comic-Verfilmungen. Vor zwanzig Jahren waren Kinofilme fast alles Originalstoffe. Wir bewegen uns immer mehr in eine Gesellschaft vom popkulturellen Recycling. In diesen Trend passt die Auferstehung von James Dean ganz gut hinein. Es ist bekannt, dass James Dean eine Marke ist und wenn man James Dean neu aufleben lässt, ist dies sichereres Einkommen, als auf einen unbekannten Nachwuchsstar zu setzen.

«Dass digitale Bilder billiger sind als analoge, ist ein Mythos.»

Toten Schauspielern kann man keine Gage bezahlen. Haben die dann umsonst «gearbeitet»?
Dass digitale Bilder billiger sind als analoge, ist ein Mythos. Es ist ein enormer Aufwand, die technologisch generierten Bilder auf der Leinwand echt aussehen zu lassen. Ob Studios damit wirklich Geld sparen, weiss ich nicht. Ich nehme schon an, dass jemand Geld dafür zahlen muss, für das Recht, James Dean zu verwenden.

Verstorbene Schauspieler können sich nicht aussuchen, für welche Filme sie verwendet werden oder ihre Zustimmung für Szenen geben. Wie gehen Studios damit respektvoll um?
Das ist eine berechtigte Frage. Hier müsste man tatsächlich einen Juristen fragen. Grundsätzlich ist es so, dass Filmemacher, die eine reale Geschichte verfilmen und eine echte Person mit ihrem Namen auf die Leinwand bringen, verantwortlich dafür sind, diese Person wahrheitsgemäss zu schildern. Wenn wir das auf James Dean übertragen, muss man sich die Frage stellen, ob das eine Rolle ist, die James Dean angenommen hätte. Am Ende ist es auch eine moralische und – so wie alles im Film – eine Frage des Geschmacks.

Paul Walker und Carrie Fisher wurden auch wieder zurückgebracht.
Ich halte die digitale Wiederauferstehung von toten Schauspielenden eher für einen Modetrend als nach etwas, das sich wirklich durchsetzen wird. Aber ich kann mich auch irren.

Carrie Fisher in Star Wars: Episode IX - The Rise of Skywalker (2019)
Carrie Fisher (Prinzessin Leia) wurde nach ihrem Tod in «Star Wars: Episode IX – The Rise of Skywalker» digital eingefügt.Bild: disney

Fans und Kinogänger stehen diesen Praktiken oft kritisch gegenüber. Wird sich das trotzdem durchsetzen?
Die Geschichte des Films war immer auch eine Geschichte des Hypes um technologische Innovationen. Vor zehn Jahren hatten wir ein 3D-Revival. 3D gibt es zwar noch, aber sehr viel kleiner als ursprünglich gedacht. Vor ein paar Jahren begannen dann selbst die TV-Filmer, endlose Drohneneinstellungen zu machen, die erzählerisch keinen Sinn ergaben, aber es war halt neu und sah gut aus. Ich kann mir gut vorstellen, dass es jetzt auch eine Tendenz gibt, die neuen Technologien auszureizen, das Publikum dann aber schnell auch damit zu langweilen, weil es inhaltlich oder emotional nichts wirklich besser macht. Gerade grosse Story-Universen wie Marvel oder Star Trek sind auf ihre Superfans angewiesen. Studios müssen über kurz oder lang darauf reagieren, wenn die Superfans nicht glücklich sind.

«Zurzeit ist es so, dass diese Puppe immer noch einen Puppenspieler braucht, von dem sie bewegt wird.»

Also haben Sie nicht das Gefühl, dass Schauspieler komplett durch KI ersetzt werden?
Es muss zwischen den Puppen und dem Puppenspieler unterschieden werden. Was heute schon ausgezeichnet machbar ist, auch technologisch, sind digitale Duplikate von realen Menschen. Das ist die Puppe. Hier sind in den letzten Jahren enorme Fortschritte erzielt worden im Realismus von Hautbild, Haar und Körperlichkeit, sodass die Optik dem Menschen immer ähnlicher sieht. Zurzeit ist es aber so, dass diese Puppe immer noch einen Puppenspieler braucht, von dem sie bewegt wird.

Sprich: Bewegungs- und Mimik-Daten eines echten Menschen. Deshalb halte ich es für komplett unrealistisch und auch nicht für machbar, dass die digitale, voll automatische Puppe auch vollautomatisch den emotionalen Ausdruck und das Verhalten eines Menschen zeigen wird. Dass ein komplettes digitales Double in einem Film eine Hauptrolle spielen wird, sehe ich weder als realistisch noch als wirklich wünschenswert an – es sei denn, es gibt dafür einen künstlerischen oder produktionellen Grund.

Sind Sie überrascht davon, wie schnell diese technische Entwicklung vorangegangen ist?
Ja, absolut. Alle sind überrascht. Die Geschwindigkeit der Grundlagenforschung bis zum fertigen Produkt hat inzwischen ein Tempo erreicht, das noch nie zuvor in der Geschichte der Computerforschung so hoch war. Und sie beschleunigt sich weiter. Niemand weiss zurzeit, wie weit das noch geht.

Welche positiven Aspekte bringt KI im Film?
Es ist vielleicht hilfreich, hier von «maschinellem Lernen» zu sprechen. Künstliche «Intelligenz» ist ja eher ein Werbe-Slogan. Die Integration dieser Werkzeuge in der Filmbranche ist ein zweischneidiges Schwert. Aus Sicht vieler Filmemacher bedeuten sie eine enorme Erleichterung. Gerade repetitive, langweilige Aufgaben – in der Bildkorrektur, der Tonbearbeitung oder Sprachsynchronisation – können nun automatisiert werden. Die Frage ist aber: Was passiert mit den Menschen, deren frühere Arbeit durch diese Automatisierung wegfallen?

Bei Animationsfilmen sieht die Situation ähnlich aus. Mit KI könnte ein Sprecher auf ewig den gleichen Charakter sprechen.
Im Bereich Stimmen hat die KI definitiv das grösste Potenzial zur Disruption. Was in diesem Bereich schon alles möglich ist – zum Beispiel die beinahe perfekte Imitation von menschlichen Stimmen –, ist enorm. Hier sehe ich aus gesellschaftlicher und ökonomischer Sicht den grössten Einschlag, der in der Filmbranche auf uns zukommt.

«Wir müssen uns als Gesellschaft überlegen, wie wir mit dem Wandel, der auf dem Weg ist, umgehen möchten.»

Stirbt der Job des Synchronsprechers also aus?
In Bereichen, wo höchste Qualität gefragt ist, vermutlich nicht. Aber es gibt einfach ganz viele Anwendungen, bei denen die Kunden den Unterschied zwischen sehr gut und okay nicht bemerken. Und dieser Unterschied ist auch immer ein Unterschied im Preis. Wenn Menschen also die Qualität nicht erkennen können, sind sie auch nicht bereit, dafür zu bezahlen. Im Bereich Audiobücher und Schulungsvideos wird hier sehr viel Arbeit wegfallen und durch Maschinen ersetzt werden. Und viele Schauspielerinnen und Synchronsprecher leben nicht sehr glamourös, gehen aber mit grosser Leidenschaft ihrem Beruf nach – das haben wir am Streik in Hollywood gesehen. Für sie ist die Bedrohung natürlich enorm. Wir müssen uns als Gesellschaft überlegen, wie wir mit dem Wandel, der auf dem Weg ist, umgehen möchten.

Sehen Kinogänger bald nur noch KI-Blockbuster?
Das glaube ich nicht. Es gibt natürlich Filmgenres, wo künstliche Intelligenz und eine Videogame-isierung Sinn ergibt. Aber zu jeder Bewegung gibt es eine Gegenbewegung. Und am Ende des Tages wollen wir Geschichten sehen, mit denen wir uns identifizieren können. Ich bin mir sicher, dass KI die traditionellen Methoden der Filmherstellung zwar ergänzen, aber nicht ersetzen wird.

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45 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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tesso
16.03.2024 19:48registriert November 2023
Es wird noch so weit kommen, dass man im Testament angibt, wer sein visuelles Copyright bekommen soll.
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