Auch einen Superstar kann das Schicksal hart treffen. Im Februar 2022 erfuhr Ed Sheeran, dass seine Jugendliebe Cherry Seaborn an einem Tumor litt. Weil sie damals im sechsten Monat schwanger war, konnte sie erst nach der Geburt von Tochter Jupiter behandelt werden. Der Krebs stellte sich dann als doch nicht gar so schlimm heraus, Frau und Baby sind gesund, doch Familienglück und heile Welt waren in akuter Gefahr.
Seine Gemütsverfassung litt zusätzlich, als zur gleichen Zeit sein bester Freund, der Musikunternehmer Jamal Edwards, mit 31 Jahren an einer Herzrhythmusstörung starb. Verursacht durch Kokain.
Dazu kamen die aufreibenden Plagiatsprozesse, die bis heute andauern. 2017 kam es zu einer aussergerichtlichen Einigung zu «Photograph». Den «Shape Of You»-Prozess gewann er, doch jetzt muss er sich in New York schon wieder wehren. Die Erben von Marvin Gaye behaupten, er habe seinen Song «Thinking Out Loud» von 2015 bei «Let's Get It On» abgekupfert. Er habe harmonische, melodische und rhythmische Elemente für den eigenen Song kopiert.
Sheeran bestritt alles und wies darauf hin, dass Popsongs oft gleiche Akkordfolgen enthalten, die nicht vom Urheberrecht geschützt sind. Es sei ein Kennzeichen des Pop, dass Songs auf Bausteinen aufgebaut sind, die seit Hunderten von Jahren frei verfügbar sind.
Die wiederholten Klagen setzen dem erfolgsverwöhnten Superstar offensichtlich zu. In einem Interview mit dem «Rolling Stone» sagte er: «Ich hatte das Gefühl, ich will nicht mehr leben.» Und diese Woche soll er am Bundesgericht laut «Daily Mail» sogar erklärt haben, dass er den Plagiatsprozess als «Beleidigung» empfinde und im Falle eines Schuldspruchs auch persönliche Konsequenzen ziehen würde. Es wäre sein Karriereende. «Wenn das passiert, bin ich fertig, ich höre auf!», sagte er.
Lustig ist das alles überhaupt nicht. Auch nicht, wenn man seit Jahren der erfolgreichste männliche Popstar des Planeten ist. Sheeran, so denkt er heute, litt an Depressionen. Er begann eine Psychotherapie, die ihm geholfen habe, da er seine ganze Wut einfach mal habe rausbrüllen können.
Und er tat, was er immer tut: Er schrieb Songs. Angeblich, als die Krebsangst alles überschattete, mal sieben Stück in einer Stunde, erklärt seine Frau im aktuellen Dok-Film «The Sum Of It All», der in vier dreissigminütigen Folgen auf Disney+ zu sehen ist. In diesem Dok-Film wollte er den Leuten zeigen, «dass er nicht nur diese Hit-Maschine ist, nicht dieser Roboter, der ständig auf Platz eins sein will». Das gelingt dem übrigens wirklich sehr netten Ed tatsächlich.
Nur logisch ist, dass sich die unerfreulichen Ereignisse auf das Songschreiben auswirkten. Auf dem neuen Album «-» («Subtract» gesprochen) singt Ed Sheeran, dieser Weltmeister der locker aus der Hüfte geschossener Strandclubhits, diesmal von nackter Verzweiflung, von Verlustängsten und vor allem von seiner Trauer. Er zeigt sich verletzlich und Gefühle wie Melancholie und Schwermut überwiegen.
Trotzdem: Die erste Single «Eyes Closed» klingt nach Zuckerschock, obwohl sie von Trauer und Lähmung nach dem Tod des besten Freundes handelt. Aber das war es dann auch schon an Hits. Es fällt auf, wie wenig Sheeran sich diesmal um übliche Refrains schert. Er hat sie einfach aus der Gleichung genommen. Auch das Tempo hält sich in Grenzen, sehr sogar. Ein Lied nach dem nächsten kommt irgendwie stockdunkel komponiert daher, die akustische Gitarre, das Klavier und gelegentliche Streicher prägen das instrumentale Erscheinungsbild. Dankbar nimmt man auf, wenn im achten Song «Curtains» ein bisschen Licht reingelassen wird.
Doch in der Folge wird auf diesem Album ständig fast ertrunken («Salt Water»), gesunken wie ein Stein («Life Goes On») oder sich halb zu Tode gesorgt («Sycamore»). Stark ist «End Of Youth», in dem der Künstler konstatiert, dass die Jugend mit dem Tod des Freundes endgültig passé sei. Ed Sheeran mag bei seinen fünfzig Schattierungen von Grau in erster Linie Liedkünstler wie Damien Rice im Sinn gehabt haben, am Ende kommt dann aber doch ganz schön viel James Blunt heraus.
Die Emotionen werden stehts so dick wie möglich aufgetragen, er drückt pausenlos auf die Tränendrüse, es gibt keine doppelten Böden und, wie bei Sheeran üblich, auch kaum eine Metapher oder mal ein überraschendes Wortspiel. Irgendwie ahnt man immer, was als nächstes kommt. Bei aller Aufrichtigkeit ist das balladenlastige Album ein klein wenig eintönig.
Ed Sheeran kämpft sich auf «-» pausenlos durch einen Tsunami der Traumata. Man nimmt ihm seine Melancholie und die tiefen Erschütterungen ab. Gleichzeitig ertappt man sich bei unbequemen Gedanken. Alles Kalkül? Ist er vielleicht eine Art Influencer, der sein Leid sorgfältig kuratiert und mit der Öffentlichkeit teilt? Oder wie ein Kumpel, der einem nach vier Bier etwas zu oft erzählt, wie übel ihm das Schicksal wieder mitgespielt hat?
Und ist das Undenkbare tatsächlich möglich? Ist «-» womöglich das letzte Album von Ed Sheeran? Ihm scheint es jedenfalls ernst zu sein. In «No Strings» singt er: «Wenn wir es durch dieses Jahr schaffen, dann kann uns nichts mehr das Genick brechen».
(aargauerzeitung.ch)