«Haben die Römer das Analbleichen erfunden?»
Wenn du dich nie getraut hast, diese Frage zu stellen, dann liegt das wahrscheinlich daran, dass du nie Zugang zu einem Doktor der Archäologie der Universität Cambridge hattest, der dir diese Frage beantworten könnte (und vor allem wollte). Philomena Cunk hatte dieses Glück. Dank des Schöpfers der Serie «Black Mirror», Charlie Brooker. Und heute dank Netflix.
Diese neue Parodie-Rakete trägt den Namen «Cunk on Earth». Es ist eine Fake-Dokumentation, die ursprünglich von BBC ausgestrahlt wurde und behauptet, die Geschichte der Menschheit in fünf 30-minütigen Episoden erzählen zu können. Man sieht die Zuschauenden als eifersüchtige Lehrer, lauernde Verschwörer und faule Säcke, die das Popcorn herausholen. Aber freue dich nicht zu früh – alles wird in der Geschwindigkeit eines mickrigen TikTok-Videos gezeigt. Von den ersten Menschen bis zum Zweiten Weltkrieg, von Platon bis zur Atombombe, vom Christentum bis zu den Pharaonen, und nicht zu vergessen ein Abstecher zum «President/pin-up John Fucking Kennedy».
Es sind arme Historiker, Archäologen, Geografen, Philosophen und Professoren, die vor die Kameras dieses Genies der englischen Satire gespannt wurden. Sie alle wurden von ihrem akademischen Glanz befreit, um sich den dummen Fragen und falschen Behauptungen einer unkultivierten «Journalistin» auszusetzen.
In dieser «Mockumentary», die wie eine echte Dokumentation des britischen Fernsehens aufgebaut ist, nimmt uns die «Journalistin» Philomena Cunk mit von Athen nach Washington und von Kairo nach Südamerika, um uns von den grössten Momenten unserer Zivilisation zu erzählen. Dabei werden regelmässig echte Experten, die anhand ihres IQs ausgewählt wurden, befragt. Das ist urkomisch und bewundernswert geschildert. Ein bisschen so, als hätte man den hervorragenden David Castello-Lopez in eine Schüssel Worcestershire-Sauce getaucht.
Philomena weiss nicht viel, aber sie trägt ihre Ignoranz mit einer Selbstverständlichkeit vor, die man (zu) oft in einem Facebook-Posting findet. Sie wird so gefilmt, wie man es heute offensichtlich tun muss: ständig. Eine Art Cupcake-Bloggerin in der Rolle einer grossen Reporterin. Der Ton ist ernst, die Miene blasiert und der Blick brutal. So stellt sie zum Beispiel die Behauptung auf, dass «die ersten Menschen begannen Pflanzen zu essen, weil sie leichter zu jagen waren als eine Kuh».
Aus dem Mund von Philomena Cunk kommen auch scheinbare naive Fragen. Man sagt, dass es keine dummen Fragen gibt. Im Journalismus wie in der Schule. «Wurden die Pyramiden in einem Dreieck gebaut, damit die Obdachlosen nicht darauf schlafen konnten?» Die Ägyptologin Joyce Anne Tyldesley erklärt ihm, dass es «damals nicht so viele Obdachlose in Ägypten gab». Die Menschen halfen sich gegenseitig.
Wenn man Cunk dreissig Sekunden lang mit einem Experten sprechen lässt, wird auch dieser seine Arbeit überdenken. Zumindest sein Lexikon, seine vorgefertigten Antworten, aber auch, und das ist vielleicht das Wichtigste: sein Schweigen und seine Wissenslücken. In der heutigen Zeit der ständigen Nachrichten, der angstgeladenen Dramen, der narzisstischen Tautologien und der unehrlichen Influencer ist es ein Wunder, wenn ein Wissenschaftler sagt, dass er es nicht weiss. Dass wir es nicht wissen. Dass die Wissenschaft nichts weiss.
Der angesehene Doktor der Archäologie Nigel Spivey hat übrigens «keine Ahnung», ob die Römer tatsächlich «die Idee, sich den Arsch zu bleichen» erfunden haben. Diese Sequenz aus der ersten Episode erinnert stark an die «Fast & Curious»-Interviews von Konbini. Die Journalistin reiht Fragen aneinander und mimt missbilligende Alarmtöne, und Spivey muss schnell und wenig antworten, wird buchstäblich aus dem Konzept gebracht.
Erst unterhalten, dann informieren.
Philomena Cunk wetteifert auch mit verrückten Behauptungen, hinter denen sich in Wirklichkeit ein scharfer Blick auf unsere Selbstgefälligkeit als moderne Menschen verbirgt. Und das ist oft köstlich: «Das chinesische Kaiserreich war ein Zentrum der Kreativität und des philosophischen Denkens, das Jahrhunderte vor dem belgischen Techno-Hit Pump up the Jam beschrieben wurde».
Philomena Cunk ist nichts anderes als die böse Zwillingsschwester von Diane Morgan, einer britischen Komikerin, die ihren Weg dank ihres langjährigen Mentors Charlie Brooker, der Schöpfer von «Cunk on Earth», gefunden hat. In «Black Mirror» taucht sie zwar nicht auf, dafür hat sie ihre Figur in den frühen satirischen Kurzfilmen von Brooker zum Leben erweckt.
2018 debütierte Cunk zum ersten Mal als Langformat auf BBC und bereits unter Brookers Führung, mit «Cunk on Britain». Sie erzählte von England, genauso wie sie sich heute fragt, ob wir uns nicht mit zwei sozialen Netzwerken begnügen sollten. «Eines für die, die Recht haben, das andere für die, die Unrecht haben».
In den verschiedenen Epochen und Episoden wird schnell klar, dass diese «Mockumentary» weniger die humorvolle Geschichte der Menschheit seziert, sondern vielmehr die Menschheit, die sich Geschichten erzählt. Die, die ihr in den Kram passen. Man schwimmt ein wenig in dieser sehr modischen Manie des «Sag mir, wenn ich falsch liege, aber nur, wenn ich recht habe». Aus Unkenntnis, bösem Willen oder Faulheit möchte man sich gerne wie Philomena davon überzeugen, dass Julius Caesar der berühmteste Römer war, bis Polansky kam. Dass das allererste Buch «das allererste Hörbuch hätte sein können, wenn es jemand nur laut vorgelesen hätte». Dass Höhlenmalereien «nicht verfilmt wurden, weil Hollywood die Rechte nicht hatte».
Und schliesslich heisst es: «Dass wir so viel über das kaiserliche China wissen, verdanken wir Wikipedia». Und morgen ChatGPT? Planet Cunk ist neckisch, schlau, zynisch, witzig, unwiderstehlich und verstörend. In einer Zeit, in der jeder sechste junge Franzose davon überzeugt ist, dass die Erde flach ist, und in der Influencer ihre Fürze in Gläsern verkaufen, liegt unsere Rettung vielleicht im intelligenten Absurden. In dieser Hinsicht sind Philomena Cunk und Charlie Brooker unverzichtbar. Und der Puddinghumor mit ihnen.
«Cunk on Earth» läuft jetzt auf Netflix.
Wie hier angedeutet liegt das nicht daran, dass wir Wissenschaftler plötzlich gelernt haben, Unwissen zuzugeben, sondern eher daran, dass viele andere so etwas Einfaches verlernt haben.