Bei mir wurde relativ spät eine generalisierte Angststörung diagnostiziert. Und weil die Medizin für eine plausible Einschätzung so lange brauchte, hatten ich und mein besorgtes Umfeld genug Zeit, um eigenständig Lösungen zu suchen. Meine Symptome waren verwirrend und deshalb schreckten wir auch vor wirren Lösungsmöglichkeiten nicht zurück. So empfing ich in meiner Wohnung in Zürich Wipkingen eine Körpertherapeutin, einen Naturarzt und – ohne Witz – einen indischen Guru.
Doch die Krönung dieses Sommers 2001 waren die Bekämpfer des frisch definierten und damals gerade hochaktuellen Elektrosmogs: Angefangen hatte es mit der Empfehlung einer Hellsichtigen durch einen Bekannten. Ich rief sie an. Mit französischem Akzent redete sie wirr durcheinander und lachte grundlos nach jedem Satz. Ich verstand eigentlich nichts, nur, dass ich ihr eine Skizze meiner Wohnung schicken solle, mit Raumeinteilung und einem Pfeil für Norden.
Gleichzeitig hatte ich im Schwulen-Chat jemanden kennengelernt, der Praktikant eines Elektrosmog-Spezialisten war. Zusammen kamen sie in meine Wohnung, und die Zeiger ihrer Geräte sprangen an den Anschlag. Rekordmessung, sagte der selbsternannte Spezialist. Die Wohnung sei eine Elektrosmog-Bombe. «Du musst hier sofort raus, es gibt keine andere Möglichkeit.»
Ich rief die Hellsichtige an, die inzwischen meine Skizze bekommen hatte, und informierte sie über den Elektrosmog. Genau, sagte sie, das ist es. Aber auch grüne Energie, Anzugspunkt für schlechte Geister. Sie werde jetzt meine Wohnung fernreinigen. Das tat sie und fragte, ob ich einen Unterschied merke. «Nein», sagte ich. Sie gab sich damit zufrieden. «Wenn das nicht hilft, weiss ich auch nicht weiter.»
Dann wollte sie unbedingt die Elektrosmog-Spezialisten kennenlernen, weshalb ich sie alle in meine Wohnung einlud, was ein Fehler war. Es gab ein Riesen-Hallo, man sprach über gute und schlechte Energien und irgendwann endete es mit: «Ach, Sie wurden auch schon von einem Ufo entführt?» Da warf ich sie raus.
Tage später erzählte ich meinen Eltern von der Elektrosmog-Messung und sie engagierten prompt das «offizielle» Elektrosmog-Büro, das dann auch kam: Zwei Typen, die in der Wohnung herumwanderten, mit Geräten, die laut piepsten. Sie steckten mir Klammern an die Finger, sagten, dass mein Herz, mein Kopf und die Muskeln extrem unter Strom stehen. Sie verkauften mir eine Matte für unters Bett und ein Wechselstromfeld, das den Elektrosmog neutralisieren sollte. Sie sagten, es könnte am Anfang schlimmer werden mit meinen Beschwerden. Und dann besser.
Schlimmer wurde es, besser nicht. Zwei Wochen später stand dann der Krankenwagen vor der Tür. Und brachte mich dahin, wo ich (und meiner Meinung nach auch das ganze Elektrosmog-Gedöns) hingehörte: ins Irrenhaus, das legendäre Zürcher Burghölzli. Und zwar rechtzeitig, um Tage später zusammen mit anderen «Gestörten» live in der Station E2 im Aufenthaltsraum am Fernsehen 9/11 zu sehen.
Und wie ich mich von der «normalen» Welt verabschiedete, verschwand auch das Thema Elektrosmog bald wieder aus den Medien und den Köpfen der urban verstrahlten Leuten.
- von der Elektroniklobby gekauft wurde
- eben noch zu wenig weit entwickelt sei, um alles mit jetzt noch unbekannten Sinnen wahrzunehmen
- er die einzige Studie zum Thema Elektrosmog von Professor Doktor Wasserschwurbel noch nicht gelesen habe, denn sonst...
Ach ja, jede Wette auch, dass die Absender immer aus dem Burghölzli kommen.