Wenn Jacqueline Badran loslegt, wackeln die Wände. Nicht umsonst wird die Zürcher SP-Nationalrätin gerne als politische Urgewalt beschrieben. Über kaum ein Thema kann sie sich dermassen ins Feuer reden wie über den Schweizer Immobilienmarkt (wie watson schon zu spüren bekam). Dort herrscht für Badran nichts weniger als ein «illegaler Zustand».
Eine Kostprobe ihrer Empörung erhielt man am Dienstag an der Medienkonferenz des Nein-Komitees zu den beiden Mietrechts-Vorlagen, über die am 24. November abgestimmt wird. Jacqueline Badran hielt eines ihrer berüchtigten «Proseminare» zu Boden und Immobilien, die sie als «Inkarnation eines Anbietermarktes» bezeichnete.
Mit anderen Worten: Die Eigentümerinnen und Eigentümer verfügen über eine Machtfülle, mit der sie nicht nur die Zahlungsbereitschaft, sondern die Zahlungsfähigkeit der Mietenden abschöpfen. Dabei wäre gesetzlich die Kostenmiete vorgeschrieben. De facto aber existiere in der Schweiz die Marktmiete, für Badran «ein Skandal erster Klasse».
Die Zürcherin, die auch Vorstandsmitglied des Mieterinnen- und Mieterverbands (MV) ist, bezifferte die zu viel bezahlten Mieten auf jährlich zehn Milliarden Franken, was 370 Franken pro Haushalt und Monat entspreche. Kein Wunder, bezeichnete Badran die Mieterschaft als «Milchkuh der Nation». Dabei wäre sie rein demografisch klar in der Mehrheit.
Ausgerechnet in der reichen Schweiz ist der Anteil der Menschen, die in den eigenen vier Wänden wohnen, so tief wie nirgends in Europa. Mit 36 Prozent macht er etwas mehr als ein Drittel der Bevölkerung aus. 58 Prozent sind Mieterinnen und Mieter und knapp drei Prozent Genossenschafter. Der Rest sind Spezialfälle wie Dienstwohnungen.
Das wird so bleiben, und dafür gibt es einige Gründe, unter anderem das aufgrund der Raumplanung knappe Bauland bei wachsender Bevölkerung. Für immer mehr Menschen ist der Traum vom Einfamilienhaus oder auch nur einer Eigentumswohnung ausgeträumt. Wohneigentum ist nicht mehr ein Wohlstands-, sondern ein Statussymbol.
Der Immobilienexperte und Zürcher EVP-Kantonsrat Donato Scognamiglio unterstrich dies im watson-Interview mit einem pointierten Vergleich: «Die Schweiz wird zu Monaco – schier unbezahlbar.» Das hat Auswirkungen auf die Bevölkerungsstruktur. Ärmere Menschen werden aus den teuren Städten in die Agglomeration und aufs Land verdrängt.
Abhilfe ist nicht in Sicht, denn die Politik ist beim Wohnen auf nationaler Ebene alles andere als ein Abbild der Gesamtbevölkerung, wie die «NZZ am Sonntag» aufzeigte. Im Nationalrat liegt die Quote der Hauseigentümer bei 72 Prozent. Sie ist doppelt so hoch wie in der Bevölkerung. Im Ständerat liegt sie gar noch höher, bei über 80 Prozent.
Das betrifft keineswegs nur das bürgerliche Lager. Auch auf der linken Ratsseite bei den Sozialdemokraten und den Grünen besitze die Mehrheit der Parlamentarier Wohneigentum, so die «NZZ am Sonntag». Eine Ahnung davon erhielt man, als die Grünen letztes Jahr eine Mindestbelegung bei Neuvermietungen und Neubauten von Wohnungen forderten.
Als watson bei den Vertretern in National- und Ständerat nachfragte, auf wie viel Quadratmetern sie selbst wohnen, bestand die Antwort in dröhnendem Schweigen. Die Grünen wissen, warum sie von Transparenz in eigener Sache nichts halten. Das Problem der übergrossen Macht der Besitzenden aber konzentriert sich bei den Bürgerlichen.
Die parlamentarische Gruppe Wohn- und Grundeigentum hat fast 100 Mitglieder aus SVP, FDP und Mitte. Die Ausnahme ist der Aargauer GLP-Nationalrat Beat Flach, Vizepräsident beim kleinen Verband Casafair. Weitaus mehr Einfluss hat der Schweizerische Hauseigentümerverband (HEV), der von Zürcher SVP-Nationalrat Gregor Rutz präsidiert wird.
Auf sein Betreiben wurden in Bern sechs Vorstösse eingereicht, mit einer gemeinsamen Stossrichtung: Kündigungen und anschliessende Mietzinserhöhungen sollen einfacher werden. Der Ständerat war gemäss Jacqueline Badran zu einer Gesamtschau bereit, doch der Nationalrat setzte durch, dass sie als separate Vorlagen verabschiedet wurden.
MV-Vizepräsident Adriano Venuti sprach am Dienstag von einem «gut inszenierten Angriff auf das Mietrecht». Über die beiden ersten Vorlagen wird im November abgestimmt, weil der MV das Doppel-Referendum ergriffen hat. Der Ärger darüber war an der Medienkonferenz des Ja-Komitees eine Woche zuvor spürbar, denn es hat schlechte Karten.
Die erleichterte Kündigung für den Eigenbedarf ist angesichts des knappen Angebots an bezahlbaren Wohnungen praktisch chancenlos. Was auch daran liegt, dass diese Möglichkeit laut dem Luzerner Grünen-Nationalrat Michael Töngi schon heute oft als Vorwand dient, um Mietende rauszuwerfen und danach die Miete zu erhöhen.
Etwas besser sieht es bei den Einschränkungen für die Untermiete aus, dank Warnungen vor Airbnb oder Business-Apartments, die den Wohnungsmarkt zusätzlich einschränken. Allerdings stammen diese Angebote in den meisten Fällen von den Vermietern selbst. Und sie können schon heute einschreiten, wenn Mieter ihre Wohnung auf Airbnb anbieten.
Weitere Angriffe auf das Mietrecht, mit denen etwa die Anfechtung des Anfangsmietzinses erschwert werden sollen, werden es bei einem doppelten Nein schwer haben. Am Grundproblem des faktisch gesetzwidrigen Zustands auf dem Immobilienmarkt aber ändert dies nichts. Dabei ist das Obligationenrecht in diesem Punkt eigentlich eindeutig:
Allerdings folgen sogleich Ausnahmen, etwa für Anpassungen an die «orts- oder quartierüblichen Mietzinse» sowie «Kostensteigerungen oder Mehrleistungen des Vermieters». Mit diesen «gummigen» Vorgaben können vorab institutionelle Besitzer wie Immobilienkonzerne oder Pensionskassen ganze Liegenschaften «leerkündigen».
Möglich ist dies, weil es keine staatliche Kontrollinstanz gibt. Mietende müssten selbst nachweisen, dass eine Kündigung oder eine höhere Miete missbräuchlich sei, wie Fabian Gloor, Rechtsberater beim Mieterinnen- und Mieterverband, gegenüber watson erklärte. Davor hätten viele Hemmungen, und wo kein Kläger, da ist bekanntlich kein Richter.
Der Verband will dies mit einer Volksinitiative ändern, die nach der Abstimmung lanciert werden soll. Auf absehbare Zeit aber werden die Hauseigentümer am längeren Hebel sitzen und eine «leistungsfreie Rente» kassieren, wie Jacqueline Badran ausführte. Zum Leidwesen der Mieter, denn überhöhte Mieten sind gemäss Badran der «Kaufkraftkiller Nummer eins».
Worauf Badran konsequent hinweist! Sie ist absolut dossiersicher, verwendet und erklärt die Fachbegriffe aus der ökonomischen Forschung, nur um sie dann auf die politische Realität anzuwenden. Könnten sich einige Politiker:innen eine Scheibe von abschneiden.