Sie kommen aus dem Feiern nicht mehr heraus. An ihrer Delegiertenversammlung am letzten Samstag in Bern zelebrierten die Grünen ihren überwältigenden Wahlsieg vom 20. Oktober. Aus dem Lautsprecher dröhnte «Don't Stop Me Now» von Queen, als die Mitglieder der erheblich vergrösserten Bundeshaus-Fraktion auf die Bühne des Hotels National gerufen wurden.
Die Botschaft war eindeutig: Jetzt legen wir richtig los! Das gilt auch für die Ambitionen der Grünen auf einen Bundesratssitz. Alt- und Neuparlamentarier fordern eine Kandidatur bereits bei der Gesamterneuerungswahl am 11. Dezember. «Wir Grünen gehören in den Bundesrat», bekräftigte Präsidentin Regula Rytz am Samstag in Bern. Gleichzeitig hält die Parteileitung den Ball flach.
Ob die Grünen in der Wintersession antreten werden, ist keineswegs sicher. «Wir bleiben dran», sagte Rytz in der SRF-«Tagesschau». Mehr liess sie sich nicht entlocken. Für die Zurückhaltung gibt es gute Gründe. Der Weg der Grünen in die Landesregierung ist alles andere als einfach. Es lauern diverse Stolpersteine, die sich für die Partei sogar kontraproduktiv auswirken könnten.
Bei der Wahl in etwas mehr als fünf Wochen werden alle bisherigen Mitglieder des Bundesrats erneut antreten. Auch der bald 70-jährige Ueli Maurer (SVP) hat «kä Luscht» auf den Ruhestand. Die Grünen müssten folglich auf die Abwahl einer oder eines Bisherigen hinarbeiten. Im Visier haben sie einen der beiden FDP-Sitze, primär jenen von Aussenminister Ignazio Cassis.
Die Grünen sind dafür allein zu schwach, sie brauchen Verbündete. Laut Rytz befinden sie sich in «intensiven Diskussionen», wie ihre Chancen am 11. Dezember stünden. Gut sieht es nicht aus. Von SVP und FDP können sie nichts erwarten. Auch die CVP dürfte wenig Begeisterung für die Idee aufbringen, nach den Dramen von 2003 und 2007 zu einer weiteren Abwahl beizutragen.
Selbst von der SP gibt es höchstens lauwarme Unterstützung. Ob man die «Übervertretung» von SVP und FDP «im Dezember oder bei der nächsten Vakanz» angehe, sei offen, sagte Präsident Christian Levrat dem «Sonntagsblick». Der gewiefte Stratege weiss: Wenn die SP einen Angriff der Grünen im Dezember unterstützt, muss sie mit einer Retourkutsche der Bürgerlichen rechnen.
Beim Wähleranteil haben die Grünen die CVP überholt. Doch die sieben Sitze im Bundesrat werden nicht nach Parteienproporz verteilt, sondern von der Bundesversammlung gewählt. Und dort sieht es für die Grünen weniger rosig aus, sie dürften auch in der neuen Legislatur «nur» die fünftgrösste Fraktion bilden. Der Grund dafür sind die Kräfteverhältnisse im Ständerat.
Die Grünen haben in der kleinen Kammer bislang zwei Sitze. In Baselland, Bern, Genf und Waadt haben sie gute bis sehr gute Chancen auf zusätzliche Mandate. Selbst damit aber werden sie deutlich hinter CVP und FDP liegen. Die Grünen wollen sich deshalb erst nach den letzten Wahlgängen am 24. November festlegen, eine Woche bevor das neue Parlament erstmals tagen wird.
Seit dem 20. Oktober kursieren diverse Vorschläge für eine Art neue Zauberformel. Eine Möglichkeit wäre, die Sitze im Bundesrat nach dem Ergebnis der Parlamentswahl zu verteilen, also eine Art indirekter Proporz. SVP-Leitwolf Christoph Blocher schlug in der «Sonntagszeitung» ein Modell mit zwei SVP-Sitzen und je einem für Grüne, Grünliberale, FDP, CVP und SP vor.
Für eine solche Neusortierung braucht es jedoch einen breiten Konsens, und der ist im Hinblick auf den 11. Dezember nirgends in Sicht. Schwierig ist auch ein Ausbau von sieben auf neun Mitglieder, den Christian Levrat befürwortet. Er lässt sich nicht von heute auf morgen realisieren, denn dafür wäre eine Verfassungsänderung und damit auch eine Volksabstimmung notwendig.
Regula Rytz ärgerte sich am Samstag über taktische Rücktritte aus dem Bundesrat während der Legislatur. Konkret bezog sie sich auf die Abgänge von Doris Leuthard und Johann Schneider-Ammann vor einem Jahr, mit denen sich CVP und FDP deren Sitze auf absehbare Zeit sicherten. Solche Spielchen sollen nach Ansicht von Rytz nur noch in Ausnahmefällen möglich sein.
Das Problem heisst auch in diesem Fall: Leichter gesagt als getan. Taktische Überlegen waren schon immer ein Bestandteil von Bundesratswahlen. Die legendäre Zauberformel-Wahl von 1959 etwa war ein strategisches Meisterstück des damaligen CVP-Generalsekretärs Martin Rosenberg. Die heutigen Bundesratsparteien werden auf diese Möglichkeit kaum freiwillig verzichten.
Das vielleicht wichtigste Argument, warum die Grünen ihre Bundesrats-Gelüste vorerst zügeln sollten, ist die Umsetzung ihrer politischen Ziele. Für eine griffige Klima- und Umweltpolitik brauchen sie Stimmen von bürgerlichen Parteien. Mit der SVP können sie kaum rechnen. Sie müssen sich deshalb gut überlegen, ob sie es sich auch mit den Freisinnigen verderben wollen.
Sie wären dann auf die CVP angewiesen, und die hat klargemacht, dass sie keine übermässige Belastung der Randregionen akzeptieren will. Die Parteileitung ist sich des Problems bewusst. Für Lösungen im Sinne der Grünen werde es stets die Unterstützung «entweder der FDP oder der CVP brauchen», sagte Fraktionschef Balthasar Glättli laut «NZZ am Sonntag» an der DV in Bern.
Das Ziel sei, Mehrheiten für eine ökologische Politik zu schaffen, «nicht in Schönheit zu sterben». Die Alternative für die Grünen lautet deshalb: Wollen sie im Dezember ohne reelle Erfolgschance mit dem Kopf durch die Wand? Oder entscheiden sie sich für Realpolitik im Interesse der Umwelt und stellen die Bundesratsambitionen zurück? Die Antwort liegt eigentlich auf der Hand.
Was erhofft man sich von einem Grünen Bundesrat?