2003 versuchte Umweltminister Moritz Leuenberger (SP), den Bundesrat zu einer Klausursitzung zum Klimawandel zu bewegen. Der Berner Professor und Klimaforscher Thomas Stocker war bereits angefragt. Leuenberger trug die Idee im Bundesrat vor – und stiess auf blankes Unverständnis.
«Er kam zurück wie ein begossener Pudel», erinnert sich ein Eingeweihter. Die Regierung habe es nicht nötig, sich von einem Professor belehren zu lassen wie Studenten, habe FDP-Bundesrat Pascal Couchepin erklärt.
Das war 2003. Mit umso mehr Wucht ist der Klimawandel 2019 in Bundesrat und Bundesbern angekommen.
Die Frage, die sich nach der grünen Welle bei den National- und sogar Ständeratswahlen zeigt: Welche Zugeständnisse macht die Bundesversammlung im Dezember an die grünen und grünliberalen Wahlsieger? Oder versucht sie, die Welle auszusitzen?
Gespräche mit Departementsinsidern verschiedener Couleur ergeben dieser Tage überall ein ähnliches Bild. Zwar ist niemand dafür, amtierende Bundesratsmitglieder abzuwählen. Sollte es dennoch dazu kommen, dann ist für alle klar: Abwahl-Kandidat wäre FDP-Aussenminister Ignazio Cassis. Weil die Grünen aufgrund der Stärkeverhältnisse in der Bundesversammlung am ehesten Anspruch auf den zweiten FDP-Sitz haben.
Und weil Cassis innerhalb des Bundesrats wenig Rückhalt hat, auch bei SVP-Magistraten nicht. Seine Parteikollegin Karin Keller-Sutter dagegen stellt keiner in Frage.
Dazu kommt: Die Schweiz braucht dringend eine Lösung mit der EU, und Cassis trauen dies nur die wenigsten zu. Selbst einstige Supporter wie SVP-Altmeister Christoph Blocher haben Cassis offenbar abgeschrieben. Blocher legte dieser Tage eine Bundesratszusammensetzung vor, die nur noch einen Sitz für die FDP vorsieht.
Aber ob die Grünen die Mehrheiten für einen Sitz erhalten, ist völlig offen. Eine wichtige Frage: Macht die SP wirklich mit? Sie müsste ja befürchten, dass, wenn sie bei nächsten Wahlen verlieren sollte, auch ihr zweiter Sitz weg wäre.
Aber unmöglich ist nichts: Wenn SP und Grün-Parteien geschlossen für einen grünen Kandidaten stimmen, braucht es noch gegen 20 Stimmen aus CVP und SVP, um die Abwahl zu bewerkstelligen.
«Die Grünen müssen eingebunden werden», sagt ein Beobachter in einem bürgerlichen Departement. «Wenn Balthasar Glättli dann als Bundesrat den Benzinpreis auf um 50 Rappen erhöhen will, ist der grüne Spuk schnell vorbei.»
Ins Spiel gebracht wird im Umfeld eines Bundesrats auch die Variante, den Grünliberalen den zweiten FDP-Sitz zu geben. Aus der Überlegung heraus, dass der Verlust für die FDP leichter verdaulich wäre: «Auch Grünliberale sind ja Liberale.»
Längst laufen parallel dazu Planspiele für die Departementszuteilung – mit oder ohne grüner Regierungsbeteiligung. Vor allem zwei Faktoren wirken als Treiber: SP-Bundesrat Alain Berset möchte nach acht Jahren im Bundesrat gerne das Departement wechseln. Andere Bundesräte sehen das EU-Dossier bei Cassis in den falschen Händen. Szenarien, die folglich diskutiert werden:
Innenminister Berset übernimmt das EDA. Sofern Cassis wiedergewählt wird, geht der gelernte Arzt ins Innendepartement (EDI). Oder aber der grüne Nachfolger von Cassis. Beispielsweise Grünen-Präsidentin Regula Rytz, die Erfahrung aus der Berner Stadtregierung mitbringt. Oder der ehemalige Berner Erziehungsdirektor Bernhard Pulver.
Verteidigungsministerin Viola Amherd (CVP) wechselt in Bersets EDI, dieser übernimmt das EDA, Cassis wird Verteidigungsminister. Das wäre für viele die beste Variante. Sie dürfte allerdings schon daran scheitern, dass Amherd das VBS nicht verlassen und es nicht dem FDP-Mann überlassen will.
In einer anderen Variante wechselt die vielsprachige und selbstbewusste Keller-Sutter ins EDA, Cassis ins Justiz- und Polizeidepartement. Die Rochade unter FDP-Mitgliedern hätte nicht zuletzt den Zweck, im EU-Dossier einen Neustart zu machen.
Als Untervariante ist denkbar, die Direktion für europäische Angelegenheiten (DEA) vom EDA ins EJPD von Keller-Sutter zu transferieren. Die Justizministerin hat heute schon viele Schnittpunkte zum EU-Dossier, etwa beim Thema Migration. Sie geniesst auch im rechten Spektrum Respekt und könnte das Dossier auch innenpolitisch verankern.
Alles scheint offen. Einigermassen sicher ist nur: Die nächstjährige Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga wird es sein, die eine allfällige Departementsneuzuteilung leiten wird.