Den Grünen bleibt derzeit nichts erspart. Bei den Wahlen am 22. Oktober hatten sie die mit Abstand meisten Wähleranteile (-3,4 Prozent) sowie fünf Sitze im Nationalrat verloren. Und als die neue Fraktion am letzten Freitag über eine Bundesratskandidatur beriet, wurde ihr im Bundeshaus das Licht abgedreht. Sie musste den Entscheid auf Samstag vertagen.
Trotz aller Widrigkeiten wollen sie den Angriff wagen, und zwar nicht auf den frei werdenden SP-Sitz von Alain Berset, sondern die FDP. Die Freisinnigen hätten «das historisch schlechteste Resultat ihrer Geschichte» eingefahren, betonte Parteipräsident Balthasar Glättli vor den Medien. Die hämischen Reaktionen blieben nicht aus.
«Eine Verliererpartei erhebt Anspruch auf einen BR Sitz! Genau mein Humor!», lautet einer der meistgelikten Leserkommentare auf watson. Tatsächlich sind die Erfolgschancen der Grünen gleich null. Entsprechend schwertaten sie sich mit der Kandidatensuche. Glättli nahm sich gleich selbst aus dem Rennen, auch andere «Papabili» sagten ab.
Kein Wunder: Wer will sich als «Opferlamm» für eine Mission impossible zur Verfügung stellen? Die SVP wird die Grünen nicht zu einem Hearing einladen, die FDP ohnehin nicht. Auch andere Parteien zögern. Selbst die Unterstützung der SP ist nicht gesichert, denn ihr droht in diesem Fall ein bürgerliches «Revanchefoul» bei der Berset-Ersatzwahl.
Die Grünen wirken mit ihrem Bundesrats-Anspruch wie ein trötzelndes Kleinkind. Und dennoch fand sich am Dienstag ein Bewerber, in der Person des Freiburger Nationalrats Gerhard Andrey. Er weiss genau, dass er am 13. Dezember chancenlos sein wird. Und doch ist er alles andere als ein Alibi-Kandidat oder ein Hasardeur – ganz im Gegenteil.
Der 47-jährige Deutschfreiburger ist Bauernsohn, gelernter Schreiner und IT-Unternehmer. Ein perfekteres Profil für einen Bundesratskandidaten kann man sich kaum vorstellen. Von einem «Schwarznasenschafbonus» spricht CH Media, in Anspielung auf die überraschende Wahl von SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider.
Gleichzeitig würde ein Bundesrat mit Digitalkompetenz einem Land guttun, das sich oft schwertut mit der Digitalisierung. Andrey verkörpert quasi den Spagat zwischen Tradition und Moderne. Das macht ihn für Bürgerliche wählbar. Als Ständeratskandidat scheiterte er klar, doch bei der Nationalratswahl im Kanton Freiburg war Gerhard Andrey «Panaschiermeister».
Seine Kandidatur ist kein «Himmelfahrtskommando», sondern eine Investition in die Zukunft. Denn spannend für die Grünen wird es beim nächsten FDP-Rücktritt aus dem Bundesrat. Dann haben sie eine echte Chance, vor allem wenn sie die Grünliberalen ins Boot holen. Gemeinsam haben die beiden Parteien einen höheren Wähleranteil als FDP und Mitte.
Mit seinem unternehmerischen Profil wäre Gerhard Andrey für die GLP akzeptabel, die sich betont wirtschaftsfreundlich gibt. Und die Bürgerlichen werden sich gut überlegen müssen, mit welchen Ausreden sie ihn als Bundesrat verhindern wollen. Mit seiner jetzigen Bewerbung kann sich Andrey profilieren, auch gegenüber parteiinterner Konkurrenz.
Die Meldefrist bei den Grünen läuft bis Freitag. Ein potenzieller Kandidat ist der Glarner Ständerat Mathias Zopfi, der ein ähnlich «mehrheitsfähiges» Profil hat wie Gerhard Andrey. Für die FDP könnte es nicht jetzt, aber bald einmal eng werden. Sie dürfte ihre Bundesräte Ignazio Cassis und Karin Keller-Sutter «beknien», möglichst lange zu bleiben.
Solche Manöver können jedoch ins Auge gehen. Das musste die CVP erfahren, als sie sich ebenfalls an ihre beiden Sitze klammerte und dafür 2003 mit der Abwahl von Ruth Metzler bezahlte. Gerhard Andrey weiss, dass seine Zeit kommen wird. Seine Kandidatur ist nicht einfach ein Dienst an seiner Partei, sondern vielmehr ein cleverer Schachzug.
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