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Analyse

Wahlen 2023: Bundesrats-Zauberformel ist tot – so könnte es weitergehen

Juerg Grossen, Parteipraesident der GLP Schweiz und Nationalrat GLP-BE, links, und Balthasar Glaettli, Parteipraesident Gruene Schweiz und Nationalrat GP-ZH, rechts, sprechen kurz vor der Elefantenrun ...
GLP-Chef Jürg Grossen und Grünen-Präsident Balthasar Glättli wären gemeinsam stark genug, um Anspruch auf einen FDP-Sitz zu erheben.Bild: keystone
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So können Grüne und GLP die Bundesrats-Zauberformel knacken

Die Zauberformel für den Bundesrat ist nur noch fauler Zauber. Bei der nächsten Vakanz muss die FDP einen ihrer Sitze abgeben – aber nicht zwingend an die Mitte.
24.10.2023, 05:1024.10.2023, 09:20
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Am Sonntag hat die Schweiz ein neues Parlament gewählt. Schon im Vorfeld wurde über die Zusammensetzung des Bundesrats spekuliert. Greifen die Grünen den frei werdenden SP-Sitz an? Erhebt die Mitte Anspruch auf einen der beiden FDP-Sitze, wenn sie die Freisinnigen überholt? Nun steht das Ergebnis fest, doch der Nebel lichtet sich kaum.

Die Grünen sind die Verlierer der Wahlen, doch die forsche Fraktionschefin Aline Trede betonte am Sonntagabend, ihre Partei habe Anspruch auf einen Bundesratssitz, «auch arithmetisch». Parteipräsident Balthasar Glättli ist bei diesem Thema schwer fassbar. Entscheiden werden die Grünen am Freitag, wenn sich die neue Fraktion erstmals trifft.

Die Mitte liegt tatsächlich vor der FDP, beim Wähleranteil und vermutlich auch bei der Fraktionsstärke (noch sind einige zweite Wahlgänge für den Ständerat offen). Präsident Gerhard Pfister betonte am Sonntag, man wolle im Dezember keine amtierenden Bundesräte abwählen. Und liess sich im Gespräch mit watson auf Zahlenspiele ein.

«Die Zauberformel ist tot»

Was also gilt jetzt? Wahrscheinlich ist, dass sich bei der Gesamterneuerungswahl am 13. Dezember nichts ändern wird. Die SP kann den Sitz von Alain Berset verteidigen und die FDP ihre beiden Mandate zumindest vorläufig halten. Aber mittel- bis langfristig ist dieser Zustand unhaltbar, oder wie Aline Trede am Sonntag sagte: «Die Zauberformel ist tot.»

Besonders «magisch» war die Bundesrats-Zauberformel nie. Mit dem auch «arithmetische Konkordanz» genannten Zweckbündnis sollten das Parteienspektrum und die Wählerschaft möglichst breit in der Landesregierung abgebildet sein. Als die Zauberformel 1959 mit einem Kraftakt aus der Taufe gehoben wurde, waren die Voraussetzungen dafür gegeben.

Der Aufstieg der Blocher-SVP

FDP, CVP und SP waren etwa gleich gross, dahinter folgte mit Abstand die SVP. Andere konnten nie ernsthaft Anspruch auf einen Sitz im Bundesrat erheben, weder die «Migros-Partei» Landesring der Unabhängigen (LdU) noch Rechtsaussen-Gruppierungen wie die Schwarzenbach-Republikaner oder die Nationale Aktion, trotz zeitweiliger Achtungserfolge.

ARCHIV - ZUM 60. JAHRESTAG DER ZAUBERFORMEL IM BUNDESRAT, STELLEN WIR IHNEN FOLGENDES BILDMATERIAL ZUR VERFUEGUNG - Die erste Sitzung des neuen Bundesrates fand am 17. Dezember 1959 in Bern statt; v.l ...
Der erste nach der Zauberformel (2 FDP, 2 CVP, 2 SP, 1 SVP) gewählte Bundesrat von 1959.Bild: PHOTOPRESS-ARCHIV

Mit dem Aufstieg der Blocher-SVP in den 1990er-Jahren geriet die alte Zauberformel ins Wanken. Sie fiel 2003 mit der Abwahl von CVP-Bundesrätin Ruth Metzler. Vier Jahre später erfolgte die Retourkutsche mit dem Rauswurf von Christoph Blocher. Es folgte das sehr spezielle Intermezzo mit der Kleinpartei BDP und Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf.

Die FDP ist übervertreten

2015 wurde die arithmetische Konkordanz wieder hergestellt, doch nun steht sie erneut zur Disposition, durch den schleichenden Niedergang der FDP und die «Neuerfindung» von CVP und BDP unter dem Fusionsnamen Die Mitte. Gleichzeitig ist mit Grünen und GLP ein beträchtlicher Teil der Wählerinnen und Wähler gar nicht im Bundesrat vertreten.

Man kann es drehen und wenden, wie man will, oder wie die FDP Durchhalteparolen ausgeben: Die Zauberformel ist nur noch fauler Zauber. Die Freisinnigen sind übervertreten, und für die SVP/FDP-Mehrheit gilt dies erst recht. Deshalb wird es beim nächsten Rücktritt eines FDP-Mitglieds spannend, denn der Sitzanspruch der Partei ist nicht mehr legitimiert.

Wackeliger Anspruch der Mitte

Abhilfe schaffen könnte die Aufstockung des Bundesrats auf neun Sitze. Die beiden neuen könnten an die Mitte und die Grünen gehen. Auf absehbare Zeit ist das nicht realisierbar, genau wie jeder andere Versuch, den Bundesrat zu reformieren. Also doch die Mitte? Sie ist praktisch gleich stark wie die FDP, ihr Anspruch wäre mehr als wackelig.

Der bestaetigte Staenderat Mathias Zopfi (Gruene) posiert fuer ein Portrait bei den Eidgenoessischen Wahlen, am Sonntag, 22. Oktober 2023 in Glarus. Die Schweizer Buergerinnen und Buerger waehlen das  ...
Der Glarner Ständerat Mathias Zopfi schaffte die Wiederwahl problemlos. Er könnte als «Fusions-Kandidat» von Grünen und GLP antreten.Bild: keystone

Es lässt sich nicht leugnen, dass die Bundesrats-Arithmetik seit 1959 aus den Fugen geraten ist. Die SVP ist mit Abstand die Nummer eins, aber nicht so eindeutig, dass sich ein dritter Sitz rechtfertigen liesse. Dahinter folgt die SP als ebenso klare Nummer zwei vor den Ex-aequo-Parteien Mitte und FDP. Eine sinnvolle Aufteilung der sieben Sitze ist knifflig.

Kommt es zur «Öko-Fusion»?

Allerdings gäbe es einen Ausweg: Grüne und Grünliberale schliessen sich zu einer Zweckallianz zusammen. Alleine würden die Grünen wohl scheitern, doch ihr kombinierter Wähleranteil würde den Angriff auf einen FDP-Sitz mühelos rechtfertigen. Ein geeigneter Kandidat wäre der Glarner Ständerat Mathias Zopfi, ein Grüner mit grünliberalem Profil.

Natürlich wirkt diese Idee angesichts der schwierigen Geschichte der beiden Parteien auf den ersten Blick weit hergeholt. Sie müssten über ihren Schatten springen. Doch die GLP kann sich ihre eigenen Bundesratsträume auf absehbare Zeit abschminken. Durch eine gemeinsame Kandidatur mit den Grünen hätte sie zumindest einen Fuss in der Tür.

Ob es klappen würde, ist eine andere Frage. Vor allem die Mitte müsste mitspielen. Doch die bisherige Zauberformel ist «ein Festhalten am alten System der anderen Parteien, an der Vergangenheit», sagte GLP-Präsident Jürg Grossen am Montag gegenüber der Agentur Keystone-SDA. Oder anders gesagt: Sie ist nicht mehr im Interesse des Landes.

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225 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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RDC
24.10.2023 05:52registriert Juni 2020
Jetzt bestimmen also Verliererparteien und linke Schreiberlinge wie die Zauberformel auszusehen hat.
Mein Fehler, ich dachte immer, das machen die grossen Parteien unter sich aus.

P.S. eine Fusion von GP und GLP, ist wie eine Fusion von SP und FDP. Das hat nichts mit "über den Schatten springen" zu tun, das sind diametral gegensätzliche Vorstellungen.
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Zanzibar
24.10.2023 05:31registriert Dezember 2015
In den nächsten 4 Jahren wird gar nichts passieren. Die grossen 4 Parteien werden sich gegenseitig die Sitze sichern.
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Vogelisi
24.10.2023 06:33registriert Februar 2023
Meiner Meinung nach ist die Zauberformel im Moment nicht mal so falsch. Klar, rein aufgrund der Wähleranteile könnte man der FDP einen Sitz wegnehmen. Aber wem geben? Die Grünen haben mit ihren ca. 9% keinen grösseren Anspruch auf den Sitz als die SVP Anspruch auf 3 Sitze hätte (29%). Die GLP kann man meiner Meinung nach sowohl den Grünen als auch der FDP zurechnen. Einzig die SP ist meiner Meinung nach korrekt vertreten. Für einen zusätzlichen Mitte Bundesrat bzw. einen Verblieb des FDP Bundesrats spricht meiner Meinung nach noch die Dominanz im Ständerät. Schwierig Schwierig.
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