Am Sonntag hat die Schweiz ein neues Parlament gewählt. Schon im Vorfeld wurde über die Zusammensetzung des Bundesrats spekuliert. Greifen die Grünen den frei werdenden SP-Sitz an? Erhebt die Mitte Anspruch auf einen der beiden FDP-Sitze, wenn sie die Freisinnigen überholt? Nun steht das Ergebnis fest, doch der Nebel lichtet sich kaum.
Die Grünen sind die Verlierer der Wahlen, doch die forsche Fraktionschefin Aline Trede betonte am Sonntagabend, ihre Partei habe Anspruch auf einen Bundesratssitz, «auch arithmetisch». Parteipräsident Balthasar Glättli ist bei diesem Thema schwer fassbar. Entscheiden werden die Grünen am Freitag, wenn sich die neue Fraktion erstmals trifft.
Die Mitte liegt tatsächlich vor der FDP, beim Wähleranteil und vermutlich auch bei der Fraktionsstärke (noch sind einige zweite Wahlgänge für den Ständerat offen). Präsident Gerhard Pfister betonte am Sonntag, man wolle im Dezember keine amtierenden Bundesräte abwählen. Und liess sich im Gespräch mit watson auf Zahlenspiele ein.
Was also gilt jetzt? Wahrscheinlich ist, dass sich bei der Gesamterneuerungswahl am 13. Dezember nichts ändern wird. Die SP kann den Sitz von Alain Berset verteidigen und die FDP ihre beiden Mandate zumindest vorläufig halten. Aber mittel- bis langfristig ist dieser Zustand unhaltbar, oder wie Aline Trede am Sonntag sagte: «Die Zauberformel ist tot.»
Besonders «magisch» war die Bundesrats-Zauberformel nie. Mit dem auch «arithmetische Konkordanz» genannten Zweckbündnis sollten das Parteienspektrum und die Wählerschaft möglichst breit in der Landesregierung abgebildet sein. Als die Zauberformel 1959 mit einem Kraftakt aus der Taufe gehoben wurde, waren die Voraussetzungen dafür gegeben.
FDP, CVP und SP waren etwa gleich gross, dahinter folgte mit Abstand die SVP. Andere konnten nie ernsthaft Anspruch auf einen Sitz im Bundesrat erheben, weder die «Migros-Partei» Landesring der Unabhängigen (LdU) noch Rechtsaussen-Gruppierungen wie die Schwarzenbach-Republikaner oder die Nationale Aktion, trotz zeitweiliger Achtungserfolge.
Mit dem Aufstieg der Blocher-SVP in den 1990er-Jahren geriet die alte Zauberformel ins Wanken. Sie fiel 2003 mit der Abwahl von CVP-Bundesrätin Ruth Metzler. Vier Jahre später erfolgte die Retourkutsche mit dem Rauswurf von Christoph Blocher. Es folgte das sehr spezielle Intermezzo mit der Kleinpartei BDP und Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf.
2015 wurde die arithmetische Konkordanz wieder hergestellt, doch nun steht sie erneut zur Disposition, durch den schleichenden Niedergang der FDP und die «Neuerfindung» von CVP und BDP unter dem Fusionsnamen Die Mitte. Gleichzeitig ist mit Grünen und GLP ein beträchtlicher Teil der Wählerinnen und Wähler gar nicht im Bundesrat vertreten.
Man kann es drehen und wenden, wie man will, oder wie die FDP Durchhalteparolen ausgeben: Die Zauberformel ist nur noch fauler Zauber. Die Freisinnigen sind übervertreten, und für die SVP/FDP-Mehrheit gilt dies erst recht. Deshalb wird es beim nächsten Rücktritt eines FDP-Mitglieds spannend, denn der Sitzanspruch der Partei ist nicht mehr legitimiert.
Abhilfe schaffen könnte die Aufstockung des Bundesrats auf neun Sitze. Die beiden neuen könnten an die Mitte und die Grünen gehen. Auf absehbare Zeit ist das nicht realisierbar, genau wie jeder andere Versuch, den Bundesrat zu reformieren. Also doch die Mitte? Sie ist praktisch gleich stark wie die FDP, ihr Anspruch wäre mehr als wackelig.
Es lässt sich nicht leugnen, dass die Bundesrats-Arithmetik seit 1959 aus den Fugen geraten ist. Die SVP ist mit Abstand die Nummer eins, aber nicht so eindeutig, dass sich ein dritter Sitz rechtfertigen liesse. Dahinter folgt die SP als ebenso klare Nummer zwei vor den Ex-aequo-Parteien Mitte und FDP. Eine sinnvolle Aufteilung der sieben Sitze ist knifflig.
Allerdings gäbe es einen Ausweg: Grüne und Grünliberale schliessen sich zu einer Zweckallianz zusammen. Alleine würden die Grünen wohl scheitern, doch ihr kombinierter Wähleranteil würde den Angriff auf einen FDP-Sitz mühelos rechtfertigen. Ein geeigneter Kandidat wäre der Glarner Ständerat Mathias Zopfi, ein Grüner mit grünliberalem Profil.
Natürlich wirkt diese Idee angesichts der schwierigen Geschichte der beiden Parteien auf den ersten Blick weit hergeholt. Sie müssten über ihren Schatten springen. Doch die GLP kann sich ihre eigenen Bundesratsträume auf absehbare Zeit abschminken. Durch eine gemeinsame Kandidatur mit den Grünen hätte sie zumindest einen Fuss in der Tür.
Ob es klappen würde, ist eine andere Frage. Vor allem die Mitte müsste mitspielen. Doch die bisherige Zauberformel ist «ein Festhalten am alten System der anderen Parteien, an der Vergangenheit», sagte GLP-Präsident Jürg Grossen am Montag gegenüber der Agentur Keystone-SDA. Oder anders gesagt: Sie ist nicht mehr im Interesse des Landes.
Mein Fehler, ich dachte immer, das machen die grossen Parteien unter sich aus.
P.S. eine Fusion von GP und GLP, ist wie eine Fusion von SP und FDP. Das hat nichts mit "über den Schatten springen" zu tun, das sind diametral gegensätzliche Vorstellungen.