Am Freitag mussten die Grünen die Sitzung abbrechen, noch bevor sie entschieden hatten: Weil auf dem Bundesplatz um 19 Uhr das Lichtspiel startete, galt drinnen im Bundeshaus Lichterlöschen.
Am Samstag entschied die Fraktion alsdann in einer Onlinesitzung: Die Grünen greifen bei den Bundesratswahlen mit einer eigenen Kandidatur im Dezember an. Und an einem Point de Presse machte Parteipräsident Balthasar Glättli die Ansage: «Das Klima gehört in den Bundesrat.» Es ist der einprägsamste Slogan der Grünen im Wahljahr – eine Woche nach den Wahlen.
Mit dieser Zielsetzung ist auch klar, welche der Bundesratsparteien sicher nicht angegriffen wird: Die SP, die in der Klimapolitik praktisch identisch agiert wie die Grünen. Der Angriff der Grünen richtet sich ausdrücklich gegen den zweiten Sitz der FDP, wohl gegen Aussenminister Ignazio Cassis. Die FDP habe ihr «historisch schlechtestes Ergebnis» erzielt, sei mit zwei Sitzen klar übervertreten im Bundesrat «und muss jetzt Platz machen», sagte Fraktionschefin Aline Trede am Samstag vor den Medien.
Bald schon kursierten Namen möglicher Kandidatinnen und Kandidaten, darunter Bastien Girod. Am Sonntag teilte der Zürcher Nationalrat auf Anfrage mit: «Ich hatte eine Kandidatur bei einem Wahlergebnis von über 11 Prozent geplant.» Aufgrund der neuen Ausgangslage werde er sich nun überlegen, «ob ich mich zur Verfügung stelle». Zugleich verweist Girod auf «andere fähige Kandidaten», zum Beispiel den Freiburger Nationalrat Gerhard Andrey.
Auch als Kandidatin gehandelt wird Lisa Mazzone. Sie befindet sich in Genf noch im Rennen um den Ständerat – mit einer Bundesratskandidatur erhielte sie erhöhte Aufmerksamkeit. Oft genannt wird weiter der 39-jährige Glarner Ständerat Mathias Zopfi.
Zudem tauchen die Namen von kantonalen Grössen auf, etwa den Regierungsräten Isaac Reber, Baselland und Martin Neukom, Zürich. Parteipräsident Balthasar Glättli sagte derweil in der «Sonntagszeitung», er selber werde nicht antreten.
Die potenziellen Bundesratsanwärterinnen und -anwärter müssen bald die Karten auf den Tisch legen: Bereits am Freitag ist Anmeldeschluss für Kandidaturen. Und nur eine Woche später, am 10 November, will die Fraktion das Ticket zuhanden der Bundesversammlung präsentieren.
Plötzlich pressiert's. Und so wirkt die Operation «Klima in den Bundesrat» überstürzt, ja improvisiert. Doch dieser Eindruck täuscht. Tatsächlich ist das Vorgehen der Grünen von langer Hand geplant. Bereits im Juni, bei der Rücktrittsankündigung von SP-Bundesrat Alain Berset, teilte die Partei mit: «Bundesrat: Die Grünen planen, bei den Gesamterneuerungswahlen anzutreten.» Man habe Anspruch auf einen Sitz.
Nach dieser Kampfansage wurde es allerdings still. Die Grünen setzten zwar eine Findungskommission ein, deren Mitglieder blieben aber geheim. Nur wenig drang nach aussen. Diese Zeitung machte publik, dass die Findungskommission 60 Personen zu ihren Bundesratsambitionen interviewt hatte und daraus eine sogenannte Shortlist resultierte - mit immer noch 20 Namen.
Anders als die SP, die fast wöchentlich Namen lancierte, haben die Grünen jedoch nie ein Kandidatenkarussell angestossen – ihre Bundesratspläne trieben sie klandestin voran, als hätten sie Angst vor dem eigenen Mut.
Hat die Partei nicht eine Gelegenheit verpasst, im Wahlkampf von sich reden zu machen? Am Sonntag widerspricht Fraktionschefin Aline Trede dieser Sichtweise: «Die Basis der Grünen lässt sich kaum mit Bundesratswahlen mobilisieren. Wir machen Wahlkampf mit Inhalten, nicht mit Personalien oder Bundesratssitzen.» Zudem sei es richtig gewesen, zuerst die Wahlergebnisse abzuwarten: «Jetzt können mögliche Kandidatinnen und Kandidaten in Kenntnis der Situation entscheiden.»
Dabei müssen sie davon ausgehen, dass eine grüne Kandidatur kaum Chancen hat. Die FDP darf mit dem Support der SVP rechnen, die an einer rechtsbürgerlichen Mehrheit in der Regierung interessiert ist. Mitte-Präsident Gerhard Pfister will keine bisherigen Regierungsmitglieder abwählen.
Die SP hätte zwar wohl Sympathien für einen grünen Sitz auf Kosten der FDP, doch sie kann sich bei der Bundesratswahl keine Spielchen erlauben: Unterstützt sie die Grünen beim Angriff auf die FDP, könnte die bürgerliche Mehrheit später mit einer Vergeltungsaktion bei den beiden SP-Sitzen reagieren, über die das Parlament zuletzt entscheidet. Etwa, indem ein SP-Kandidat gewählt wird, der nicht auf dem Ticket steht – zum Beispiel Daniel Jositsch, sollte er von der SP-Fraktion nicht nominiert werden.
Bleibt noch die GLP von Präsident Jürg Grossen: «Die Zauberformel hat ausgezaubert», sagt er, «und ja, die FDP hat mit 14,3 Prozent exakt Anspruch auf einen Sitz». Bloss: «Mit zwei Sitzen für die SP und einem für die Grünen wäre Links-Grün massiv übervertreten.» Nach Unterstützung der zehnköpfigen GLP-Fraktion für die Grünen tönt auch das nicht.
Absolute Anfängertruppe, definitiv nix für den Bundesrat. In ein paar Jahren vielleicht, wenn die Glättlis und Tredes von der Politbühne verschwunden sind und ein paar Talente auftauchen. Wird sicher nicht passieren, aber man weiss ja nie.