Wann kamen Sie das erste Mal mit Drogen in Berührung?Alexandra *: Ich wusste schon früh, was Drogen sind. In meiner Jugendzeit, in den 1970er-Jahren, waren Drogen cool. Man sah am Barfüsserplatz diese Langhaarigen, die Künstler, diese Offenheit. Das war ein politisches Statement. Zum ersten Mal selbst konsumiert habe ich als Studentin. Mein damaliger Freund nahm mich mit ins Atlantis und wir snifften gelegentlich. Später war ich in Basel eine der ersten Frauen, die Kokain verkauften. Ich arbeitete in verschiedenen Bars, unter anderem war ich Personalchefin der Tabasco Kontakt-Bar.
Wie präsent waren Drogen in dieser Zeit, in den 1980er-Jahren?
Sie waren überall. Die Gäste rauchten in der Bar Haschisch. Ich weiss noch, wie Jörg Schild – damals Staatsanwalt – aufräumen wollte. Er hängte einen Briefkasten im Eingang auf und forderte uns auf, den Stoff, den wir fanden, einzuwerfen. Aber bei uns waren ja auch alle Mitarbeiterinnen süchtig. Die Drogen boomten plötzlich und kamen von überall her. Man nannte Basel «Klein-Istanbul». Unsere Kunden zahlten die Frauen zuweilen in «Naturalien», also mit Drogen. Ich mag mich noch gut an zwei Klienten erinnern, die in der chemischen Industrie gearbeitet und zu Hause in einem selbst gebastelten Labor Base hergestellt haben.
Und die Polizei?
Die Polizei war vor Ort, aber gleichzeitig ohnmächtig. Fahnder in Zivil sassen in den Bars und griffen zu, wenn sie etwas beobachteten. Die Gefängnisse waren voll. Die Süchtigen haben auf Entzug die Wände vollgekotzt. Die Drogenszene wuchs wie Unkraut und mit ihr die Drogenringe. Auch bei mir nahm der Konsum stetig zu. Ich war eine exzessive Kokserin, die Heroin zum Runterkommen brauchte. Da brauchte man viel Stoff, ich kam mit dem Dealen nicht mehr nach. Das alles machte mich kaputt und müde. Als mich Mitte der 1980er-Jahre die Polizei verhaftete, war Kooperation meine einzige Chance, die Haftzeit zu verringern. Bei einem grösseren Coup gegen einen Drogen-, Menschen- und Waffenhandelsring wurden 72 Personen verhaftet.
Danach haben Sie sechs Jahre im Gefängnis verbracht. Gelang Ihnen da der Ausstieg?
Im Gegenteil. Als ich 1993 rauskam, wurde ich zum obdachlosen Gassenjunkie. Ich begann zu spritzen, weil ich eine stärkere Wirkung brauchte. Dann hat sich alles verändert, mein ganzes Wesen. Ich fand kaum noch Venen an meinem Körper. Andere mussten mir helfen, damit ich mir einen Schuss setzen konnte. Um an Geld zu kommen, arbeitete ich zeitweise als Domina. Ich weinte beim ersten Mal und mein erster Kunde sagte zu mir: «Du musst das nicht machen.» Aber ich war bereit, für Stoff alles zu tun.
In dieser Zeit gab es das Haus Gilgamesch. Haben Sie das gekannt?
Wir haben das Gilgamesch geliebt. Es war die erste solche Institution. Wir wussten, dass wir dort willkommen sind. Es gab überall Matratzen, Löffel und Mistkübel. Das Gilgamesch war unsere Auffangstation, die sich wie ein Lauffeuer herumsprach. Dort konnten wir übernachten, uns waschen und erholen. Das gab uns ein Stück Würde zurück. Man kann sich das heute kaum mehr vorstellen, weil die meisten Süchtigen in einem Programm sind und nicht mehr auf der Strasse leben. Aber wir von der Gasse schlichen damals nächtelang durchs Kleinbasel und schliefen dann tagsüber unter den Büschen. Es ging nur noch ums Überleben.
* Alexandra (Name geändert) hat nach jahrelanger Drogensucht den Ausstieg geschafft. Heute arbeitet sie in leitender Funktion in einer Stiftung. (bzbasel.ch)