Schweizer Teenager sind Vizeweltmeister im Kiffen. Nur in Frankreich ist der Anteil der männlichen jungen Cannabis-Konsumenten so hoch wie bei uns. Andere weiche Drogen haben dagegen einen schweren Stand. Der Global Drug Survey, die weltweit grösste Umfrage unter Drogen-Konsumenten, warnte in der jüngsten Ausgabe vor den sogenannten synthetischen Cannabinoiden – im Labor hergestellter Cannabis-Ersatz. Die Gefahr dieser Legal Highs sei nicht zu unterschätzen, bei keiner anderen Droge bestehe ein derart hohes Risiko eines medizinischen Notfalls.
Vor allem in Grossbritannien und den USA befinden sich Legal Highs auf dem Vormarsch, in der Schweiz dagegen sind sie kaum ein Thema, wie auch ein Bericht des Bundesamts für Gesundheit (BAG) festhält. Oliver Berg, ärztlicher Leiter des Suchtmedizin-Zentrums Arud erklärt, wieso die gefährliche Cannabis-Kopie in der Schweiz nicht auf mehr Begeisterung stösst.
Was genau versteht man unter synthetischen Cannabinoiden?
Der Überbegriff Legal Highs umfasst eine ganze Reihe von neuen psychoaktiv wirksamen Substanzen (NPS), die von der Gesetzgebung noch nicht erfasst sind. Einzelne sind auch unter dem Namen Spice oder K2 bekannt.
Es handelt sich dabei um einen Gras-Ersatz.
Ja. Sie ähneln in ihrer Wirkweise Tetrahydrocannabinol (THC), dem Cannabis-Wirkstoff. Allerdings fehlt im Gegensatz zum Cannabis das Gegenstück zum anregenden THC das eher sedierende Cannabidiol.
Wie sieht der Konsum in der Schweiz aus?
In der Schweiz ist der Konsum von Legal Highs nur begrenzt verbreitet. In englischsprachigen Ländern sieht das ganz anders aus. Vor einiger Zeit kam die Frage auf, ob sich Spice in Genf verbreitet. Aber genaue Zahlen haben wir dazu nicht.
Weshalb ist synthetisches Cannabis nicht beliebter?
Grundsätzlich konsumiert die Schweizer Bevölkerung vornehmlich das klassische, richtige Cannabis.
Weshalb? Weil es so leicht zu beschaffen ist?
Ich glaube, es ist eher eine kulturelle und rituelle Sache. Der typische Schweizer Cannabis-Konsument schätzt die Wirkung des normalen, richtigen Gras. Man weiss was man hat, wenn man Gras raucht – auch wenn es hier Unterschiede bezüglich des THC-Gehalts gibt. Das kann man von synthetischen Cannabinoiden nicht behaupten. Die Wirkung unterscheidet sich da von Mal zu Mal. Ausserdem stimmen nur wenige Konsumenten zu, dass Legal Highs eine bessere Wirkung haben als herkömmliches Cannabis.
Und Neugierde auf die Wirkung spielt keine Rolle?
Kaum. Jedenfalls nicht beim typischen Cannabis-Konsumenten. Der durchschnittliche Gras-Raucher hat schlicht kein Bedürfnis, sich von seinem klassischen Joint zu trennen. Er bleibt seinem Produkt treu.
Wie sieht das Profil des Legal-Highs-User aus?
Die typischen Legal-High-User sind eine eher heterogene Gruppe von rausch- und experimentierfreudigen jungen Erwachsenen, und nicht der typische Cannabis-Konsument.
Aber das funktioniert ja nur, wenn der Nachschub gesichert ist.
Ja, aber in der Schweiz ist das nun definitiv kein Problem. Man baut sich das Gras selber an oder beschafft es sich im Kollegenkreis.
Gibt es Hinweise, dass der Trend hin zu den Legal Highs dereinst über die Grenze schwappen wird?
Ich glaube nicht. Darauf deutet wenig hin. Vielleicht kommt es in den Grenzbereichen – nahe der französischen Grenze oder nahe Süddeutschland – zu einem Anstieg des Legal-High-Konsums. In Süddeutschland beispielsweise ist bekannt, dass vermehrt solche Produkte aus Tschechien eingeführt werden.
Erübrigt sich dank der Legalisierung, beziehungsweise einer liberalen Drogenpolitik, der Konsum von «alternativen Drogen» wie den legal highs?
Ich würde sagen, je offener das politische System und die Gesellschaft gegenüber einer angemessenen Drogenpolitik sind, desto besser funktioniert die Regulierung und desto besser kann man mittels Prävention vor allem Jüngere erreichen. So kann sie auch warnen vor Wirkungen und Gefahren von unkontrollierten Substanzen. In der Schweiz funktioniert das mit der Vier-Säulen-Politik ganz gut.
Wie gefährlich ist denn der Konsum von Legal Highs?
Wie bei jeder psychoaktiven Substanz muss man das individuell betrachten. Was den einen User umhaut, ist für den anderen weniger gefährlich. Tatsache ist aber, dass die Nebenwirkungen von synthetischen Cannabinoiden erheblich sein können.
Was sind die typischen Nebenwirkungen beim Konsum von Legal Highs?
Panikattacken, Kreislaufstörungen und Herz-Rhythmusstörungen. Auch Bewusstseinsverschiebungen, Gleichgewichts- und Wahrnehmungsstörungen können auftreten. Oftmals hat man es mit schweren Intoxikationen zu tun. Das Problem ist, dass wir nicht wissen, was beigemischt wird.
Wie werden Spice & Co. konsumiert?
Entweder geraucht wie Cannabis, indem ein pflanzliches Produkt «bestäubt» wird. Oder oral in Form von Tropfen oder mittels eines Vaporizers.
Wo werden die synthetischen Cannabisprodukte hergestellt? In der Regel stammen die Produkte aus Drogenlabors in Osteuropa, aus China oder den USA, dort werden sie oft unter widrigsten Umständen hergestellt. Wirkmechanismus und Toxikologie der Substanzen sind wenig bekannt.
Und wie funktioniert der Vertrieb?
In erster Linie übers Internet. Dort werden die Produkte etwa als «Jamaican Gold Extreme» angeboten, in einer farbigen, poppigen Aufmachung. Die Assoziation zu Cannabis ist natürlich gewollt. In der Produktebeschreibung steht dann: 100 Prozent Legal High, was natürlich nichts anderes heisst, als dass die Substanzen noch nicht kontrolliert wurden und deshalb noch nicht unter das Betäubungsmittelgesetz fallen.
Wie ist die Rechtslage bei den Legal Highs ausgestaltet?
Die Schweiz kategorisiert die Legal Highs nach einzelnen Substanzen. Fällt eine Substanz unter das Betäubungsmittelgesetz, so wird sie in den Labors einfach durch eine andere, «legale», ersetzt. Somit steigt die Zahl der Verbote laufend, wenn der Zoll oder die Polizei neue Legal Highs entdeckt. Generell gilt: Die Rechtslage ist extrem unübersichtlich. Das wird von den Herstellern natürlich ausgenutzt. Die Behörden hinken immer einen Schritt hinterher.
Was sagen Sie zu den Schauergeschichten, die rund um die Legal highs kursieren?
Hier muss man immer die individuelle Wirkung betrachten. Es gibt Fälle von Fremdaggressionen und Konsumenten, die sehr intensive Verhaltensänderungen zeigen. Aber dass Personen unter dem Einfluss von Spice, K2 oder Badesalz anderen Personen Gliedmassen abbeissen – diese Mediengeschichten muss man kritisch beurteilen. Erstens sind das Einzelfälle und zweitens muss man auch eruieren, ob psychische Vorbelastungen vorliegen. Unter dem Einfluss von Spice gefährdet man eher sich selber als Fremde.