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Corona-Leaks: Bundesgericht verweigert Datenzugriff – was das bedeutet

ARCHIV - ZUM RUECKTRITT VON ALAIN BERSET ALS BUNDESRAT, STELLEN WIR IHNEN FOLGENDES BILDMATERIAL ZUR VERFUEGUNG - . Bundesrat Alain Berset, Mitte, geniesst neben Statthalter und Gesundheitsdirektor Ma ...
Ex-Bundesrat Alain Berset war wegen Indiskretionen in die Schusslinie geraten.Bild: keystone

Corona-Leaks: Bundesgericht verweigert Datenzugriff – was das Urteil bedeutet

Während der Pandemie flossen geheime Informationen aus dem Bundesrat zum «Blick». Das Ende eines Strafverfahrens.
14.02.2025, 13:0314.02.2025, 13:03
Andreas Maurer / ch media
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November 2020: Die Zahl der Coronatoten stieg von Tag zu Tag. Da tippte Peter Lauener, der Kommunikationschef von Bundesrat Alain Berset, eine Nachricht an Ringier-CEO Marc Walder: «Vertraulich einige Infos: Die Gelder für den Impfstoff sollten wir wohl erhalten.» Am nächsten Tag publizierte Ringiers Zeitung «Blick» die Frontschlagzeile zum Thema – und nahm den Entscheid des Bundesrats dazu vorweg.

Die «Schweiz am Wochenende» machte diese Corona-Leaks vor zwei Jahren publik. Sie stützte sich dabei auf Einvernahmeprotokolle aus einem Strafverfahren. Zu diesen Ermittlungen hat das Bundesgericht nun einen wegweisenden Entscheid gefällt: Es gewährt der Bundesanwaltschaft keinen Zugriff auf beschlagnahmte Daten.

Worum geht es?

Die Bundesanwaltschaft machte in einem anderen Strafverfahren einen Zufallsfund. Als sie einem Verdacht nach einer Amtsgeheimnisverletzung in der «Crypto-Affäre» nachging, stiess sie auf die Coronamails zwischen Lauener und Walder. Die Strafverfolgungsbehörde weitete das Verfahren deshalb aus. Sie liess bei beiden Männern Hausdurchsuchungen durchführen und beschlagnahmte grosse Datenmengen.

Bundesrat Alain Berset, rechts, schreitet mit seinem Kommunikationschef Peter Lauener zur Medienkonferenz, an welcher er im Anschluss an die Sitzung des Bundesrates die Eroerterungen der Regierung zur ...
Kommunikationschef Peter Lauener begleitete Bundesrat Alain Berset auf Schritt und Tritt.Bild: keystone

Beide Betroffenen sowie die Ringier AG verlangten eine Versiegelung. Die Bundesanwaltschaft hingegen beantragte die Entsiegelung und wollte Laueners Mails gezielt nach Journalistenkontakten durchsuchen.

Deshalb mussten die Gerichte entscheiden, welche Daten die Ermittler auswerten dürfen. Zuerst wies das Berner Zwangsmassnahmengericht das Entsiegelungsgesuch ab. Dagegen wehrte sich die Bundesanwaltschaft.

Wie lautet das Urteil?

Das höchste Gericht weist die Beschwerde der Bundesanwaltschaft ab und betont dabei die Bedeutung des journalistischen Quellenschutzes. Das Redaktionsgeheimnis ist in der Bundesverfassung verankert.

Darauf können sich neben Journalistinnen und Journalisten auch deren Hilfspersonen berufen. Dazu zählen nicht nur Layouterinnen oder Drucker, sondern auch Verleger oder Geschäftsleitungsmitglieder. Somit profitiert auch Medienmanager Walder vom Quellenschutz.

Im Austausch: Bundesrat Alain Berset mit Ringier-CEO Marc Walder.
Selfie mit dem Bundesrat: Alain Berset und Ringier-CEO Marc Walder.Bild: Peter Klaunzer/Keystone

Die Gerichte können das Redaktionsgeheimnis nur in Ausnahmefällen aufheben: Wenn es um die Aufklärung schwerer Straftaten geht, zum Beispiel um ein Tötungsdelikt. Eine Amtsgeheimnisverletzung hingegen ist nur ein Vergehen.

Was bedeutet das für die Medienfreiheit?

Das Bundesgericht betont die «Wächterfunktion» der Medien. Diese seien für eine demokratische Gesellschaft unentbehrlich. Die Medien sollten Missstände ungehindert aufdecken können. Dafür müssten sie ihre Quellen schützen können.

Das Gericht hält fest: «Kann der Informant davon ausgehen, dass sein Name geheim bleibt, wird er die Information den Medien eher zugänglich machen, als wenn er mit der Offenlegung seines Namens rechnen müsste, was rechtliche, berufliche und gesellschaftliche Nachteile für ihn haben könnte.»

Dabei spielt das Motiv des Informanten keine Rolle. Es ist also egal, ob er wie im aktuellen Fall mutmasslich die Meinungsbildung des Bundesrats beeinflussen oder einen Missstand aufdecken will. Das Bundesgericht gewichtet das Vertrauensverhältnis zwischen Informanten und Medienschaffenden höher als das Interesse der Strafverfolger nach einem Datenzugriff.

Das höchste Gericht nimmt das Urteil in seine amtliche Publikation auf. Das bedeutet, dass es sich in künftigen Fällen darauf berufen wird.

Was bedeutet das Urteil für die Bundesanwaltschaft?

Die Strafverfolgungsbehörde wird ihr Verfahren wohl einstellen müssen, wie schon jenes zur Crypto-Affäre. Sprich: ausser Spesen nichts gewesen.

Bei den Corona-Leaks ist die Bundesanwaltschaft hart eingefahren. Sie nahm Lauener vier Tage in Haft. Seine Karriere war danach zu Ende. In vergleichbaren Fällen muss die Bundesanwaltschaft künftig wohl zurückhaltender vorgehen.

Hätte ein Strafverfahren aber nicht die Transparenz erhöht?

Nach dem Bundesgerichtsurteil bleibt ein Widerspruch. Ringier-Chef Walder fungierte demnach als journalistischer Mittelsmann. Deshalb kann er sich auf den Quellenschutz berufen. Im Umkehrschluss legt dies nahe, dass Bersets Departement der «Blick»-Redaktion geheime Informationen via Walder zukommen liess. Dies bestritt die «Blick»-Redaktion jedoch.

Die Frage bleibt nun offen. Ein Strafverfahren hätte sie klären können, wenn das Bundesgericht die Daten freigegeben hätte.

Allerdings kann sich die Öffentlichkeit schon heute eine Meinung dazu bilden, weil die «Schweiz am Wochenende» die Coronamails enthüllt hat. Auch diese Publikation damals war nur aufgrund von Indiskretionen und eines funktionierenden Quellenschutzes möglich.

Bundesgerichtsurteil: 7B_733/2024

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21 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Snowy
14.02.2025 15:16registriert April 2016
Zusammengefasst: Berset und sein Kommunikationschef können nicht entlastet werden und haben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Bundesrats-Internas an Ringier & Co weitergeleitet.
Und dies muss aufgearbeitet werden: Welcher Partei der BR angehört ist (mir) völlig egal. Aber sowas muss geahndet werden.

Ich seh hier kein Links/Rechts-Problem: Ich sehe einen Altbundesrat, der alles dafür tut mit positiven Schlagzeilen in den Medien zu stehen.
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