Der Sommer 2021 in der Schweiz ist nicht nur meteorologisch eine Herausforderung. Auch die epidemiologische Lage präsentiert sich labil. Die Fallzahlen steigen aufgrund der hoch ansteckende Delta-Variante an. Gleichzeitig kommen die Impfungen kaum noch vom Fleck. Erst etwas mehr als 40 Prozent der gesamten Bevölkerung sind vollständig geimpft.
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Manche können sich (noch) nicht impfen lassen, vor allem Kinder und Jugendliche. Andere weigern sich, und schliesslich gibt es jene, die abwarten. In Bern steigt die Nervosität. Nun steht laut CH Media sogar der nächste Öffnungsschritt, den der Bundesrat in der ersten Sitzung nach den Ferien am 11. August beschliessen wollte, auf der Kippe.
Die Frage steht deshalb im Raum, wie die Impfbereitschaft angekurbelt werden könnte. Eine Möglichkeit ist die Ausweitung des Covid-Zertifikats für Geimpfte, Getestete und Genesene auf weitere Bereiche, etwa Restaurants oder kleinere Veranstaltungen. Damit könnten neue Einschränkungen oder Schliessungen vermieden werden, so das Kalkül.
Die betroffenen Branchen reagieren unterschiedlich. Vor allem in der Gastronomie überwiegt die Ablehnung. Die im Parlament vertretenen Parteien sind sich ebenfalls nicht einig. Bei den Bürgerlichen herrscht teilweise eine grosse Diskrepanz.
Die grösste Schweizer Partei legt in der Regel sehr viel Wert auf Geschlossenheit. Bei den Corona-Vakzinen aber zeichnet sich ein veritabler Elite-Basis-Konflikt ab. Während sich «Übervater» Christoph Blocher oder Parteipräsident Marco Chiesa teilweise schon früh impfen liessen, dominieren im SVP-Anhang die Impfgegner und -skeptiker.
Mehr als 60 Prozent wollen sich gemäss der jüngsten Corona-Umfrage der SRG gar nicht impfen lassen oder abwarten. Etwa gleich viele sind laut der Erhebung des Instituts Sotomo gegen das Zertifikat. Sie verhalten sich teilweise so aggressiv, «dass sich gewählte Politiker nicht mehr trauen, öffentlich zu sagen, dass sie geimpft sind», berichtet die NZZ.
Fraktionschef Thomas Aeschi ist geimpft, das Covid-Zertifikat aber will er abschaffen, ausser für den internationalen Reiseverkehr. Der Zuger Nationalrat unterstützt das zweite Referendum gegen das Covid-Gesetz, über das vermutlich am 28. November abgestimmt wird. Parteichef Chiesa hingegen äussert sich zum Zertifikat ambivalent.
Auf der anderen Seite stehen die SVP-Gesundheitsdirektoren in den Kantonen. Sie sind in der Regel klare Impfbefürworter. Der Berner Pierre-Alain Schnegg ist gemäss NZZ auch offen für eine Ausweitung der Covid-Nachweise. Die SVP dürfte die Nein-Parole zum Covid-Gesetz beschliessen, aber die interne Debatte könnte heftig werden.
Die Basis der Sozialdemokraten bildet den Gegenpol zur SVP. Sie befürwortet Impfungen und Zertifikat sehr deutlich. Entsprechend offen sind SP-Exponenten für eine Ausweitung der Zertifikatspflicht. «Eine Schliessung der Institutionen möchten wir unter allen Umständen verhindern», sagte die Schaffhauser Nationalrätin Martina Munz in der SRF-Tagesschau.
Als Voraussetzung nannte Munz einen Anstieg der Hospitalisierungen. Ähnlich äusserte sich Fraktionschef Roger Nordmann in der «Sonntagszeitung». Derzeit ist es in den Spitälern ruhig. Wenn der Bundesrat jedoch eine Ausweitung des Zertifikats beschliessen sollte, wird sich die SP nicht gegen ihren Gesundheitsminister Alain Berset stellen.
Die Freisinnigen haben sich bislang als einzige Partei öffentlich geäussert. In einer Mitteilung schliessen sie Massnahmen gegen Personen ohne Zertifikat nicht aus. Priorität für die FDP hat aber «das Ende der Gratis-Tests». Dies betreffe «Personen, die sich impfen lassen könnten und asymptomatisch sind». Sie sollen die Schnelltests künftig selbst bezahlen.
Der Solothurner Nationalrat Kurt Fluri forderte sogar, dass Ungeimpfte, die schwer an Covid-19 erkranken, ihre Spitalkosten selber tragen sollen. Die Kritik auch aus den eigenen Reihen war heftig, denn Fluri rüttelt an der solidarischen Krankenversicherung. Die Basis der FDP ist gemäss der SRG-Umfrage klar für Impfungen und Zertifikat.
Eine Ausweitung der Zertifikatspflicht auf kleinere Veranstaltungen, Sportaktivitäten, Sportanlässe, Fitnesscenter, Gastronomie, Spitäler, Heime ist abzulehnen! Die Politik muss auch zur persönlichen Freiheit Sorge tragen!https://t.co/3pb7LwR1c4
— Martin Candinas (@martin_candinas) July 25, 2021
Gleiches gilt für die Mitte-Anhängerschaft. Bei den politischen Akteuren aber ist das Spektrum so breit wie in keiner anderen Partei. Für den Berner Nationalrat Lorenz Hess ist eine weitgehende Zertifikatspflicht keine Diskriminierung der Nichtgeimpften, sondern «ein notwendiger Akt der Solidarität», wie er in der «Sonntagszeitung» ausführte.
Auf der anderen Seite stehen vor allem Exponenten des rechten Parteiflügels wie der Schwyzer Nationalrat Alois Gmür, der für eine Rückkehr zur Normalität plädiert. Auch der Bündner Nationalrat Martin Candinas wehrte sich auf Twitter gegen eine Ausweitung der Zertifikatspflicht: «Die Politik muss auch zur persönlichen Freiheit Sorge tragen!»
Die Grünen befinden sich in einer ziemlich delikaten Lage. Ihre Anhänger sind ebenfalls mehrheitlich für Impfungen und Zertifikat, aber der Anteil der Gegner und Skeptiker ist vergleichsweise gross. Das erstaunt wenig: Unter den Wählerinnen und Wählern der Grünen findet man oft Befürworter alternativer Heilmethoden, die der Schulmedizin misstrauen.
Die Partei hält sich deshalb beim Thema Zertifikat eher bedeckt. Die St.Galler Nationalrätin Franziska Ryser meinte in der Tagesschau, eine Ausweitung sei «ein prüfenswerter nächster Schritt», falls die Hospitalisierungen noch einmal stark ansteigen. Die Corona-Massnahmen des Bundesrats allerdings haben die Grünen bislang ausnahmslos mitgetragen.
Die GLP-Basis befürwortet neben jener der SP Impfungen und Zertifikat am deutlichsten. Parteipräsident Jürg Grossen geht bei seinen Forderungen so weit wie sonst kaum jemand in Bundesbern: «Die Gesundheitsbehörden müssen jetzt alles unternehmen, um die Impfquote zu steigern», sagte der Berner Nationalrat in der «Sonntagszeitung».
Neben kostenpflichtigen Schnelltests verlangt Grossen eine Ausweitung der Zertifkatspflicht nach dem Vorbild von Frankreich. Dort hat allein die Ankündigung zu einem Schub bei den Impfanmeldungen geführt. In die Nesseln setzte sich Grossen mit der Idee, dass ungeimpftes Pflege- und Betreuungspersonal einen Sticker tragen könnte.
Kritiker fühlten sich an dunkle Zeiten erinnert. Das mag übertrieben sein, aber Jürg Grossens Vorschlag zeugt nicht von Fingerspitzengefühl. Als Tendenz lässt sich herauslesen, dass eine erweiterte Zertifikatspflicht mehrheitsfähig werden könnte, falls sich die Lage in den Spitälern zuspitzen sollte. Steigende Fallzahlen genügen dafür kaum.
Letztlich wird das Stimmvolk über diese Frage entscheiden, denn das neue Referendum der Massnahmenskeptiker gegen das Covid-Gesetz richtet sich explizit gegen das Zertifikat. Bei der Abstimmung dürfte es einmal mehr heissen: Alle gegen die SVP.
Es wäre eigentlich so einfach.
Aber diejenigen, welche am lautesten sein werden, sind die Selben die hofften sich als Trittbrettfahrer durch die Pandemie schmuggeln zu können.
Es ist der Teil der Bevölkerung der allen anderen das Leben aus reinem Egoismus oder Bequemlichkeit schwer macht und dann irgendwas von Freiheit und Selbstbestimmmung schwafelt.
Wenn man die Geister, die man rief, nicht mehr los wird…