Die Schweiz kann aktuell nicht wirklich glücklich mit ihrem Impffortschritt sein. Guter Rat wäre teuer, nur herrscht hierzulande das Sommerloch: Der FDP-Nationalrat Kurt Fluri forderte etwa, dass Ungeimpfte die Kosten ihrer Covid-Erkrankung selber tragen müssten. Der Arbeitgeberverband meint, Chefinnen und Chefs sollen von Angestellten das Covid-Zertifikat verlangen dürfen. Und drüben beim Gratisblatt «20 Minuten» kann zudem skandalös gelesen werden, dass zwei ungeimpfte Personen alleine am Arbeitsplatz den zMittag essen mussten.
Solche Schlagzeilen und Äusserungen könnten zum Eigentor werden: Menschen, die aus irgendeinem Grund gegen eine Impfung sind, werden mit steigendem Druck – auch wenn sie nur rhetorische Drohungen sind – mit Gegenwehr reagieren. Sprich: Sich weiter vom gesellschaftlichen Ziel abwenden, die Pandemie gemeinsam in den Griff zu bekommen.
Dabei wäre es gerade jetzt wichtig, ihr Vertrauen zu gewinnen. Die Zeit spielt gegen uns: Jeder Tag, an dem sich das Coronavirus weiterverbreiten kann, birgt die Gefahr von neuen Mutationen. Und damit die Möglichkeit einer Katastrophe, dass die hierzulande eingesetzten Impfstoffe nichts mehr bringen.
Die Schweizer Pandemiepolitik hat das realisiert und dagegen das Covid-Zertifikat geschaffen. Es beruht auf einer eigentlich genialen Idee: Jeder und jede kann etwas gegen die Pandemie unternehmen. Wer sich aus persönlichen, gesundheitlichen oder politischen Gründen nicht impfen lassen will, kann mit regelmässigen Tests oder einer durchgemachten Erkrankung bestätigen: Auch ich helfe mit!
Als «Belohnung» gibt's einen QR-Code, mit dem man einfacher ins Ausland reisen oder im Nachtclub mittanzen darf. Die Lösung ist gewiss nicht perfekt: Auch Geimpfte, Getestete und Genesene können (erneut) erkranken oder andere infizieren. Das gesellschaftliche Risiko sinkt aber unter dem Strich.
Und das muss doch das Ziel sein! Die Schweiz konnte bis heute rund 5,5 Millionen Covid-Zertifikate ausstellen und eine gewisse Rückkehr zur freiheitlichen Ordnung ermöglichen. So wie es im Frühling 2021 versprochen wurde. Schaden wir doch dieser Idee nicht, indem Sorgen, Ängste und Zweifel gesät oder Impfskeptiker unter Druck gesetzt werden. Solche Drohgebärden werden vermutlich das Sommerloch nicht überdauern – sie nagen aber langfristig am Vertrauen in die Gesundheitspolitik, das gerade in einer Pandemie wichtig wäre.
Was wirklich hilft, sind Informationen und Überzeugungsarbeit. Und zwar von allen. Als watson-Redaktion versuchen wir das täglich, in dem wir Ängste mit leicht verständlichen Fakten begegnen und öffentlich erklären, wieso wir uns für den Piks entschieden haben. Politikerinnen und Experten täten gut daran, auch so zu handeln – statt unüberlegte Drohungen auszusprechen.
Ok, point taken. Wenden wir dieselbe Taktik dann auch an, wenn Schwarze ausgepfiffen, Frauen geschlagen, Schwule verhöhnt werden zum Beispiel?
Gesellschaften funktionieren über Konsens und Toleranz. Aber nicht Toleranz gegenüber den intoleranten und jenen, die unser funktionierendes System ausnutzen oder gar torpedieren.
Es ist eine sehr bedenkliche Entwicklung, dass „sein eigenes süppchen kochen auf Kosten anderer“ heutzutage breit akzeptiert wird