Schweiz
Digital

Ukraine: Warum Schweizer Jugendliche mit Putin sympathisieren

Macht Social Media Jugendliche zu Putin-Versteher?
Macht Social Media Jugendliche zu Putin-Versteher?bild: shutterstock

Soziale und alternative Medien – warum Schweizer Jugendliche mit Putin sympathisieren

Eine repräsentative Umfrage zeigt: Viele junge Menschen in der Schweiz sind Putin-Versteher. Grund dafür dürften die sozialen Medien sein – und eine mangelhafte Medienkompetenz.
23.04.2022, 14:4623.04.2022, 14:47
Dennis Frasch
Mehr «Schweiz»

Der Krieg in der Ukraine wird in der Schweizer Medienlandschaft relativ eindeutig beurteilt. Bis auf wenige Ausnahmen ist der Tenor klar: Verantwortlich für den Krieg ist Russland und dessen Machthaber Wladimir Putin. Kaum ein Medium bringt Verständnis für den russischen Präsidenten auf.

In der breiten Bevölkerung ist das Bild nicht ganz so klar: Vor allem die jüngeren Generationen sympathisieren mit Putin und der russischen Seite. Das zeigt eine repräsentative Umfrage der Tamedia-Zeitungen.

Dabei wurden 12'437 Personen verschiedenen Alters zum Krieg befragt. Während fast alle Personen angaben, den Krieg zu verurteilen, sagten in der Alterskategorie der 18- bis 34-Jährigen über ein Drittel der Befragten, dass sie Putins Motive verstehen. Bei den 35- bis 49-Jährigen sind es 28 Prozent, bei den über 65-Jährigen nur noch 14 Prozent.

Mehr Verständnis für Putin und Russland haben die Jungen auch in Ländern wie Frankreich, Grossbritannien oder der USA. Gemäss einer Umfrage von «The Economist» gaben im März in den Vereinigten Staaten 92 Prozent aller über 64-Jährigen an, dass sie mehr mit der Ukraine sympathisieren würden als mit Russland. In der Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen beträgt dieser Wert nur rund 56 Prozent.

Soziale Medien statt Qualitätsjournalismus

Grund für diese Diskrepanzen dürfte der veränderte Medienkonsum der jüngeren Generationen sein. Über den Zeitraum der letzten zehn Jahre haben publizistische Angebote kontinuierlich an Bedeutung verloren. Jugendliche lesen immer weniger Zeitungen und Zeitschriften – sowohl online als auch in gedruckter Version. In den sozialen Medien bewegen sich hingegen fast alle Jugendliche. Das geht aus der «JAMES»-Studie aus dem Jahr 2020 hervor. Seit 2010 bilden die Studien den Medienumgang von Jugendlichen in der Schweiz ab.

Das Problem dabei: «Jugendliche sind in den sozialen Medien vielen unterschiedlichen Einflüssen ausgesetzt – eben auch den Lügen der gut funktionierenden russischen Propaganda», sagt der Zürcher Politologe Michael Hermann gegenüber den Tamedia-Zeitungen.

Gerold Brägger, Erziehungswissenschaftler und Geschäftsführer der Lernplattform «IQES online», ist gleicher Meinung: «Wir stehen vor dem grossen Problem, dass viele Jungen keine Qualitätsmedien mehr konsumieren und sich höchstens noch über die sozialen Medien informieren. Diese Newsabstinenz führt genau zu dieser Anfälligkeit für Propaganda, wie wir sie von russischer Seite momentan sehen.»

Es fehlt die Medienkompetenz

Um diesem Trend etwas entgegensetzen zu können, bräuchte es ein Verständnis dafür, welchen Informationen man trauen könne und welchen nicht, sagt Brägger. «Aber es fehlt bei vielen schlicht und einfach an der Medienkompetenz.» Dabei wäre es gerade in der Schweiz mit ihrer direkten Demokratie elementar, diese zu fördern.

Gefragt wären hier die Schulen, um die nötige Medienkompetenz zu vermitteln. Mit der Einführung des Lehrplans 21 sollten Schülerinnen und Schüler auf die digitalisierte Welt vorbereitet werden. Dafür wurde das Modul «Medien und Informatik» geschaffen. Darin enthalten sind sowohl die technische Anwendungskompetenz – also wie man mit Computern und Co. richtig umgeht – als auch die inhaltliche Medienkompetenz.

In welchem Umfang dieses Modul in den Schulen der Schweiz gelehrt wird, ist von Kanton zu Kanton verschieden. Während beispielsweise in den Kantonen Nid- und Obwalden nur in den Schuljahren neun bis elf insgesamt zwei Wochenlektionen für Medien und Informatik vorgesehen sind, besuchen Schülerinnen und Schüler im Kanton Solothurn vom fünften bis zum elften Schuljahr die eigens dafür geschaffene Wochenlektion in Medien und Informatik.

Unterrichtsmaterial ist zu technisch

Ein anderes, vielleicht viel grösseres Problem, sind die Lehrmittel. «Es gibt in den Schulen nur Lehrmittel, die im Rückgriff auf vergangene Zeiten Themen bearbeiten», sagt Gerold Brägger. «Dabei sagen wir bereits seit zehn Jahren, dass wir Lehrmittel mit authentischen, aktuellen Medieninhalten in den Schulalltag integrieren müssen». Die jetzigen Unterrichtsmaterialien seien viel zu sehr auf die technische Anwendungskompetenz fokussiert. «Die Jugendlichen haben jedoch bereits intuitiv eine sehr starke technische Anwendungskompetenz. Bei der inhaltlichen Medienkompetenz kann man das nicht behaupten.»

Gemeinsam mit dem Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft «fög» der Universität Zürich hat «IQES online» deswegen ein Medienkompetenzprojekt namens «CHECK News» ins Leben gerufen. Dieses Open-Source-Projekt ist für alle Schulen zugänglich und bietet qualitativ hochwertige Lernumgebungen mit aktuellen Medienbeiträgen an, mit dem Ziel, dass die Schülerinnen und Schüler professionelle Medienangebote zu schätzen lernen und sich mit aktuellen, für sie bedeutsamen Inhalten auseinandersetzen können.

Oberste Lehrerin sieht wenig Handlungsbedarf

Weniger kritisch sieht es Dagmar Rösler, die oberste Lehrerin der Schweiz. Sie glaubt nicht, dass es den jungen Leuten an Medienkompetenz fehle. «Sie bewegen sich natürlich sehr oft in den sozialen Medien. Aber in den Schulen setzt man sich sehr intensiv mit dem Thema Medienkompetenz auseinander», sagt die Zentralpräsidentin des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz.

Wie die Informationen in den sozialen Medien einzuordnen sind oder wie man qualitativ hochwertigen Journalismus erkenne, habe einen hohen Stellenwert an den Schulen, so Rösler. «Es wird viel dafür getan, dass die Schüler lernen zu erkennen, dass nicht alles, was man liest und hört, auch stimmt.»

Facebook und Co. in die Verantwortung nehmen

Die Medienkompetenz zu fördern wäre jedoch nicht der einzige Weg, die heutige Jugend vor dem Abdriften in alternative Weltanschauungen zu bewahren. Man könnte sich auch der Wurzel des Problems annehmen: den grossen Techkonzernen.

«Man müsste die sozialen Medien mehr in die Verantwortung nehmen», findet Erziehungswissenschaftler Gerold Brägger. Die grossen, globalen Medienkonzerne wie Facebook oder TikTok hätten billigen Content, den sie kostenlos kriegen. Sie profitieren von den kostenlosen Inhalten der Nutzer und den journalistischen Medien. «Und dabei machen sie keine Qualitätskontrollen. Und wenn doch, dann sind das höchstens Alibi-Übungen», sagt Brägger.

Das werde sich auch nicht ändern, weil das Geschäftsmodell von Social Media durch Algorithmen hergestellte Emotionalisierung und Polarisierung sei, mit dem Ziel, User möglichst lange bei der Stange zu halten. «Was dieser Situation Abhilfe schaffen könnte, wäre eine Digitalsteuer, mit welcher der Qualitätsjournalismus quer finanziert wird.» Die viel beschworene Selbstverantwortung funktioniere offensichtlich nicht. «Die Techgiganten sind hochraffinierte Propagandamaschinen, welche unsere Demokratie gefährden und unsere Schulen vor ganz neue anspruchsvolle Aufgaben stellen.»

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Erste Eindrücke aus dem «Metaverse» von Facebook
1 / 10
Erste Eindrücke aus dem «Metaverse» von Facebook
So stellt sich Mark Zuckerberg sein «Metaversum» vor.
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Russische Frauen zerschneiden aus Protest ihre Chanel-Handtaschen.
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
296 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Halb Wissen
23.04.2022 15:09registriert August 2017
Ich finde es nicht überaschend. Ich glaube auch die Motive des Tyrannen zu verstehen und hätte wahrscheinlich so geantwortet. (hellblau)
Trotzdem ist er ein elender Kriegsverbrecher.

Verstehen ist nicht gleich gutieren.
25824
Melden
Zum Kommentar
avatar
FrancoL
23.04.2022 14:58registriert November 2015
Je mehr Medienangebote, desto mehr müsste der Konsument den nötigen Background haben um diese Angebote zu hinterfragen. Doch genau dieser Background fehlt. Kein wunder glaubet dann der Konsument dem der am lautesten schreit. Leider machen da die Schulen auch nicht unbedingt die beste Arbeit, nicht weil sie dies nicht könnten, sondern weil gerade in Sachen Politik und Geschichte die Lehre schnell einem sich sehr neutral geben um nicht ins Kreuzfeuer zu geraten. Unsere Schulpflege kann diverses Liedchen von aufgebrachten Eltern singen und ich denke es ist nicht nur in unserer Gemeinde so.
15023
Melden
Zum Kommentar
avatar
mMn
23.04.2022 15:33registriert September 2020
Junge sind tendenziell (logischerweise) naiver... das hat auch Vorteile. Sie sind z.B. anpassungsfähiger. Aber es kann halt auch sein dass sie jemandem auf den Leim gehen. Ältere habe da halt schon schlechte Erfahrungen gemacht und hinterfragen mehr.

Bei Putin muss man definitiv hinterfragen. Der Typ ist wie Hitler krank im Kopf, das sehen aber nicht alle... insbesodere Junge, die in einer unbesorgten Zeit aufgewachsen sind, höhren immer noch zu, wo wir ältere halt schon lange das Muster erkannt haben.
14531
Melden
Zum Kommentar
296
Darum schäumen deutsche Tesla-Fahrer vor Wut
Tesla lässt seine Hamburger Kunden im Regen stehen: Seit Monaten bleibt das Service-Center geschlossen. Für die Kunden bedeutet dies weite Wege in andere Städte wie Kiel oder Bremen.

Im Hamburger Stadtteil Wandsbek steht die Tesla-Werkstatt seit August 2024 still. Was früher Teslas grösstes Service-Center in Deutschland war, ist heute eine Baustelle – und für viele Kunden ein Ärgernis. Seit Monaten warten sie vergeblich auf Reparaturen oder Wartungsdienstleistungen.

Zur Story