Der Ausdruck «Putinversteher» gilt allgemein als Schimpfwort. Für Mathias Bröckers und Paul Schreyer hingegen ist er eine Auszeichnung. Die beiden deutschen Journalisten betonen in ihrem Buch stolz, dass sie damit den Kampf aufnehmen wollen gegen eine «desinformierende, anti-aufklärerische Vereinfachung» der Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Bröckers und Schreyer sind freie Journalisten, die etwa für die «taz» oder das Magazin «Telepolis» schreiben. Sie sind auch gern gesehene Gäste bei Ken Jepsen auf dessen YouTube-Kanal KenFM. KenFM fällt durch eine betont russlandfreundliche Berichterstattung auf. Auch Daniele Ganser tritt dort regelmässig auf.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts formulierte Halford Mackinder, ein kaum bekannter britischer Historiker und Geograf, folgende These: Die Welt teilt sich auf in eine Meer- und eine Landmacht. Die Meere werden von den Angelsachsen beherrscht – den Briten und den Amerikanern –, das Land von Europa und Russland. Zwischen den beiden Mächten tobt ein Kampf um die globale Herrschaft.
Mackinders These wurde von Alexander Dugin in die Moderne übertragen. Der Philosoph und Politologe geniesst in Russland grossen Einfluss. Ob er auch Putins Ohr hat, ist umstritten. Bekannt ist jedoch, dass er sich als junger Mann gerne in einer SS-Uniform zeigte und dass er sein Büro mit Nazi-Devotionalien schmückt.
Obwohl Dugin keinen akademischen Abschluss aufweisen kann, war er zwischen 2010 und 2014 Professor an der renommierten Moskauer Lomonossow-Universität. Dugin gehört zu den Vordenkern der neuen faschistischen Bewegung.
Der Kalte Krieg endete bekanntlich mit dem Sieg der Angelsachsen, mit der nun führenden Supermacht USA. Diese setzt alle Hebel in Bewegung, ihre Stellung als Weltmacht zu behaupten, insbesondere versucht sie, den Einfluss des ohnehin schon mächtigen Militärbündnisses Nato noch weiter auszudehnen.
Um dies zu verhindern, braucht die Meermacht USA ein Gegengewicht, die Landmacht Russland. Das geht nicht ohne Verbündete. Ein Bündnis zwischen Deutschland und Russland wäre daher ideal. Deutsche Ingenieurskunst und russische Rohstoffe könnten gemeinsam den Angelsachsen Paroli bieten.
Kurz: In den Augen der Putinversteher kommt alles Böse von den USA und der Nato, die alles unternehmen, um ihre Vorherrschaft zu sichern. Die angelsächsische Dominanz kann nur gebrochen werden, wenn die Karten im «grossen Spiel» – so bezeichnet man das Ringen um die Weltherrschaft – neu verteilt werden.
Selbst die Putinversteher räumen ein, dass ihr Held kein Modell-Demokrat ist. Russland ist bekanntlich eine «gelenkte Demokratie», eine höfliche Umschreibung für eine Diktatur. Doch gemäss Bröckers und Schreyer darf man das nicht so eng sehen. Nach den katastrophalen Erfahrungen der Russen mit dem Neoliberalismus in den Neunzigerjahren – die erzwungene Privatisierung hat den Mittelstand verarmen lassen – haben sie die Nase gestrichen voll von «westlichen Werten».
«Deshalb werden diskriminierende Gesetze gegen Homosexuelle oder die Verurteilung von Pussy Riot in Russland mehrheitlich als Lappalie gesehen», so Bröckers und Schreyer.
Wladimir Putin ist in dieser Sicht kein Diktator, sondern eine Art wohltätige Vaterfigur. Er ist mitverantwortlich für den «erstaunlichen ökonomischen Aufschwung» Russlands – okay, der Ölpreis hat ebenfalls eine Rolle gespielt – und dafür, dass den Angelsachen wieder jemand die Stirn bietet.
«Damit war Russland zurück im ‹Great Game› – nicht mehr als gestürztes ehemaliges Riesenreich, sondern als Energieriese mit Zukunft, ein Land, das nicht nur über fast einen Drittel der bekannten Erdgas-, Öl- und Mineralreserven des Planeten verfügt, sondern auch in der Lage ist, diese zu fördern und zu vermarkten», stellen Bröckers und Schreyer fest.
Revolution, Erster Weltkrieg, Bürgerkrieg, Stalins Holodomor (fünf Millionen Tote), Hitlers Holcaust (dutzende Millionen Tote) und ethnische Säuberungen zwischen Ukrainern und Polen in Galizien nach dem Zweiten Weltkrieg – wen Gott wirklich hasste, den verbannte er im 20. Jahrhundert in die Ukraine.
Seit dem Zerfall der UdSSR ist die Ukraine ein eigenständiger Staat geworden. Trotzdem ist ihre Lage prekär geblieben. Die Halbinsel Krim wurde von Russland handstreichartig und völkerrechtswidrig annektiert. Bis heute tobt in der Ostukraine ein mörderischer Kleinkrieg zwischen den Streitkräften der Ukraine und pro-russischen Rebellen und von Russland bezahlten Söldnern.
Für die Putinversteher hat die Ukraine eine Schlüsselrolle inne. Das Land ist eingeklemmt zwischen der angelsächsichen Meer- und der eurasischen Landmacht. Beide versuchen, ihren Einfluss in der Ukraine um jeden Preis geltend zu machen. Russland will verhindern, dass die Nato direkt an ihrer Westgrenze steht.
In dieser Sicht ist der Maidan-Putsch im Jahr 2014 kein Volksaufstand gegen einen verhassten, korrupten und unfähigen Diktator. Nein, der gestürzte Präsident Viktor Janukowitsch wurde das Opfer eines vom CIA eingefädelten Staatscoups.
Den ideologischen Beistand dazu soll jemand geleistet haben, der bei den Putinverstehern immer auftaucht: Zbigniew Brzezinski, der ehemalige aussenpolitische Berater von Präsident Jimmy Carter und ewiger Rivale von Henry Kissinger. Finanzielle Unterstützung soll – wie könnte es auch anders sein – George Soros geleistet haben.
Beweise für diese Thesen liegen keine vor, dafür teils haarsträubende Spekulationen. Da erstaunt es nicht weiter, dass für Bröckers und Schreyer der Abschuss des malaysischen Passagierjets MH17 – entgegen allen offiziellen Erkenntnissen – den ukrainischen Streitkräften in die Schuhe geschoben wird. Zudem soll der russische Geheimdienst nichts, aber auch gar nichts, mit dem Attentat auf den ehemaligen Spion Sergei Skripal und dessen Tochter Julia zu tun gehabt haben.
Darüber streiten zu wollen ist etwa so sinnvoll wie mit Ganser-Jünger zu diskutieren, weshalb die beiden World-Trade-Center-Türme am 1. September 2001 eingestürzt sind. Also lassen wir es.
Die ursprüngliche Fassung von «Wir sind immer die Guten» ist im Herbst 2014 erschienen. Vor ein paar Wochen ist nun eine aktualisierte Version erschienen. Sie befasst sich auch mit der Wahl von Donald Trump.
Für Putinversteher sind Hillary Clinton und Barack Obama die Verkörperung des Teufels und stehen für alle Schandtaten der USA in den letzten Jahren. Sie begrüssen daher die Wahl von Donald Trump und bestreiten jede russische Einmischung in den amerikanischen Wahlkampf.
Dabei begeben sie sich nicht nur auf Fox-News-Niveau und streiten jegliche Zusammenarbeit zwischen Trump und den Russen ab. Sie kennen selbst die banalsten Fakten nicht. So galten beispielsweise die russischen Hackerangriffe nicht dem Homeserver von Hillary Clinton, wie Bröckers und Schreyer schreiben, sondern dem Server des Hauptquartiers der Demokratischen Partei.
Unter den 13 Russen, die von Sonderermittler Robert Mueller angeklagt worden sind, befindet sich auch «Putins Koch». Für Bröckers und Schreyer handelt es sich dabei um einen «vermögenden russischen Gastronomen», eine geradezu absurde Verniedlichung.
Der Mann heisst Yevgeny Prigozhin. Er betreibt tatsächlich auch Restaurants, vor allem jedoch war er als skrupelloser Mafiosi bekannt. Heute ist er Milliardär und gehört zu Putins engstem Freundeskreis. Ihm ist die legendäre Trollfabrik in St.Petersburg unterstellt. Auch die russischen Söldnertruppen in Syrien und der Ostukraine werden von ihm bezahlt.
Die USA sind eine gewalttätige Nation. Darüber besteht kein Zweifel. Die amerikanische Regierung schreckt auch vor mehr als fragwürdigen Methoden nicht zurück, um ihre Ziele zu erreichen. Das zeigt aktuell etwa Vice in einem Film über den ehemaligen Vizepräsidenten Dick Cheney.
Für eine Verherrlichung der USA gibt es keinen Grund. Doch das Katz-und-Maus-Spiel um die Frage «Wer ist böser, die Amerikaner oder die Russen?» ist irgendwie kindisch und zielt am Wesentlichen vorbei. Die aktuell brennende Frage lautet vielmehr: Werden Demokratie und Rechtsstaat überleben?
Die Antwort ist in der Schwebe. Russland ist bereits ein autoritärer, gemäss dem Historiker Timothy Snyder und der Journalistin Masha Gessen gar ein totalitärer Staat. Putin hat, was Trump bisher verwehrt geblieben ist: Kontrolle über die Medien und die Richter. Die «checks and balances» der amerikanischen Demokratie haben dies bisher verhindert. Trump kann Putin bewundern, aber nicht mit ihm gleichziehen.