Zahlen sind nie die ganze Wahrheit. Doch wenn es um den Konsum von Crack in Genf geht, sprechen sie eine deutliche Sprache. Innerhalb eines Jahres hat sich die Zahl der Konsumierenden verdoppelt. 2022 verzeichnete der Drogenkonsumraum «Quai 9» gleich beim Genfer Bahnhof über 17'000 Besuche von Personen, die Crack rauchen wollten (siehe Grafik). Die Substanz basiert auf Kokain und macht hochgradig süchtig.
Seit Anfang Juli hat das Lokal seine Türen für Crack-Konsumierende tagsüber nun aber geschlossen. Dies, weil die Situation in und um den Drogenkonsumraum überbordet ist. 33-mal innert 45 Tagen musste die Polizei oder die Ambulanz gerufen werden. Von aggressivem Verhalten, bedrohtem Personal und Handgreiflichkeiten mit Verletzten war alles dabei.
Die Bevölkerung hat in der Lokalpresse wiederholt ihren Unmut kundgetan. Problematisch ist, dass der Crack-Hotspot im Wohnquartier Pâquis liegt und die Droge auch rund um eine Schule gehandelt wird. Die Auseinandersetzungen im Quartier dürften mit der Schliessung des Drogenkonsumraums nicht abnehmen.
Kurzum: Crack stellt Genf gerade vor massive Herausforderungen. Keine andere Schweizer Stadt kennt – bisher – vergleichbare Zustände. Was ist am äussersten Zipfel des Landes genau los?
Eine jüngst im Auftrag des Kantons Genf erstellte Studie kommt zum Schluss, dass der Crack-Boom auf die Ankunft von neuen Dealern zurückzuführen ist. Laut Polizeiangaben handelt es sich typischerweise um Männer aus Subsahara-Afrika, die gebrauchsfertiges Crack zu einem Preis von 10 Franken pro Stein anbieten. Ein solcher Crack-Stein ist für eine Inhalation proportioniert. Denn im Unterschied zu sonstigem Kokain, das man schnupft oder injiziert, wird Crack geraucht.
Ein Crack-Stein lässt sich auch selbst herstellen – was schweizweit in der Drogenszene gang und gäbe ist. Dazu werden Kokain, Backpulver und Wasser in einem Löffel verbrannt. Bei fixfertigen Produkten entfällt dieses Prozedere. Das erkläre zusammen mit dem tiefen Preis ihren «Erfolg» in Genf, sagt Thomas Herquel. Der Direktor des Vereins «Première Ligne», welcher das «Quai 9» betreibt, macht eine Analogie: «Man könnte problemlos bei sich zu Hause einen Burger zubereiten. Doch wenn es schnell gehen muss, greift man lieber und häufiger auf Fast-Food-Angebote zurück.»
Die Studie im Kanton Genf hat zwar gezeigt, dass die fixfertig vertriebenen Crack-Steine eine «hohe Reinheit» aufweisen. Unter Experten wird aber vermutet, dass die von den Dealern verkauften Produkte so portioniert sein könnten, dass der Zustand der Befriedigung besonders schnell verfliege.
Dabei stellt der Konsum von Crack sowieso schon nur eine kurze Angelegenheit dar. Durch die Aufnahme über die Lunge entfaltet das Kokain nämlich innert Minuten seine aufputschende Wirkung. Ebenso schnell ist diese aber wieder vorüber – und das Verlangen nach einem neuen Kick macht sich breit.
Diese Aneinanderreihung von kurzen und intensiven Stimulationen habe gravierende Folgen, erklärt Herquel. Die Süchtigen vergässen zu trinken, zu essen und zu schlafen. «Ich kenne Menschen, die innert zwei Wochen 25 Kilogramm abgenommen haben. Andere haben vier bis fünf Tage ohne Schlaf verbracht.» Vor diesem Hintergrund sei aggressives Verhalten nicht verwunderlich, meint Herquel. Er spricht von einer «starken Zunahme von Gewaltphänomenen», die ihn gezwungen hätten, zum Schutz seines Personals im «Quai 9» das Rauchen von Crack tagsüber zu verbieten.
Dass der Crack-Boom in Genf derartige Auswüchse erreicht, befeuert sogar Ängste bis in die Deutschschweiz.
Zwei SVP-Parlamentarier fordern den Zürcher Stadtrat mit Verweis auf die Situation in Genf dazu auf, eine Ausbreitung von Crack in Zürich «mit allen Mitteln» zu verhindern, zumal die ersten Steine auch in Lausanne im Umlauf seien. «Wann tauchen diese in Zürich auf?», fragen die Politiker in dem im März eingereichten Postulat.
Die Antwort lautet: Sie sind bereits angekommen. Die Stadt Zürich teilt auf Anfrage mit, dass in den Kontakt- und Anlaufstellen sowohl selber gemischtes Crack wie auch Steine konsumiert würden, und dies «seit Jahren». Man habe die Situation im Blick und ergreife bei Bedarf Massnahmen. Der Stadtrat wird sich erst im Rahmen der Beantwortung des Postulats vertieft zum Thema äussern.
Auch in Luzern sind fixfertige Crack-Steine auf dem Vormarsch: «Die Nutzung des Konsumraums ist eigentlich so ausgelegt, dass alle Konsumierenden das Crack selber aufkochen», sagt der städtische Sicherheitsmanager Christian Wandeler. «Mittlerweile werden jedoch zunehmend Crack-Steine gehandelt und nur noch wenige Konsumierende kochen selber auf.» Eine Folge der leicht erschwinglichen und einfach anwendbaren Produkte sei, dass der Konsum von Crack «vermehrt auch im öffentlichen Raum stattfindet». Die Stadt überprüfe wegen des veränderten Konsumverhaltens aktuell das Konzept der Kontakt- und Anlaufstelle «Gassechuchi».
Andere Städte wie Bern und St.Gallen haben laut Behördenangaben bislang keine Kenntnis von fixfertigen Crack-Steinen. Auch in Basel wird rauchbares Kokain von den Konsumierenden überwiegend selbst zubereitet. Prognosen, ob sich das bald ändert, sind schwierig. Fest steht nur, dass die Ausgangssituation nicht überall gleich ist. Aus Bern heisst es, dass eine Veränderung des Marktes nicht auszuschliessen sei. Aufgrund des seit Jahren existierenden Konsums von selbst gemischtem Crack erwarte man aber nicht eine «derart schwierige Situation wie in Genf».
Genf weist nämlich vergleichsweise wenig Erfahrungen mit selbst fabriziertem Crack auf. Lange Zeit war die Drogenszene stärker durch Heroin und weniger durch Kokain geprägt, was die Ausmasse der aktuellen Probleme miterklären könnte.
Thomas Herquel ist dennoch überzeugt, dass Deutschschweizer Städte gut daran tun, von den Mühen Genfs mit den gebrauchsfertigen Crack-Steinen zu lernen. Sie würden eine neue Dynamik auslösen. «Wichtig ist es darum, sofort zu reagieren – auch wenn zuerst nur wenige Steine auftreten», sagt der Suchtexperte. «In Genf hätte die Reaktion schneller erfolgen sollen.»
Ein Erfolgsrezept gebe es zwar nicht, so Herquel. Die Abgabe von Wasser und Essen stelle jedoch ein Puzzleteil dar, um das Konfliktpotenzial zu reduzieren. Ausserdem habe sich in Genf ein eingerichtetes «Sleep-in» mit Schlafplätzen für Crack-Konsumierende ausbezahlt. Dass die Polizei den Markt der Dealer so fest wie möglich störe, sei ebenfalls wichtig.
Offen bleibt, wie die Situation in Genf tagsüber besser geregelt werden kann. Herquel sieht eine Lösung darin, einen Drogenkonsumraum spezifisch für das Crack zu schaffen – um so Konflikte zwischen Süchtigen von aufputschenden und beruhigenden Substanzen wie Heroin zu vermeiden. Der Genfer Gesundheitsdirektor Pierre Maudet hat sich jedoch bereits gegen diese Lösung ausgesprochen. Der Kanton will sich bis im Herbst Zeit geben, um mit allen beteiligten Akteuren eine Strategie zur Bekämpfung der Droge zu entwickeln. Bis dahin ist ein heisser Sommer garantiert. (aargauerzeitung.ch)
Die Bilder mit fentanyl/Crack abhängigen in Amerika ist erschreckend.
Das in den USA handelsübliche "baking soda" ist nämlich kein hier übliches Backpulver, sondern Natron. Aber meist wird sowieso Ammoniak zum Kochen von Koks zu feuerlöslichem Crack benutzt. Etwas genauere Recherche wäre nicht schlecht, denn Aufklärung ist sicher besser, als Mythen verbreiten.
In Zürich wird Base übrigens seit Jahrzehnten verbreitet, nur nicht mehr so sichtbar wie zu Platzspitz Zeiten.
Recht haben Sie (ich bin mir sicher die Parlamentarier der andere Parteien sehen das gleich ?)
Crack ist hochgradig gefährlich ....das dar man nicht unterschätzen!
Ich wünsche mir hier einerseits harte durchgreifen und ein
Null -Toleranz Politik aber andererseits auch eine breit abgestützte Aufklärungskampagne über die verehrende Wirkung !