Zwei Wahlen, zwei unterschiedliche Reaktionen der Schweiz: In Bangladesch liess sich die autokratische Regierungschefin Sheikh Hasina letzte Woche im Amt bestätigen. Die Wahl war nach Ansicht der USA und anderer westlicher Staaten «weder frei noch fair». Der Schweizer Botschafter aber nahm an ihrer Vereidigung teil und gratulierte auf Facebook.
Ebenfalls letzte Woche wählte Taiwan mit Lai Ching-te, auch William Lai genannt, einen neuen Präsidenten. Die Wahl wurde von Beobachtern als mustergültig bezeichnet, die unterlegenen Kandidaten anerkannten ihre Niederlage vorbehaltlos. US-Aussenminister Antony Blinken und sein britischer Amtskollege David Cameron gratulierten via X.
We congratulate Dr. Lai Ching-te on his victory in Taiwan's presidential election. We also congratulate the Taiwan people for participating in free and fair elections and demonstrating the strength of their democratic system.
— Secretary Antony Blinken (@SecBlinken) January 13, 2024
Und die Schweiz? Bundesrat Ignazio Cassis verlor kein Wort zur Wahl in Taiwan. Das Handelsbüro der Schweizer Industrie, wie die offizielle Vertretung in der Hauptstadt Taipeh genannt wird, schwieg das demokratische Votum der 24 Millionen Taiwanesen auf Facebook tot. Denn die Schweiz anerkennt die Inselrepublik nicht als eigenständigen Staat.
Damit ist sie in bester Gesellschaft. Fast alle Länder akzeptieren die von Peking diktierte Ein-China-Politik. Doch die Reaktionen aus den USA, Grossbritannien und anderen Ländern zeigen, dass Nuancen möglich wären. Selbst die deutsche Regierung würdigte die «freien und friedlichen Wahlen in Taiwan». Ein mehr als deutlicher Kontrast zu Bangladesch.
Die Schweiz beruft sich in solchen Fällen gerne auf ihre Neutralität. Für Simona Grano, Privatdozentin und Direktorin des Taiwan Studies Project an der Universität Zürich, ist dies kein Argument: «Der Bundesrat versteckt sich hinter der Ein-China-Politik», sagte die Forscherin am Freitag an einer Veranstaltung zu den Wahlen in Taiwan in Bern.
Veranstaltet wurde es von der Délégation culturelle et économique de Taipei, so der Name der «Nicht-Botschaft» in Bern, und der Schweizer Demokratie Stiftung. Gespannt war man vor allem auf die Reaktion der Volksrepublik China. Diese hat die Insel in den letzten Jahren immer wieder militärisch provoziert und mit der gewaltsamen «Wiedervereinigung» gedroht.
Nun hat sich zum dritten Mal in Folge die aus chinesischer Sicht separatistische Demokratische Volkspartei (DPP) bei der Präsidentschaftswahl durchgesetzt. Doch eine heftige Reaktion aus Peking blieb aus. Der aus Taipeh zugeschaltete, für die Beziehungen zum Festland zuständige Vize-Minister Liang Weng-chieh sieht dafür mehrere Gründe.
«Die Kommunistische Partei war vom Resultat nicht überrascht», meinte Liang. Wahlsieger Lai Ching-te habe sich zum Status quo bekannt. Die Volksrepublik stehe zudem vor grossen wirtschaftlichen Herausforderungen. Deshalb wolle sie «stabile Beziehungen mit den USA», wie das Treffen von Xi Jinping und Joe Biden im November gezeigt habe.
Die Amerikaner sind der wichtigste Unterstützer Taipehs. Wladimir Putins Krieg gegen die Ukraine habe Pekings Haltung zu einer Taiwan-Invasion ebenfalls beeinflusst, meinte Liang Weng-chieh: «Taiwan ist eine Insel und ein Angriff viel schwieriger.» Der Vize-Minister hält es zum jetzigen Zeitpunkt für unwahrscheinlich, dass China gegen Taiwan vorgehen wird.
Ausgeschlossen ist eine Eskalation nicht. Der «Economist» hat Taiwan als «gefährlichsten Ort der Welt» bezeichnet. Illusionen machen sich die Taiwanesen keine. Das Schicksal Hongkongs, dessen lebendige demokratische Kultur «ausradiert» wurde, sei eine Warnung, sagte David Huang, der Vertreter Taiwans in der Schweiz, im Gespräch mit watson.
Ein Angriff wäre ein Dilemma für die Schweiz. Obwohl sie rege wirtschaftliche Beziehungen mit Taiwan pflegt (die Republik China, so der offizielle Name, ist der fünftgrösste Handelspartner in Asien), geht sie politisch nicht nur bei Wahlen auf Distanz. In der 2021 vorgestellten China-Strategie verwahrte sie sich gegen eine drohende Blockbildung.
Zu wichtig ist die Beziehung zur Wirtschafts-Grossmacht China. «Die Schweizer Politik ist konservativer und prochinesischer als diejenige anderer Länder», meinte Simona Grano. Das zeigte sich ebenfalls diese Woche. Während der Bundesrat die demokratische Wahl in Taiwan ignorierte, hofierte er den chinesischen Ministerpräsidenten Li Qiang.
Zum Treffen am Montag mit Bundespräsidentin Viola Amherd und Wirtschaftsminister Guy Parmelin wurde ein ausführliches Communiqué veröffentlicht. Beide Seiten unterzeichneten eine Erklärung, in der sie ihren Willen zu einer Erweiterung des 2013 abgeschlossenen Freihandelsabkommens und zur «Aufnahme möglicher Verhandlungen» bekräftigten.
Parmelin wolle deshalb im Sommer nach China reisen, sagte der Genfer Grünen-Nationalrat Nicolas Walder, Co-Präsident der Freundschaftsgruppe Schweiz-Taiwan, im Gespräch mit watson. Schon bald wird auch Aussenminister Cassis in Peking erwartet. Es geht um die mögliche Beteiligung Chinas an dem von der Ukraine initiierten Friedensgipfel.
Es ist eine diffizile Mission. Offiziell verhält sich die Volksrepublik in diesem Krieg neutral. Faktisch aber unterstützt sie Russland, etwa bei der Umgehung westlicher Sanktionen. Die Intervention der Schweiz zugunsten der Ukraine könnte die wegen der Schweizer Kritik an Menschenrechtsverletzungen zuletzt angespannten Beziehungen erneut belasten.
Ein erweitertes Freihandelsabkommen würde zudem anders als jenes von 2013 dem fakultativen Referendum unterstehen. Ein heftiger Abstimmungskampf könnte Peking verärgern. Nicolas Walder aber glaubt, dass China trotzdem an einem neuen Abkommen mit der Schweiz interessiert wäre, auch wegen aufstrebenden Konkurrenten wie Indien.
Das Verhältnis zu Taiwan aber bleibt heikel. Im letzten Oktober nahm der Nationalrat relativ knapp eine Motion von Fabian Molina (SP) an, die eine Vertiefung der Beziehungen zum taiwanesischen Parlament forderte. Nicht zur Freude des Bundesrats. In der China-Strategie von 2021 wird das Verhältnis zur demokratischen Insel nicht thematisiert.
Expertin Simona Grano ist gespannt, ob sich das in der Neuauflage ändern wird. Sie wird dieses Jahr erarbeitet, wie Alexandre Fasel, der Staatssekretär im Aussendepartement, im Dezember bestätigte. Er deutete an, dass sie «realistischer» ausfallen dürfte. Grano bleibt skeptisch: «Der Bundesrat ist nicht naiv, aber er fokussiert stark auf die Wirtschaft.»
Und geschäfte machen wir mit denen ja auch noch sehr gerne
Oooh, es könnte Peking verärgern, wenn hier freie Debatten geführt werden.
Da werde ich auf jeden Fall abstimmen gehen, sollte das Referendum zur Abstimmung kommen.