Eigentlich ist es eine Lappalie, ja fast eine Nichtigkeit. Juraj Nociar, der Kabinettschef von EU-Kommissionsvize Maros Sefcovic, habe ihm auf Whatsapp ein gutes neues Jahr gewünscht, erzählte Alexandre Fasel, Staatssekretär im Aussendepartement (EDA), an seiner 100-Tage-Medienkonferenz am Mittwoch in Bern. So weit, so normal – scheinbar.
Denn in den letzten zweieinhalb Jahren war wenig normal im Verhältnis zwischen der Schweiz und der Europäischen Union. Seit der Bundesrat die Verhandlungen über ein institutionelles Abkommen abgebrochen hatte, war die Stimmung mies. Noch bei seinem Amtsantritt im September habe es «viel Misstrauen» gegeben, sagte Fasel.
Es hätten «schwierige und harte Gespräche» zwischen Bern und Brüssel stattgefunden, erklärte der Freiburger: «Nun besteht genügend Vertrauen, um ein solides Verhältnis aufzubauen.» Darum geht es beim zweiten Anlauf zur Regelung der bilateralen Beziehungen, zu dem der Bundesrat am letzten Freitag grünes Licht gegeben hat.
Er schickte den Entwurf für ein Verhandlungsmandat zur Konsultation an die Kantone und die Parlaments-Kommissionen. Am Mittwoch zog die EU-Kommission nach. Sie leitete ihren Mandatsentwurf zur Genehmigung an die 27 Mitgliedsstaaten weiter. Maros Sefcovic schrieb auf X von «einem ermutigenden Momentum für unsere bilateralen Beziehungen».
Auf beiden Seiten herrscht Optimismus, dass es dieses Mal zum Durchbruch kommen wird. Das war an der Medienkonferenz von Alexandre Fasel genauso spürbar wie tags zuvor am Jahresend-Empfang in der Residenz von EU-Botschafter Petros Mavromichalis. Mit dem Entscheid des Bundesrats sei man «auf dem richtigen Weg», sagte der griechische Diplomat.
An gleicher Stelle vor einem Jahr hatte eine eher gedrückte Stimmung geherrscht, wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und des Stillstands im Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU. Nun stehen im zweiten Punkt alle Zeichen auf Entspannung. Auch deshalb erzählte Alexandre Fasel die Episode mit dem Whatsapp von Juraj Nociar.
Die Zuversicht hat mit dem Staatssekretär zu tun. Zwar ist Fasel nicht der Schweizer Chefunterhändler (das ist sein für Europa zuständiger Vize Patric Franzen), doch der 62-Jährige strahlt auch im persönlichen Gespräch eine Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit aus, die bei seiner zögerlichen und defensiven Vorgängerin Livia Leu vermisst wurde.
Man darf die heutige Botschafterin in Berlin aber nicht zu negativ beurteilen. Unter Leus Aufsicht fanden die sogenannten Sondierungen statt, die eigentlich Vorverhandlungen waren. Denn gemäss den präsentierten Unterlagen wurde das angestrebte Vertragspaket – ob man es Bilaterale III nennen will oder nicht – schon zu einem grossen Teil bereinigt.
Das heisst nicht, dass ein Abschluss in trockenen Tüchern wäre. «Der Teufel liegt im Detail», hatte Aussenminister Ignazio Cassis am Freitag erklärt. Wird der Mandatsentwurf von beiden Seiten genehmigt, dürften die Verhandlungen laut Fasel im April oder spätestens Mai 2024 beginnen, auf jeden Fall aber vor den Europawahlen im Juni.
Es sei wichtig, mit der derzeitigen EU-Kommission loszulegen, betonte der Topdiplomat. Dann könnten die Gespräche bis zum Amtsantritt der neuen Kommission im Herbst fortgeführt werden. Ein Abschluss soll nach dem Willen beider Seiten 2024 erfolgen, doch selbst EU-Vertreter sind skeptisch, dass der ambitionierte Zeitplan eingehalten werden kann.
Bei den bestehenden bilateralen Verträgen könne man sich schnell einigen, doch das Hindernis seien die angestrebten neuen Abkommen etwa zu Strom oder Gesundheit. Hier gebe es viel Klärungsbedarf, heisst es. Beiden Seiten kommt dabei entgegen, dass die Opposition in der Schweiz auch schon entschlossener und kompromissloser auftrat.
Pierre-Yves Maillard, der Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB), forderte den Bundesrat im «Sonntagsblick» auf, hart zu verhandeln. Vor allem die neue Spesenrichtlinie der EU ist den Gewerkschaften ein Dorn im Auge. Auch zum Service Public äussern sie Bedenken, doch im Vergleich mit früheren Auftritten wirken sie fast konziliant.
Am Ende dürfte es auf einen Deal mit den Arbeitgebern hinauslaufen, wie schon bei den Bilateralen I und II. Eine Alternative wird es kaum geben, weil die SVP im Europadossier jede konstruktive Mitarbeit verweigert. Verhalten positiv äusserten sich FDP und Mitte, deren Präsidenten das 2021 versenkte Rahmenabkommen bekämpft hatten.
Der Verein Kompass/Europa des Zuger Milliardärs Alfred Gantner hingegen spricht von einem «Rahmenabkommen 2.0» und droht mit einer Volksinitiative. Allerdings hat er bis heute keinen brauchbaren Alternativ-Vorschlag präsentiert. Was dem Verein vorschwebt, ist jene Rosinenpickerei aus dem Binnenmarkt, die von der EU kategorisch abgelehnt wird.
Manche EU-Gegner träumen von Abkommen mit Amerika oder Asien. Doch in einer Welt, in der es laut Alexandre Fasel «drunter und drüber geht», ist das leichter gesagt als getan. Das beste Beispiel ist China. Das EDA wird nächstes Jahr eine neue China-Strategie vorlegen, wie Fasel auf eine Frage von watson bestätigte, ohne die Risiken zu verschweigen.
Die Volksrepublik ist auch für die Schweiz kein harmloser (Frei-)Handelspartner mehr, sondern ein «systemischer Rivale», mit dem man nach der Devise «Contain, compete, cooperate» umgehen müsse. Umso wichtiger ist ein geregeltes Verhältnis zum Nachbarn, das auch eine Mehrheit der Bevölkerung laut einer neuen Umfrage wünscht.
Man habe mit der EU die Landezonen definiert, sagte der Staatssekretär. Nun gelte es, die Landepunkte zu finden: «Die Chance auf eine Einigung ist gut.» Eine Garantie ist das nicht. Es gibt genug Stolpersteine, und wenn ein Vertragswerk vorliegt, wird sich die Opposition zügig formieren. Und trotzdem: Im zweiten Anlauf kann es tatsächlich klappen.
Der Bundesrat täte also gut daran, sich bei den arbeitsrechtlichen Fragen um den Lohnschutz und die Spesenregelungen mit den Gewerkschaften zu arrangieren, denn ohne deren Unterstützung wird nichts aus diesen Verträgen mit der EU, so viel ist einmal sicher.
Und mit der VR China und Russland sowie dem Iran wird wohl hoffentlich niemand im Moment vertiefter Einsteigen wollen.
Das Freihandelsabkommen mit der VR China ist bis jetzt eher enttäuschend und die beiden anderen sind keine Option so wie sie sich verhalten.
Diesbezüglich die VR China auch nicht.
Man sollte halt wirklich mal die Harte Realität anerkennen, wir brauchen die EU