Das srilankische Newsportal «Lankan News Web» berichtet, die Schweizer Botschaft habe die Visavergabe an srilankische Staatsangehörige vorübergehend eingestellt.
Doch auf Anfrage von watson stellt das Aussendepartement EDA in Bern klar, dass diese Information nicht zutreffend ist. Visaanträge würden weiterhin normal und innerhalb der gesetzlichen Fristen bearbeitet. Allerdings dauere der Prozess momentan länger als üblich. Die Meldung von «Lankan News Web» ist nicht der erste Medienbericht in der diplomatischen Krise zwischen den beiden Ländern, der für Verwirrung sorgt.
Hintergrund der Verstimmung ist die zwischenzeitliche Entführung einer Mitarbeiterin* der Schweizer Botschaft am Montag der vergangenen Woche (25. November). Die Frau soll von unbekannten Männern in einen weissen Van verfrachtet und für zwei Stunden festgehalten worden sein. In der Folge soll sie gemäss Angaben des EDA «zur Herausgabe geschäftsrelevanter Informationen» gezwungen worden sein.
Die Schweiz bezeichnete die Entführung als einen «sehr gravierenden und nicht akzeptablen Angriff» auf eine ihrer diplomatischen Vertretungen und deren Angestellte. Der Schweizer Botschafter übergab der srilankischen Regierung eine offizielle Protestnote. Und das EDA zitierte den für die Schweiz zuständigen srilankischen Botschafter aus Berlin ein. Die Schweiz forderte Sri Lanka zu einer «raschen und lückenlosen Aufklärung des Vorfalls» auf und verlangte Sicherheitsgarantien für das Botschaftspersonal.
Doch das srilankische Aussenministerium zog die Darstellung des Vorfalls durch die Botschaftsmitarbeiterin in einer offiziellen Mitteilung in Zweifel. Aufnahmen von Überwachungskameras widerlegten ihre Aussagen, hiess es. Am Dienstag verhängte ein Gericht in Colombo eine Ausreisesperre gegen die Frau. Ausserdem verlangt das Urteil, dass sie bis spätestens am Montag 9. Dezember vor den Ermittlungsbehörden eine Aussage macht.
Die Schweizer Botschaft in Colombo liess verlauten, dass sich der Gesundheitszustand ihrer Mitarbeiterin verschlechtert habe und sie derzeit nicht in der Lage sei, eine Aussage zu machen. Sri Lankas Aussenminister Dinesh Gunawardena sagte am Dienstag, die Schweiz habe um Erlaubnis gebeten, die Frau und ihre Familie für eine medizinische Behandlung in die Schweiz ausreisen zu lassen. Sri Lanka habe dieses Gesuch abgelehnt.
Das EDA gibt mit Hinweis auf die laufenden Untersuchungen und den Persönlichkeitsschutz ihrer Mitarbeiterin keine Details bekannt. Gegenüber watson betont eine Sprecherin, die Botschaft und ihre Angestellten kooperierten umfassend mit den srilankischen Behörden.
In der Folge begannen Anhänger der Regierung und ihr wohlgesonnene Medien mit einer Kampagne gegen die Schweiz und die entführte Botschaftsmitarbeiterin. Wie die «Aargauer Zeitung» berichtete, warf das National Joint Committee (NJC) der Schweiz sogar vor, die Frau und deren Familie gegen ihren Willen ausser Landes bringen zu können. Das NJC ist die Dachorganisation der dominierenden Bevölkerungsmehrheit der buddhistischen Singhalesen, die bei den Wahlen mehrheitlich den neuen Präsidenten Gotabaya Rajapaksa unterstützt haben.
Regierungsnahe Medien schreiben im Zusammenhang mit der Entführung von einer «Swiss Conspiracy». Der Schweizer Botschaft wird vorgeworfen, mit ihrem Verhalten die Souveränität Sri Lankas zu untergraben. Die Schweiz wird verdächtigt, die Frau und ihre Angehörigen vor dem Zugriff der srilankischen Behörden zu schützen. Ein Online-Medium hat sogar dazu aufgerufen, das Vermögen der Familie einzufrieren und hat den Namen sowie den Wohnort der Frau publiziert.
Wie lokale Medien berichten, sollen die Entführer auf der Suche nach Informationen über Nishantha de Silva gewesen sein. Der Polizeioffizier des Central Investigations Departement (CID) soll am Sonntag 24. November, einen Tag vor der Entführung der Botschaftsmitarbeiterin, mit seiner Familie mit einem Edelweiss-Flug nach Zürich gereist sein und dort Asyl beantragt haben. Mit Verweis auf den Persönlichkeits- und Datenschutz bestätigen die Schweizer Behörden de Silvas Flucht bisher nicht.
Der als integerer und kompetenter Ermittler geltende de Silva untersuchte Fälle im Zusammenhang mit Korruption und schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen. Seine Ermittlungen befasste sich auch mit den möglicherweise kriminellen Machenschaften des Rajapaksa-Clans (siehe unten).
Mahinda Rajapaksa und seine Familie regierten das Land von 2005 bis 2015. Bei den Wahlen vom 16. November 2019 wurde Mahindas Bruder Gotabaya Rajapaksa zum neuen Präsidenten gewählt. Er ernannte seinen Vorvorgänger Mahinda am 21. November zum Premierminister.
Polizeioffizier de Silva ging unter anderem dem Verdacht nach, im Zusammenhang mit Rüstungs- und Infrastrukturaufträgen seien Bestechungsgelder an die Rajapaksas geflossen. Auch das Verschwinden zweier bekannter Oppositioneller im Jahr 2009 untersuchte de Silva – die Spuren sollen zum Militär und zum früheren Verteidigungsminister und neuen Staatspräsidenten Gotabaya Rajapaksa führen.
Als der frühere Präsident Mahinda Rajapaksa im Herbst 2018 kurzzeitig – und verfassungswidrig – zum Premierminister ernannt wurde, wurde de Silva von der Regierung umgehend abgesetzt. Nach Rajapaksas Rücktritt als Premierminister im Dezember 2018 konnte er an seine Arbeitsstelle zurückkehren.
Mit der endgültigen Rückkehr der Rajapaksas an die Macht wurde die Lage für Nishanta de Silva immer ungemütlicher. Obwohl er Morddrohungen erhalten hatte, entzog die Regierung ihm und anderen CID-Ermittlern den Polizeischutz. Als Polizeioffizier wäre de Silva dazu verpflichtet gewesen, vor seiner Ausreise bei seinen Vorgesetzten eine Erlaubnis einzuholen. Er flog jedoch nach Zürich, ohne Bescheid zu geben.
Offenbar befürchtet die Regierung, de Silva Beispiel könnte Schule machen: Nach de Silvas Flucht übergab die Regierung den Flughäfen des Landes eine Liste mit 704 Namen von CID-Ermittlern, für die ab sofort eine Ausreisesperre gilt.
Die Familie Rajapaksa mischt seit Jahrzehnten in der srilankischen Politik mit. Mit der Wahl von Mahinda Rajapaksa zum Staatspräsidenten im Jahr 2005 wurde der Clan zur mächtigsten Familie des Inselstaates. Während Mahindas zwei Amtszeiten als Präsident dienten nicht weniger als vier seiner Brüder und eine Schwester als Minister im Kabinett. Zeitweise kontrollierten die Rajapaksas so 75 Prozent des Staatsbudgets direkt.
Eine besonders wichtige Rolle spielte Mahindas Bruder Gotabaya Rajapaksa. Dieser diente seinem Bruder während zehn Jahren als Verteidigungsminister. Er führte ab 2006 die Militäroffensive gegen die aufständischen Tamil Tigers (LTTE) an. Diese endete 2009 mit der Eroberung der letzten von der LTTE gehaltenen Gebiete im Norden der Insel und der Vernichtung der Tamil Tigers.
Seit dem 18. November 2019 ist er Staatspräsident Sri Lankas und regiert den Inselsstaat gemeinsam mit seinem Bruder und Premierminister Mahinda Rajapaksa. Beobachter fürchteten schon vor der Wahl, die Rückkehr der Rajapaksas an die Macht könnte sich negativ auf die Unabhängigkeit von Justiz und Medien auswirken. Die jüngsten Entwicklungen scheinen ihnen recht zu geben.
*Name der Redaktion bekannt
Geht's noch!? Das ist ja richtig Filmreif... Wie kann das sein das da nicht sofort reagiert wird, eine Mitarbeiterin des Staates wird entführt...