Die GLP sagt in parlamentarischen Vorstössen: Konsumentinnen und Konsumenten bezahlen zu viel für den Strom. Weshalb ist das so?
Jürg Grossen: Ja, sie zahlen aus drei Gründen zu viel – und das können wir ändern! Erstens, weil die Elektrizitätswerke zum falschen Zeitpunkt auf Verbrauch schalten.
Haben Sie ein konkretes Beispiel?
In der Schweiz gibt es rund eine Million Wasserboiler. Sie werden seit 50 Jahren automatisch in der Nacht eingeschaltet. Das war früher richtig, weil der Nachtstrom billiger war, auch meine Mutter wusch deshalb immer nachts. Heute ist der Strom aber tagsüber viel billiger. In Deutschland werden Elektroautos am Tag sogar mit Gratisstrom geladen. Leider haben das die Schweizer Werke noch nicht verstanden.
Was sind die anderen beiden Gründe?
Zweitens: Wenn es zu viel oder zu wenig Strom hat, müssen die Elektrizitätswerke das ausgleichen, damit Stromproduktion und -verbrauch sich die Waage halten. Dazu braucht es oft teure Regelenergie. Drittens: Das geplante Strommarktabkommen mit der EU würde die Strompreise gleich doppelt senken: Einerseits würde die Regelenergie billiger. Andererseits würden die Preise generell sinken, weil der Markt viel grösser ist.
Wie viel Geld bezahlen die Kunden zu viel?
Heute kostet die Kilowattstunde in der Grundversorgung zwischen 9 und 45 Rappen. Im Schnitt zahlen wir rund 30 Rappen. Die Konsumentinnen, Konsumenten und KMUs zahlen bis 5 Rappen zu viel. Für betroffene Haushalte sind das 200 Franken pro Jahr. Jahr für Jahr zahlen Konsumenten eine halbe Milliarde Franken zu viel für ihren Strom – darunter leiden nicht nur die Haushalte, sondern auch die KMU und die Industrie.
Das ist viel Geld. Was muss geschehen?
Heute ist die Stromversorgung in der Schweiz zentral organisiert. Über 600 Elektrizitätswerke transportieren den Strom zu den Endkunden. Das ist aber Schnee von gestern. Inzwischen produzieren in der Schweiz 300’000 Solaranlagen dezentral so viel Strom, dass damit von April bis September über viele Stunden 60 bis 80 Prozent des gesamten Schweizer Verbrauches gedeckt wird. Und wir bauen weiter kräftig Solaranlagen zu.
Die Stromlandschaft der Schweiz verändert sich markant?
Ja. Es sind nicht die grossen Elektrizitätswerke, welche die Solaranlagen auf den Dächern bauen, sondern Herr und Frau Schweizer und die KMU. Es gibt kein Land auf der Welt, das so viel Solarstrom pro Kopf auf den Gebäuden produziert wie die Schweiz. Politik und Bevölkerung wollen diesen Solarausbau, wie auch die neusten Umfragen bestätigen. Doch die Elektrizitätswerke gehen mit dieser Entwicklung nicht mit. Sie sitzen starr auf ihren alten Systemen.
Was hat das für Folgen?
Bis jetzt hatte das kaum Folgen, da wir zum Glück gut ausgebaute Netze haben. Das ändert nun. Schon im nächsten oder übernächsten Jahr dürfte es ohne Massnahmen Probleme geben. Es wird noch teurer, Regelenergie zu beschaffen und bei den Preisen dürfte es grössere Verwerfungen geben. Auch erhöht sich das Blackout-Risiko. Spanien hat das gezeigt.
Was war der Grund für den Blackout in Spanien?
Berichten zufolge führte ein Mix aus schlechter Planung und einer fehlerhaften Netzabschaltung eines Grosskraftwerkes zu einer Kettenreaktion und löste damit letztlich den Blackout aus.
Deshalb fordern Sie eine Systemanpassung?
Genau. Man muss jetzt intelligent regulieren, Anreize setzen und die Stromtarife an die Physik anpassen. Auch Speicher helfen dabei und entlasten die Netze. Mehr als jede zweite neue Solaranlage hat einen Speicher.
Wie hilft ein Speicher?
Der Speicher sorgt automatisch dafür, dass Strom dann gespeichert wird, wenn er billig ist, weil es viel davon hat. Wenn der Preis hoch ist, entlädt der Speicher Strom.
Wer trägt die Verantwortung, dass die Stromversorgung in der Schweiz nach wie vor zentral geregelt ist?
Das hängt mit den über 600 Elektrizitätswerken der Schweiz zusammen. Viele sind auf unsere Kosten im Tiefschlaf! Nichtstun ist ihr Businessmodell. Sie haben Innovationen nicht nötig. Die Politik gesteht es den Werken zu, dass sie sämtliche Kosten inklusive Marge auf die Kunden abwälzen dürfen. Das trifft uns alle, die wir in der Grundversorgung gefangen sind. Mit einem Strommarktabkommen mit der EU können wir uns aber von dieser Situation befreien und dereinst wie in Deutschland die E-Autos zu gewissen Zeiten kostenlos aufladen.
Die Politik trägt eine Mitschuld an der Situation?
Ja, auch der Bundesrat ignoriert die Situation. Bis jetzt tut er nichts. Entweder hat er das Problem nicht erkannt oder er verschliesst seine Augen davor. Das Bundesamt für Energie müsste seinen Spielraum nutzen. Es sollte zum Beispiel längst fordern, dass die Elektrizitätswerke einen Wahltarif anbieten müssen, der auf dem stündlichen Börsenpreis basiert. Die Elektrizitätswerke fordern von Besitzern von Solaranlagen, dass sie den Strom zum stündlichen Börsenpreis einspeisen. Selbst tun sie das aber nicht. Da stimmt etwas nicht.
Haben Sie die Situation mit Energieminister Albert Rösti besprochen?
Ja, das Anliegen ist deponiert. In Vorträgen spricht Albert Rösti aber weiterhin davon, man müsse neue AKW bauen. Offenbar spielt veraltete Ideologie in seinem Energiedepartement eine zentrale Rolle.
Was raten Sie Rösti?
Der Bundesrat muss aufhören mit dem starren Bandstrom. Gleichzeitig muss er zur Erkenntnis gelangen, dass der Bau neuer AKW nutzlos wäre. Diese würden zum falschen Zeitpunkt starren Bandstrom liefern und wären überhaupt frühestens in 20 bis 30 Jahren betriebsbereit. Bis dahin ist aber der Solarausbau noch viel markanter fortgeschritten – gemäss dem Bundesrat wird er sich schon bis 2030 von heute rund 8 auf 18,7 Terawattstunden mehr als verdoppeln.
Weshalb sind neue Atomkraftwerke keine gute Idee?
Atomkraftwerke passen nicht zum Schweizer Stromsystem der Zukunft, da sie immer gleichviel Strom liefern. Das Volk hat beschlossen, einen anderen Weg zu gehen. Acht Monate lang – von März bis Oktober – könnte man den Atomstrom gar nicht gebrauchen, weil wir da mehr als genug Solar- und Wasserstrom haben. Also müsste man die AKW abstellen, was sie noch viel unrentabler machen würde, als sie ohnehin schon sind.
Oh wait...