Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten wollten am Sonntag einen Wald in Villigen AG besetzen. Eine Mitteilung, die um 09:30 Uhr verschickt wurde, versprach ein grösseres Spektakel: Die Protestaktion trug den Namen «Zone à défendre Geissberg» (kurz ZAD) und erinnerte damit an die grosse Waldbesetzung, die in der Westschweiz im Frühling 2021 für grosse Schlagzeilen sorgte.
Damals erklärten mehrere Dutzend Aktivistinnen und Aktivisten den Mormont-Hügel beim Holcim-Steinbruch im Kanton Waadt als Gebiet, das es zu verteidigen gilt. Daher auch der französische Name «Zone à défendre» (ZAD): Sie demonstrierten gegen den Holcim-Entscheid, die Zementproduktion durch die Erweiterung des Steinbruchs zu erhöhen. Der Baustoff verursacht in der Schweiz fünf Prozent aller CO2-Emissionen.
Der Protest «ZAD de la Colline» war zumindest medial und juristisch ein Erfolg: Die «Zadisten» stiessen auf viel Sympathien, Holcim kassierte einen symbolischen Rüffel wegen des widerrechtlichen Abrisses eines Hauses auf dem Hügel und zog unter öffentlichem Druck Anzeigen gegen Klimaaktivistinnen zurück. Die Polizei streamte die Räumung des Protestcamps im Netz, was einerseits grosse Transparenz schuf, andererseits auch viel Aufmerksamkeit generierte.
Im Aargau hingegen scheiterte das Vorhaben: Der Protest richtete sich zwar erneut gegen die Erweiterung eines Holcim-Steinbruchs. Die «ZAD am Geissberg» war aber nicht von langer Dauer: Am Sonntagabend wurde die Kundgebung polizeilich geräumt. Das mediale Echo war im Vergleich zur Westschweizer ZAD gering.
Der Protest richtete sich nach Angaben der Klimaaktivistinnen und -aktivisten gegen die von den Behörden bewilligte Erweiterung des Steinbruchs Gabenchopf auf dem Gemeindegebiet von Villigen. Dieser existiert seit 1954 und dient der Holcim zum Abbau von Kalk und Mergel. Beide Sedimentarten werden zur Zementherstellung verwendet und können am Geissberg reichlich gefördert werden: Er liefert Holcim über eine Million Tonnen Rohstoffe pro Jahr für ebenso viel Zement.
Die Aargauer und kommunalen Behörden haben 2019 die Erweiterung des Steinbruchs bewilligt, womit das Zementwerk Siggenthal weitere Jahre in Betrieb bleiben kann. Holcim war sich möglicher Kritik wegen der hohen CO2-Emission bewusst und erwähnte im ganzen Bewilligungsprozess, wie sehr sie das Problem ernst nimmt: So habe man die CO2-Emissionen seit 1990 um «insgesamt rund 30 Prozent» verringert und neue Zementmischformen eingesetzt.
Am Klimaproblem kann die Holcim jedoch wenig ändern: Zement verschmutzt die Luft mehr als Flugzeuge und Handelsschiffe zusammen. Schuld dafür ist in erster Linie ein chemischer Prozess bei der Herstellung des Zwischenstoffs «Klinker»: Er entsteht bei hohen Temperaturen von über 1400 Grad, was viel Energie benötigt. Gleichzeitig stösst der Prozess an sich viel CO2 aus, womit Zement eine grosse Bedeutung bei der Klimakrise einnimmt.
Die Klimaaktivistinnen und -aktivisten wollten mit ihrem Protest diese Steinbruch-Erweiterung verhindern. Sie stützen ihre Kritik zudem darauf, dass der betroffene Wald zum Bundesinventar der besonders schützenswerten Landschaften zählt: Das Aargauer Tafeljura ist einer der wenigen grossen, zusammenhängenden und kaum «gestörten» Wälder der Schweiz und beherbergt Amphibien-Laichgebiete von «nationaler Bedeutung», wo unter anderem die stark gefährdete Geburtshelferkröte laicht.
Kurz gesagt: Die Polizei hatte ein leichtes Spiel.
Der Protest wurde um 09:30 Uhr gegenüber Medien angekündigt und war spätestens ab 11 Uhr öffentlich. Eine halbe Stunde später erfuhr auch die Kantonspolizei Aargau davon und fing mit der Räumung des Camps an.
Dieses präsentierte sich als nicht besonders gross: Es wurde in den Stunden zuvor bei starkem Schneefall aufgebaut und zählte nicht viel mehr als 40 Personen. Sie installierten zwar Zelte und Baumhütten, die jedoch allesamt auf dem rund 70 Hektare grossen Grundstück der Holcim lagen. Diese konnte ihr Eigentumsrecht einfach durchsetzen: Ein Anruf bei der Polizei reicht, um solche Kundgebungen räumen zu können.
Wäre der Protest auf öffentlichem Grund durchgeführt worden, hätten die Demonstrierenden Zeit gewinnen können: Auf Gemeindewald hätte es die Polizei schwerer gehabt, eine Zwangsräumung durchsetzen zu können. Die Kundgebung war zwar nicht bewilligt, eine solche wird aber in der Regel nur deshalb verlangt, um den Verkehr oder Passanten leiten zu können.
Die «Zadisten» werten ihre Kundgebung trotz Räumung als «klaren Erfolg»: «Wir konnten den Wald für 36 Stunden bei starkem Schneefall und unter polizeilicher Repression halten. Wir gehen aus jeder Aktion gestärkt hervor und werden unseren Widerstand gegen Holcim weiterführen. Angesichts einer sich intensivierenden Klimakrise wird für uns nie ein Aufgeben in Frage kommen.»
Das Unternehmen gab sich zunächst bedeckt. Die Kantonspolizei Aargau übernahm die Kommunikation und verbreitete in einer ersten polizeilichen Medienmitteilung ein Statement des Zementherstellers: «Holcim nimmt die Anliegen der Aktivisten sehr ernst und ist offen für einen Dialog, duldet aber kein illegales Eindringen in ihr Gelände, zumal solche Aktionen ein erhebliches Sicherheitsrisiko darstellen.»
Auf watson-Anfrage wurde die Holcim-Medienstelle dann doch gesprächiger: Sie bestätigte, dass die Firma Eigentümerin der Parzelle 2206 sei und der Protest für sie ein «illegales Eindringen» sei. Das Unternehmen führt auch aus, was es unter Dialogbereitschaft meint: Man sei offen für Gespräche und hätte neulich an einer vom Klimastreik Graubünden organisierten Paneldiskussion teilgenommen.
Dass es einen solchen Dialog nicht gab, hängte auch mit der fehlenden Bereitschaft der Klimaaktivisten zusammen: «Wir fordern das sofortige Ende der Klimazerstörung und eine Demokratisierung Holcims. So sehen wir keinen Sinn darin, sich mit einem solch lebensfeindlichen Konzern uns zu unterhalten, dessen Besitzer den Asbestskandal zu verantworten haben und Verbindungen zum NS-Regime hatten.»
Gemeint ist die öffentlich bekannte Kollaboration des Holcim-Vorgängers Lafarge mit den deutschen Nationalsozialisten: Das Unternehmen nutzte während der Diktatur Kriegsgefangene in ihren Produktionsstätten.
Die Berichterstattung am Sonntag wurde von der Seite der Klimaaktivisten und der Justiz beeinträchtigt.
Ein Journalist berichtete von Repressionen seitens der Polizei. Die Einsatzkräfte hätten seinen Presseausweis nicht anerkannt und hätten ihm den Zugang zum Protestcamp verweigert, da es sich um ein privates Gelände handle.
Ein weiterer Journalist, der freischaffende Pressefotograf Manuel Lopez, berichtete ebenfalls von Einschränkungen seitens der Polizei: «Sie machte deutlich, dass sie sich während der Räumung nur ungern beobachten und sicher nicht stören lassen will.» Lopez liess sich zunächst nicht wegscheuchen und betont, die notwendige Distanz eingehalten zu haben. Seine Fotografien wurden mittlerweile von mehreren Schweizer Medien verwendet.
Die Kantonspolizei wollte sich zu den Anschuldigungen nicht äussern. Das Unternehmen Holcim, welches mutmasslich den Räumungsauftrag gab, teilt auf Anfrage mit: «Das Vorgehen der Polizei kommentieren wir nicht. Selbstverständlich unterstützen wir die Medienfreiheit und setzen auf Transparenz und Dialog.» Die Medienstelle bestätigt zudem ausdrücklich, dass es sich um eine «gemeinsame Medienmitteilung» handelt.
Einschränkungen gab es auch von den Demonstrierenden selbst. Die «Zadistinnen» erlaubten Journalistinnen und Journalisten die fotografische Berichterstattung nur gegen ausdrückliche Erlaubnis. Sie wollten nach eigenen Angaben polizeiliche Repressionen sowie andere Nachteile gegen Protestteilnehmende verhindern: «In der Vergangenheit haben Personen aufgrund dessen zum Beispiel ihre Lehrstelle verloren.» Sie betonen, dass die Pressefreiheit jederzeit «durch die Aktivistinnen und Aktivisten gewährleistet» worden sei. Das grössere Problem sei ohnehin von der Polizei gekommen, so der Vorwurf – zu dem sich die Kantonspolizei nicht äussern will.
Die Polizei hat geltendes Recht durchzusetzen. Punkz.
Na ja…
Wenn die Chaoten wirklich etwas verbessern wollen, sollten sie den Verbrauch kritisieren oder noch viel besser: bei Bauherren, in der Baubranche oder der Forschung den Zement reduzieren und substituieren. Aber da müsste man ja etwas leisten und nicht nur fordern...