Das Oldtimerflugzeug Junkers Ju-52 mit dem Kennzeichen HB-HOT und dem Kosenamen «Tante Ju» war schon 8783-mal sicher gelandet. Als es am 4. August 2018 zum letzten Mal in Locarno abhob, waren die Sichtbedingungen gut, ein Ausläufer des Azorenhochs reichte von den Britischen Inseln bis zum Schwarzen Meer.
Doch auf dem Flug Richtung Zürich geriet die dreimotorige Maschine nach einer Linkskurve plötzlich ins Trudeln. Beinahe senkrecht krachte sie in der Nähe von Flims GR in den Boden. Die 17 Passagiere, die beiden Piloten und die Stewardess waren auf der Stelle tot. Der Absturz erschien rätselhaft.
Drei Monate später liegt nun ein Zwischenbericht der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle (Sust) vor. Die Analyse der Trümmerteile deckte Schäden auf, die schon vor dem Absturz existiert hatten. Die tragende Konstruktion der Flügel bestand aus zusammengeschraubten Rohren. Diese hatten Risse, die von blossem Auge erkennbar sind, wie die Sust in ihrem Untersuchungsbericht mit Fotos belegt. Sie beschreibt sie als «erhebliche Korrosionsschäden».
Auch Scharniere und Beschläge waren von Rissen durchzogen, die Korrosionsschutzfarbe war abgeblättert. Der Holzboden des Fliegers war sogar morsch. An Treibstoff- und Ölschläuchen fanden die Ermittler ausserdem «erhebliche Alterungsschäden», die sie mit Bildern von zerfransten Leitungen dokumentieren. Eine Nahaufnahme zeigt das Montagedatum eines Schlauches. Seit dem 11.11.1988 war er nicht ersetzt worden.
Die Fluggesellschaft Ju-Air hatte ihre Instandhaltungsarbeiten gemäss der Sust zudem mangelhaft dokumentiert. Es fehlten Angaben zu Modifikationen und Ersatzteilen.
Die gute Nachricht für die Ju-Air ist: Die Mängel waren gemäss der Sust keine Ursache für den Absturz. Dieser bleibt vorerst ein Rätsel. Es handle sich aber um Sicherheitsdefizite, von denen wahrscheinlich auch die beiden Schwesterflugzeuge der Firma betroffen seien.
Das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) hat auf den Bericht sofort reagiert und der Ju-Air ein Flugverbot für die beiden verbliebenen «Tante Ju» erteilt. Die Aufsichtsbehörde findet noch deutlichere Worte als die Ermittler und schreibt von «schwerwiegenden strukturellen Schäden».
Doch die Ju-Air glaubt, das Grounding werde keine Folgen für ihren Flugbetrieb haben. Diese Woche startete die Airline ohnehin mit der Winterpause. Vergangene Woche fanden die letzten Flüge statt, jene vom Wochenende waren wegen Nebel abgesagt worden. Im März 2019 will sie den Flugbetrieb wie geplant wieder aufnehmen, wie sie mitteilt.
Beim Bazl sorgt der optimistische Flugplan der Unglücks-Airline für Verwunderung. Bazl-Sprecher Christian Schubert verpackt seine Skepsis in eine diplomatische Formulierung: «Eine Wiederaufnahme des Flugbetriebs im Frühling erscheint uns sehr ambitioniert.» Die Ju-Air müsse nun ein massgeschneidertes Kontrollprogramm für die Ju-52 etablieren, mit dem sie auch die bisher unzugänglichen Zonen untersuchen könne. Das werde «sicher einige Zeit» in Anspruch nehmen.
Ein Grund für die Unstimmigkeit zwischen dem Bund und der Airline ist eine unterschiedliche Interpretation der Schäden. Das Bazl, das die Unfallmaschine vier Monate vor dem Absturz geprüft hatte, geht davon aus, dass die Risse bei den normalen Inspektionen nicht festgestellt werden konnten.
Ju-Air-Sprecher Christian Gartmann hingegen sagt: «Unsere Techniker hätten die Risse bei der Wartung vor einem Jahr sofort entdeckt, wenn diese dann schon bestanden hätten.» Die Rohre wurden dabei mit sogenannten Boroskopen untersucht, Minikameras, die in die Hohlräume eingeführt wurden.
Als die Ju-Air-Techniker vom vernichtenden Befund der Sust erfuhren, holten sie die Bilder ihrer letzten Wartung aus dem Archiv. «Unsere Aufnahmen belegen, dass die Rohre damals in einem einwandfreien Zustand waren», sagt Gartmann. Das würde bedeuten, dass die Schäden in der Zwischenzeit entstanden sein müssten. Doch dies wird beim Bazl angezweifelt, schliesslich handelt es sich bei Korrosion um einen langsamen Alterungsprozess.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Oldtimer-Fans mit ihrem ungebremsten Optimismus anecken. Am Tag nach dem Absturz kündigte Ju-Air-Chef Kurt Waldmeier an, der Flugbetrieb werde eingestellt. Doch vier Tage später vollzog er eine Kehrtwende. Nur zwei Wochen nach der Tragödie herrschte wieder Business as usual. Waldmeier behauptete, die Ermittler würden ein technisches Problem als Ursache ausschliessen. Die Untersuchungsbehörde widersprach ihm darauf. Denn der Abschlussbericht liege erst 2019 vor. (aargauerzeitung.ch)