Am meisten zu reden geben dürfte die vom Ständerat beschlossene Erhöhung des Zahlungsrahmens für die Armee sowie deren Gegenfinanzierung.
Die Landesregierung hatte dem Parlament im Februar erstmals Eckwerte zur strategischen Ausrichtung der Armee vorgelegt, und zwar für zwölf Jahre bis 2035. Zugleich unterbreitete er National- und Ständerat den Zahlungsrahmen für die Jahre 2025 bis 2028 im Umfang von 25,8 Milliarden Franken.
Der Ständerat hatte im Juni den Zahlungsrahmen für die Armee um vier Milliarden Franken erhöht. Damit soll sichergestellt werden, dass das Armeebudget bereits bis 2030 und nicht erst bis 2035 den Zielwert von einem Prozent des Bruttoinlandproduktes erreicht.
Die Aufstockung dürfte auch im Nationalrat eine Mehrheit finden. Strittig ist aber die Frage, ob und – wenn ja – wie die Mehrausgaben kompensiert werden sollen. Über diese Frage wird die grosse Kammer wohl erst am Donnerstagvormittag befinden.
Die SP-Fraktion will nach Angaben ihrer Sprecherin Priska Seiler Graf (ZH) einer Erhöhung des Armeebudgets zustimmen. Voraussetzung ist, dass für die Mehrausgaben ein temporärer Armeefonds im Umfang von 10 Milliarden Franken geschaffen wird.
«Der einzige Vorschlag, den die SP mittragen kann, ist die Fondslösung», sagte Seiler Graf am Mittwochnachmittag zu Beginn der Armeedebatte im Nationalrat. «Das ist für uns ein sehr, sehr grosser Schritt.»
Zwar träume die SP von einer Welt ohne Armeen, so Seiler Graf.
Der brutale Angriff Russlands auf die Ukraine sei ein Schock gewesen. Der Krieg sei zurück in Europa. «Wir können es nicht schönreden, auch wenn es durchaus schmerzhaft sein kann.»
Generell denke die SP den Begriff Sicherheit umfassend, sagte Seiler Graf. Es gebe neben der Armee weitere Sicherheitsbehörden, die nicht einem Spardiktat zum Opfer fallen dürften. Dazu gehöre beispielsweise der Nachrichtendienst des Bundes (NDB).
Die Freisinnigen haben in der Debatte zur Armeebotschaft an die Verantwortung der anderen Parteien appelliert. Es gehe letztlich um die Freiheit der Schweiz, sagte der Schwyzer Nationalrat Heinz Theiler.
Seine Fraktion stelle sich voll und ganz hinter die Absicht des Bundesrates, die Verteidigungsfähigkeit der Schweiz zu stärken, so Theiler. Damit sende man ein starkes Signal ans Ausland, dass sich die Schweiz nicht spalten lasse:
Theilers Waadtländer Parteikollegin Jacqueline de Quattro verwies auf die veränderte Sicherheitslage in Europa: «Das Recht des Stärkeren ist zurück.» In der Folge hätten die Staaten Europas ihre Armeeausgaben erhöht – sogar das neutrale Österreich.
De Quattro machte auch klar, dass die FDP zur Gegenfinanzierung der Mehrausgaben Einsparungen in anderen Bereichen will: Es gebe zahlreiche Möglichkeiten, zu sparen und effizienter zu werden, und zahlreiche Subventionen, die infrage gestellt werden könnten und müssten.
Die Mitte-Fraktion dürfte bei der Gegenfinanzierung der zusätzlichen Milliarden für die Armee nicht geeint abstimmen. Ein Teil der Fraktion will einem temporären Armeefonds zustimmen. Der andere Teil will die Mehrausgaben in verschiedenen Bereichen kompensiert haben.
So sagte es Fraktionssprecher Martin Candinas (GR) am Mittwochnachmittag in der Eintretensdebatte zur Armeebotschaft 2024 im Nationalrat. Absolute Priorität habe die Aufstockung des Ausgabenplafonds im Umfang von vier Milliarden Franken.
Danach gelte es, «das Machbare vom Wünschbaren zu trennen», so Candinas. Er bevorzuge noch immer einen Armeefonds zur Gegenfinanzierung der Mehrausgaben.
Ein Teil seiner Fraktion wolle die Zusatzaufgaben jedoch in verschiedenen Bereichen kompensieren – um damit eine «unheilige Allianz» von SVP und SP zu verhindern, welche den Zahlungsrahmen in der Sicherheitspolitischen Kommission (SIK-N) gemeinsam zum Absturz brachte.
Candinas hofft, in den nächsten Wochen und Monaten eine Kompromisslösung zu finden, die im Dezember im Parlament mehrheitsfähig ist. Er zähle auf einen «konstruktiven Dialog» auf bürgerlicher Seite, sagte er.
Die Grünliberalen wollen die Armeeausgaben erst bis 2035 auf ein Prozent des Bruttoinlandprodukts erhöhen – und nicht schon bis 2030. Einsparungen bei der internationalen Zusammenarbeit zugunsten der Armee lehnen sie ab.
Patrick Hässig (GLP/ZH) sagte namens seiner Fraktion, die längere Frist sei finanzpolitisch vertretbar und sicherheitspolitisch sicher nicht falsch.
Hässig äusserte in der Nationalratsdebatte zur Armeebotschaft am Mittwoch Zweifel daran, dass die grosse Kammer sich auf eine Gegenfinanzierung der von den anderen bürgerlichen Parteien gewünschten Erhöhung des Zahlungsrahmens für die Armee um 4 Milliarden Franken werde einigen können.
Der Zürcher Nationalrat forderte, den Schwerpunkt auf neue Gefahren wie Cyberangriffe und Desinformation und die Bedrohung durch Terroranschläge zu legen. Dort lägen künftig die grössten Bedrohungen.
Kürzungen bei der internationalen Zusammenarbeit erteilte Hässig eine Absage. Die Schweiz könne in krisengebeutelten Ländern zur Stabilität beitragen, was auch sie selbst sicherer mache. Hier zugunsten der Armee zu sparen, sei zynisch und kontraproduktiv.
Die Nationalratsfraktion der Grünen will sich bei der Beratung der Armeebotschaft mit aller Kraft gegen zusätzliche Armeemilliarden zur Wehr setzen. Das Volk soll aus ihrer Sicht über die Aufstockung entscheiden können.
Die Fraktionssprecherin Marionna Schlatter (ZH) appellierte am Mittwochnachmittag im Nationalrat an die bürgerliche Mehrheit:
Die Grünen seien bereit für eine breite Debatte.
Die Grünen halten die «einseitige» Ausrichtung der Armee auf ihre Verteidigungsfähigkeit für falsch, wie Schlatter sagte. Es gebe weitaus grössere Probleme auf der Welt, die Armee setze ihre Prioritäten falsch.
Obwohl sich die unmittelbare Bedrohungslage für die Schweiz nicht geändert habe, herrsche im Parlament ein «überstürzter Aufrüstungswillen», so Schlatter weiter. Eine Verdoppelung der Armeeausgaben bis ins Jahr 2030 sei «unnötig» und «das Ergebnis einer alarmistischen Armeepropaganda».
Die SVP will keine Fondslösung zur Gegenfinanzierung höherer Armeeausgaben. Die Partei will stattdessen Einsparungen in anderen Bereichen.
Eigentlich wäre es seiner Fraktion lieber, erst in der Budgetdebatte über die Finanzierungsfrage zu entscheiden, sagte Thomas Hurter (SVP/ZH) in der Nationalratsdebatte: «Alles was wir heute machen, sind nur Willensbekundungen.» Die SVP sei aber bereit, über ihren Schatten zu springen.
Die Eckwerte zur Ausrichtung unterstütze man grundsätzlich, erklärte Hurter. Er bemängelte aber, diese hätten eigentlich so gestaltet werden müssen, dass in zwölf Jahren eine Evaluation möglich sei.
Der Bundesrat hält daran fest, dass die Verteidigungsausgaben bis ins Jahr 2035 ein Prozent des Bruttoinlandprodukts ausmachen sollen. «Die Finanzlage des Bundes erlaubt kein zusätzliches Wachstum», sagte Verteidigungsministerin Viola Amherd.
Der vom Bundesrat vorgeschlagene Zahlungsrahmen der Armee für die nächsten vier Jahre sei konform mit dem Ausgabenwachstum, das vom Parlament im vergangenen Dezember bestätigt worden sei, hielt Amherd am Mittwoch im Nationalrat fest. Demnach sollen 2025 und 2026 die Armeeausgaben real um 3 Prozent wachsen, in den Jahren 2027 und 2028 dann um real 5,1 Prozent.
Der Zahlungsrahmen diene als Planungsinstrument für die langfristige Ausgabensteuerung der Armee, sagte Amherd. «Nur so kann die Armee eine verlässliche Ausgabenplanung machen.» Ein stabiler finanzieller Rahmen sei entscheidend, damit sich Beschaffungen zur Schliessung der Fähigkeitslücken nicht verzögerten oder ganz wegfielen.
Der Nationalrat wird im Detail über die Gegenfinanzierung höherer Armeeausgaben beraten. Er ist am Mittwoch auf alle fünf Bundesbeschlüsse zur Armeebotschaft 2024 eingetreten.
Mit 167 zu 23 Stimmen votierte die grosse Kammer für Eintreten auch beim Zahlungsrahmen der Armee für die Jahre 2025 bis 2028. Dies, obwohl sich die vorberatende Kommission nicht auf eine Lösung in der Frage der Gegenfinanzierung hatte einigen können, woraus ein Nichteintretensantrag ans Parlament resultierte.
Für Nichteintreten stimmten lediglich die Grünen. Konkret geht es darum, dass der Ständerat sowie SVP, FDP und Mitte bis 2028 vier Milliarden Franken mehr für die Armee ausgeben möchten als vom Bundesrat beantragt. Insgesamt wären dies 29,8 Milliarden Franken. Strittig ist, ob die Mehrausgaben in anderen Bereichen kompensiert werden sollen oder ob man dafür einen Fonds schaffen soll.
Der Nationalrat ist in der Frage der strategischen Ausrichtung der Armee bis 2035 im Wesentlichen dem Bundesrat gefolgt. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Stärkung der Verteidigungsfähigkeit.
In der Gesamtabstimmung nahm die grosse Kammer den ersten von fünf Bundesbeschlüssen zur Armeebotschaft mit 131 zu 58 Stimmen an. Mit Nein stimmten SP und Grüne. Die restlichen fünf Bundesbeschlüsse berät der Nationalrat am Donnerstag.
Eine linke Minderheit der vorberatenden Kommission um die Berner SP-Nationalrätin Andrea Zryd schlug ein alternatives Armeemodell vor. Sie wollte statt von Verteidigungsfähigkeit von der «Fähigkeit zu Schutz und Rettung der Bevölkerung in einem hybriden Konfliktumfeld und im Katastrophenfall» sprechen. Der Antrag wurde jedoch mit 130 zu 60 Stimmen abgelehnt.
Die grosse Kammer hatte insgesamt über rund ein Dutzend Änderungsanträge zu befinden. Eine Mehrheit fand lediglich ein Antrag einer Minderheit um Liliane Chappuis (Mitte/FR). Dabei geht es um den Schutz der kognitiven Integrität von Einzelpersonen und der Bevölkerung. Mit Angriffen auf die kognitive Integrität ist die Manipulation der Wahrnehmung, etwa durch mittels künstlicher Intelligenz hergestellte Videos oder durch die Wirkungsweise von Social-Media-Algorithmen, gemeint.
(hah/kek/sda)
An den Masken hat man gesehen, dass in der Not jeder zuerst für sich schaut. Haben wir wirklich das Gefühl, dass die ringsum uns beschützen?