Schweiz
Polizeirapport

Obergericht Solothurn nach tödlichem Messerstich: «Es war Notwehr»

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Obergericht Solothurn nach tödlichem Messerstich: «Es war Notwehr»

Die Frau, die im Dezember 2018 in Derendingen SO ihren Lebenspartner mit einem Messerstich getötet hat, handelte laut Obergericht Solothurn in Notwehr. Am Mittwoch sprach das Gericht die Frau deshalb frei vom Vorwurf der eventualvorsätzlichen Tötung.
13.07.2022, 17:46

Für die Untersuchungshaft von zwei Monaten und den damit verbundenen Erwerbsausfall sprach das Gericht der 60-Jährigen eine Entschädigung von insgesamt rund 12'600 Franken zu. Die Zivilforderungen der Opferangehörigen wies es ab. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, es kann ans Bundesgericht weitergezogen werden.

Mit seinem Urteil korrigierten die Oberrichter den erstinstanzlichen Entscheid des Amtsgerichts Bucheggberg-Wasseramt. Es hatte die Schweizerin im März 2021 wegen eventualvorsätzlicher Tötung zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 34 Monaten verurteilt. Zwar anerkannte es eine Notwehrsituation, die Beschuldigte habe aber überreagiert.

Um Leben gefürchtet

Das sahen die Oberrichter anders. Die Frau habe um ihr Leben gefürchtet, als der Mann ihr den Lauf seiner Pistole auf die Brust gesetzt habe. Dass die Waffe nicht geladen war, habe sie nicht wissen können. In dieser Situation «durfte sie sich mit dem Messer wehren», so der Richter, der die mündliche Urteilsbegründung präsentierte.

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Der Einsatz des Messers sahen die Richter als gerechtfertigt an.Bild: KEYSTONE

Objektiv und subjektiv habe die Frau zwar den Tatbestand der eventualvorsätzlichen Tötung – also des In-Kauf-Nehmens des Todes – erfüllt, sagte der Richter. In der Bedrohungssituation, in der sie sich befunden habe, habe sie aber «in rechtfertigender Notwehr gehandelt».

Pistole auf die Brust

Am Morgen des 8. Dezember 2018 hatte das Paar einen heftigen Streit. Als er ihr eine Pistole auf die Brust drückte und drohte, sie zu erschiessen, rammte sie ihm ein Küchenmesser in den Bauch. Sie traf die Schlagader, der Mann starb.

Das Obergericht ging von einer einzigen Stichbewegung aus. Kleinere Verletzung am Unterarm und am Daumen des Mannes seien als Abwehrverletzungen zu interpretieren, sagte der Richter. Der Staatsanwalt hatte sie als Indiz für mehrere Stiche gesehen.

Tragischer Schlusspunkt

Die Tat war tragischer Schlusspunkt einer Beziehung, die 2017 in eine fatale Negativspirale geriet, nachdem das Paar jahrelang harmonisch zusammengelebt hatten. Damals kam die Frau dahinter, dass der Mann eine Affäre mit einer Arbeitskollegin hatte.

Sie verlor das Vertrauen in ihn, kontrollierte ihn, spionierte ihm hinterher und machte auch vor seinem Handy nicht Halt. Er konterte mit Lügen, Schweigen und Gewaltausbrüchen. Zum Streit vom 8. Dezember 2018 kam es, weil er sie am Abend zuvor einmal mehr angelogen hatte.

Als sie ihn zur Rede stellte wurde er wütend und schrie, er würde sich am besten erschiessen, dann hätte er seine Ruhe. Sie machte den Fehler, ihm zu sagen, dass sie seine Pistole versteckt habe, weil er diese Drohung schon früher ausgestossen hatte. Er begann derart zu toben, dass sie schliesslich die Waffe in der Küchenschublade holte, gleichzeitig aber ein Messer mitnahm.

Als er die Pistole in der Hand hatte, richtete er sie gegen die Frau und drohte, er würde gescheiter sie erschiessen. Daraufhin stach sie mit dem Messer zu. Anschliessend rannte sie in den ersten Stock und verbarrikadierte sich im Bad. Als sie nach einer Weile wieder herunter kam, fand sie ihn tot am Boden liegen. Sie alarmierte Polizei und Ambulanz.

«Plausible» Ausführungen

Für die Verteidigerin handelte die Frau klar in Notwehr. Sie forderte einen Freispruch. Auch der Staatsanwalt sah eine Notwehrsituation gegeben, war aber der Ansicht, die Beschuldigte habe überreagiert, damit liege ein Notwehr-Exzess vor. Sie sei deshalb wegen eventualvorsätzlicher Tötung zu verurteilen.

Er verlangte eine Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils. Ob er das Urteil weiterzieht, konnte er noch nicht sagen, erst muss die schriftliche Begründung vorliegen. (sda)

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