Akuter Schneemangel im letzten Winter, zu hohe Temperaturen für Schneekanonen, dutzende Skigebiete, die schliessen müssen, weil sich der Betrieb schlicht nicht mehr lohnt – in Zeiten des Klimawandels häufen sich die Schreckensnachrichten rund um den Wintersporttourismus. Da tönt die neuste Meldung aus dem Bündner Südtal Misox fast schon etwas paradox: Nachdem es zehn Jahre lange stillgelegt war, feiert das Skigebiet Confin in San Bernardino seine Wiedereröffnung.
Die Zubringerbahn, der einzige Sessellift, sowie drei der fünf Skilifte haben heute ihren Betrieb wieder aufgenommen. Die Anlagen wurden renoviert und mit einer Reihe von modernen Steuerungen versehen. Aktuell stehen den Gästen 45 Pistenkilometer zur Verfügung.
Vorerst. Denn in San Bernardino steht ein Megaprojekt in den Startlöchern. Der Tessiner Unternehmer Stefano Artioli will das einst florierende Bündner Bergdorf, das auf 1600 Meter über Meer liegt und in den 1970er- und 1980er-Jahr seine Blütezeit erlebte, für 300 Millionen Franken zu einer Ganzjahresdestination ausbauen und dabei rund 400 Arbeitsplätze schaffen. Dafür hat der 63-Jährige bereits das halbe Dorf zusammengekauft – mit der Unterstützung der lokalen Bevölkerung.
Erst vor gut einem Jahr hat Artioli, ein alter Freund von UBS-Chef Sergio Ermotti, das Projekt an einer Gemeindeversammlung im Ort vorgestellt. Mit Einsprachen oder sonstigem Widerstand musste er sich nicht herumschlagen: Im Juni stimmten 78,5 Prozent der Bevölkerung dafür, dass Artiolis Firma San Bernardino Swiss Alps fünf Baulandparzellen mit einem Wert von rund fünf Millionen Franken übernehmen kann.
Auf einer soll das Herzstück des Megaprojekts entstehen: ein Fünf-Sterne-Hotel mit öffentlichem Spa- und Wellnessbereich. Schliesslich war San Bernardino dank seiner Mineralquelle schon bei den Römern als Kurort bekannt. Das Wasser ist zwar nur zwischen 8,5 und 9 Grad warm, dafür bikarbonat-, sulfat- und magnesiumhaltig.
Fünf Hotels mit drei bis fünf Sternen und vier Apartmentkomplexe mit insgesamt 1500 warmen Betten sind bis 2027 geplant. Lediglich drei der Bauten werden neu erstellt, an den übrigen Standorten werden bestehende Gebäude umgenutzt und umgebaut: Dafür kaufte Artioli verlassene Häuser und Hotels im Dorfkern auf, die bald in neuem Glanz erstrahlen sollen.
Laut seinen ambitionierten Plänen soll San Bernardino «ein kleines Zermatt» werden: So sind unterirdische Parkhäuser mit 900 Plätzen geplant, um den Dorfkern autofrei zu halten. Für das leibliche Wohl sollen mehrere Gourmetrestaurants, eine Pizzeria und ein Steakhouse sorgen.
Den Vergleich mit Andermatt, das der ägyptische Investor Samih Sawiris seit 2009 Schritt für Schritt in ein Premium-Skigebiet umwandelte, hört Artioli aber nicht gerne. «Wir planen Investitionen von 300 Millionen Franken, in Andermatt sprechen wir von drei bis vier Milliarden Franken.»
Auch die Zielgruppe sei eine andere. Als mögliche Gäste sieht Artioli den Mittelstand und insbesondere Familien: «Für sie planen wir viele Aktivitäten», erklärte der Unternehmer im November in der «Südostschweiz». Ziel sei es, dass ein Wochenende für eine Familie mit zwei Kindern nicht mehr als 800 Franken koste.
Die künftigen Gäste sollen sowohl aus der Deutschschweiz als auch aus dem Tessin und Norditalien stammen. «In einem Umkreis von etwa zwei bis zweieinhalb Fahrstunden leben rund fünf Millionen Menschen», gibt Artioli zu bedenken. Mit Zürich und Mailand lägen gleich zwei Grossstädte in machbarer Fahrdistanz. Ihre Bewohnerinnen und Bewohner sollen mithelfen, aus San Bernardino wieder eine gefragte Feriendestination zu machen.
Mit der Wiedereröffnung der Skilifte ist laut Artioli der Beginn geschafft. «Ein erster Traum ist wahr geworden. Ein grosser Aufwand, der zusammen mit den bereits bestehenden Baustellen im Dorfzentrum in den letzten Monaten Früchte getragen hat», schreibt der Unternehmer in einer Medienmitteilung.
Doch nicht nur im Dorf, auch im Skigebiet gibt es noch viel zu tun. Zunächst sind die Etappenziele kurz gesteckt: Noch in dieser Saison soll der Skilift Tre Omen wiedereröffnet werden. Die Erneuerung des Skilifts Rotondo wird dagegen erst im nächsten Jahr abgeschlossen werden. Danach geht es an die Erneuerung der Infrastruktur, ein sogenannter Masterplan ist derzeit in der Entwicklung. Fest steht aber schon jetzt: Bis 2033 sollen die Anlagen auf dem neusten Stand sein. Bis dann sollen zudem zwei neue Bergrestaurants sowie zwei neue Sessellifte auf der Alp Vigon stehen.
Investitionen, die trotz Klimawandel nicht abwegig sind. Mit 1600 Meter über Meer liegt das Dorf San Bernardino höher als Davos, Andermatt oder Engelberg. Die höchstgelegene Bergstation befindet sich auf 2525 Meter über Meer, was einen regelmässigen Skibetrieb zumindest in den nächsten Jahrzehnten sicherstellen sollte. Und so könnte der Traum von Unternehmer Artioli tatsächlich wahr werden und San Bernardino zur «führenden Feriendestination im südlichen Alpenraum» werden.
Und Skiferien werden für "normale" Familien langsam eh zum Luxus...