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Katholische Kirche braucht mehr Zeit – Missbrauchsopfer sind enttäuscht

Katholische Kirche braucht mehr Zeit – Missbrauchsopfer sind enttäuscht

27.05.2024, 13:2727.05.2024, 13:27
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Mehr als ein halbes Jahr nach der Missbrauchs-Studie hat die katholische Kirche am Montag über den Stand ihrer angekündigten Massnahmen informiert: Konkretes gab es noch nicht - es seien noch viele Fragen offen, hiess es. Den Betroffenen geht es zu langsam vorwärts.

«Wir kommen nicht so rasch voran, wie es nötig und gewünscht wäre», räumte Joseph Bonnemain, Bischof von Chur und Themenverantwortlicher der Bischofskonferenz, am Montag vor den Medien in Zürich ein. In den vergangenen sechs Monaten sei aber intensiv gearbeitet worden.

Ressortverantwortlicher der SBK Bischof Joseph Bonnemain, informiert ueber den aktuellen Stand der Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche, aufgenommen am Montag 27. Mai 2024 in  ...
Bischof Joseph Maria Bonnemain am Montag vor den Medien in Zürich.Bild: keystone

Noch keine Anlaufstellen

Um landesweit Massnahmen einführen zu können, brauche es Zeit, ergänzte Stefan Loppacher, der Präventionsbeauftragte des Bistums Chur. Er verwies auf den Föderalismus - und die unterschiedlichen Sprachen und Kulturen sowie die verschiedenen Kirchenstrukturen.

Um eine unabhängige Opferberatung zu garantieren, stehen die kirchlichen Organisationen nun im Gespräch mit den staatlich anerkannten Opferberatungsstellen. Es müsse etwa abgeklärt werden, wie deren Zusatzaufwand entschädigt werde, sagte Loppacher weiter. Im Juni sollen erste Entscheide zur Anlaufstelle getroffen werden.

Keine Reaktion auf Missbrauchs-Meldung

Dass bislang nicht mehr umgesetzt wurde, kritisierte Vreni Peterer. Der Präsidentin der Interessengemeinschaft für missbrauchsbetroffene Menschen im kirchlichen Umfeld (Miku) fehlt es beispielsweise auch Monate nach der Studie an Betreuung, wie sie am Gespräch sagte.

Vreni Peterer, Praesidentin der Interessengemeinschaft fuer Missbrauchsbetroffene im kirchlichen Umfeld, spricht an einer Medienkonferenz ueber den aktuellen Stand der Aufarbeitung sexuellen Missbrauc ...
Vreni Peterer kritisiert die fehlenden Anlaufstellen.Bild: keystone

So würden sich beim Verein viele Betroffene melden, die zum ersten Mal über ihre Erfahrungen reden würden, sagte Peterer. «Wir müssen überbrücken, bis wir endlich Anlaufstellen haben.»

Zudem komme es immer noch vor, dass Betroffene keine Reaktion auf ihre Meldung erhalten würden. «Sie kriegen nicht einmal eine Bestätigung, dass ihre Mail eingegangen ist.»

Einzelne Massnahmen in einem Bistum liessen sich wohl rascher umsetzen, räumte Bonnemain ein. Er zeigte sich aber überzeugt, dass es nun breit abgestützte Massnahmen brauche, die landesweit und einheitlich gelten würden.

Opferberatung, Meldestellen und Fallbearbeitung sollen entflochten und professionalisiert werden. Die kircheninternen Melde- und Interventionsstrukturen seien in verschiedener Hinsicht unzureichend.

Psychologische Abklärungen für Priester

Die katholische Kirche will zudem wie angekündigt einführen, dass Priester, Diakone und Mitglieder von Ordensgemeinschaften im Rahmen ihrer Ausbildung psychologische Abklärungen durchlaufen müssen. Zudem soll die gesamte Personal-Abteilung professionalisiert werden.

Weiter haben sich in einer schriftlichen Selbstverpflichtung alle kirchlichen Verantwortlichen an der Spitze von Bistümern, Landeskirchen und Ordensgemeinschaften dazu verpflichtet, entgegen den kirchenrechtlichen Vorgaben künftig keine Akten mehr im Zusammenhang mit Missbrauchsfällen zu vernichten.

Stefan Loppacher, Leiter der Geschaeftsstelle �Fachgremium sexuelle Uebergriffe im kirchlichen Umfeld�, informiert ueber den aktuellen Stand der Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in der katholischen  ...
Stefan Loppacher, Präventionsbeauftragter des Bistums Chur.Bild: keystone

Von Schock zu Optimismus

Die Kirche müsse sich intensiv mit ihren Verfehlungen auseinandersetzten, hielt Abt Peter von Sury von der Konferenz der Vereinigungen der Orden und weiterer Gemeinschaften des gottgeweihten Lebens in der Schweiz (Kovos) fest. Dies, um den Betroffenen gerecht zu werden und künftigen Missbrauch zu verhindern.

Der Bericht vom vergangenen September habe schockiert, ergänzte Roland Loos, Präsident der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ). Doch jetzt spüre er Optimismus. Es sei zwar nachvollziehbar, dass es für Betroffene zu langsam gehe, doch seien tiefgreifende Veränderungen möglich. Diese bräuchten jedoch Zeit.

Kirche kündigte Massnahmen an

Im vergangenen September publizierte die Universität Zürich eine Studie zum Ausmass des sexuellen Missbrauchs im Umfeld der römisch-katholischen Kirche seit Mitte des 20. Jahrhunderts. Die Studie zeigte, dass Priester und Ordensangehörige in der Schweiz seit 1950 über 1000 Fälle von sexuellem Missbrauch begangen hatten, wobei die Dunkelziffer hoch sein dürfte.

Bereits bei der Präsentation des Berichts kündigte die Kirche Massnahmen gegen sexuellen Missbrauch und dessen Vertuschung an. (sel/sda)

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37 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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SickVodka
27.05.2024 13:49registriert Januar 2023
Wie lange denn? Bis die Täter an Altersschwäche gestorben sind?
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Der Micha
27.05.2024 15:29registriert Februar 2021
"Wir kommen nicht so rasch voran, wie es nötig und gewünscht wäre" bedeutet bei der Kirche: "Wir sitzen das Ganze solange aus, bis Gras darüber gewachsen ist. Wir haben keine Interesse an Aufklärung und Aufarbeitung".
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Wolf Rabe
27.05.2024 13:51registriert Februar 2015
Da hat man das offensichtliche Problem 1000 Jahre unter den Teppich gekehrt - und jetzt stressen alle rum und haben nicht mal ein paar wenige Generationen Zeit?!? Hallo?!?
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