Es ist Donnerstag, 10. Mai 1984, als in einem Lokalanzeiger im Raum Lenzburg der Artikel eines Redaktors erscheint. Er schreibt über den bevorstehenden Weltrekordversuch im Seilziehen. Nie zuvor würden mehr Leute gemeinsam an einem Seil gezogen haben, Lenzburg sollte ein Eintrag im «Guinness Buch der Rekorde» sicher sein. Der Redaktor schreibt: «Eine grosse Ungewissheit bleibt jedoch bis zum Rekordversuch bestehen: Nämlich, ob das Seil der ungeheuren Belastung standhält. ‹Sonst›, lacht der Seilziehchef, ‹gibt es ein grosses Dominospiel›».
Zwei Tage später tönen die Zeilen wie eine makabre Vorahnung.
Es ist Samstag, 17.15 Uhr. Es ist der 12. Mai 1984, der Tag, an dem die Stadt Lenzburg einen Eintrag im «Guinness Buch der Rekorde» ergattern sollte. 880 Personen umklammern das 2,5 Zentimeter dicke Seil. Um den Rekord offiziell zu machen, fassten sie zuvor eine Nummer. Dann gibt ein Mitglied des Lenzburger Stadtrats den Startschuss.
Kaum mehr als 30 Sekunden später peitscht ein zweiter Knall über das Sportplatzgelände.
Das Seil hat der ungeheuren Zugkraft nicht standgehalten und ist gerissen. Der Knall des auseinanderreissenden Seils wird begleitet von einer Rauchwolke an der Bruchstelle. Innert Sekunden liegt ein Grossteil der 880 Menschen am Boden. Der Platzspeaker kommentiert live (siehe Video unten): «Ond jetzt esch s'Seili grisse! – S'Seili hett die unghüüri Belaschtig vo dem Wältrekord ned chöne ushalte.»
Rund 100 Personen wohnen dem Weltrekordversuch als Zuschauer auf der Tribüne und im Sportplatz-Café bei. Der Lokalreporter der «Aargauer Zeitung» schreibt:
Jetzt erst wird den Zuschauern bewusst, was sich da gerade für eine Tragödie ereignet hat. Vereinfacht gesagt zieht sich das Seil nach dem Knall extrem schnell «zusammen». Durch die Reibung «verbrennt» es den Teilnehmern die Hände – oder reisst es gar Haut und Finger ab. Der Lokalreporter schreibt weiter:
Der Zwischenfall löst auf dem Sportplatz eine Panik aus. In grosser Angst rennen Verletzte und Zuschauer weg. Noch Stunden nach dem Unglück wird nach abgerissenen Fingern gesucht.
Um den am schwersten verletzten Teilnehmer, der bewusstlos auf dem Rasen liegt, kümmern sich Helfer. Der Mann erliegt später seinen Verletzungen im Spital. Insgesamt werden 24 Menschen zum Teil schwer verletzt.
Zwei Jahre nach dem Vorfall wird der Geschäftsführer der Seilfabrik, die das Seil lieferte, vom Aargauer Obergericht auch in zweiter Instanz freigesprochen. Das Gericht verwies darauf, dass der Käufer auf die mangelnde Belastbarkeit aufmerksam gemacht worden war.