2023 ist Wahljahr – am 22. Oktober bestellen die Wahlberechtigten in der Schweiz die 200 Mandate des Nationalrates sowie 45 der 46 Mitglieder des Ständerats neu. Eine vertiefte Auswertung des Chancenbarometers – eine repräsentative Umfrage, durchgeführt von der HSG-Politikwissenschaftlerin Tina Freyburg und der LARIX Foundation – gibt einen Einblick, was sich die grosse Mehrheit des Wahlvolks von den Parteien erhofft und wie diese die Wählerinnen und Wähler mobilisieren können. Der Wahlcheck erscheint heute – hier eine Übersicht der Ergebnisse:
Wie die untenstehende Grafik zeigt, erwarten die Wahlberechtigten von ihren parlamentarischen Vertretern, dass sie das politische Hickhack hinter sich lassen und mehr Kompromissbereitschaft an den Tag legen – und so parteiübergreifend Lösungen entwickeln und umsetzen. Dies gilt für alle Befragten unabhängig von ihrer Parteinähe, besonders aber für jene, die der GLP, den Grünen, der SP und der Mitte nahestehen. Auch bei den Anhängerinnen und Anhängern der FDP und den parteilich Unentschlossenen ist der Wunsch stark ausgeprägt; am wenigsten hingegen bei jenen, die der SVP nahestehen.
Die Befragten sind sich zugleich aber auch einig, dass die erwünschte Kompromissbereitschaft derzeit nicht der Realität entspricht. Deutlich ausgeprägt ist dies bei den Anhängerinnen und -Anhängern der SVP und der SP, von denen lediglich ein Drittel den Kompromiss als gelebte politische Realität im Land betrachtet. Noch negativer beurteilt die grosse Gruppe ohne Parteinähe die politische Kompromisskultur: Nur gerade ein Fünftel von ihnen sieht sie positiv – «wenig überraschend», wie die Studienverfasserin Freyburg dazu sagt. Bei ihnen ist die Diskrepanz zwischen Wunsch und Realität am grössten. Sie vermissen Parteien, die kompromissbereit verhandeln und dadurch gute und breit abgestützte Lösungen erarbeiten.
Damit Kompromisse ausgehandelt werden können, muss man miteinander reden. Hier sehen die Wahlberechtigten die gelebte politische Realität freilich überhaupt nicht rosig: Sie wird von den Befragten aller Parteien und von der grossen Gruppe der Parteilosen gleichermassen als schlecht beurteilt, wie die Grafik zeigt:
Nur sechs Prozent der Befragten sind überzeugt, dass eine konstruktive Kommunikationskultur in der Schweizer Politlandschaft derzeit vollumfänglich vorhanden ist. Freyburg sieht in der Verbesserung der politischen Kommunikationskultur zwischen den Parteien das Schlüsselthema, «um in der Schweiz zukunftsgerichtete Lösungen zu erhalten». Die zurzeit vorherrschende Politkultur, so Freyburg, behindere die Kompromissfindung. Diese wiederum wäre das Mittel, um die Wählerinnen und Wähler, insbesondere die Parteilosen, zu mobilisieren. «Es liegt nun an den Parteien, die Zeit bis zu den Wahlen zu nutzen, diesen Menschen bei den zentralen Herausforderungen konkrete Zukunftschancen zu eröffnen», stellt Freyburg fest.
Optimistinnen und Optimisten sehen die Chancen in den Herausforderungen, ohne dabei die Risiken aus den Augen zu verlieren. Auch in der Politik suchen sie nach zukunftsorientierten Lösungen. Die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer blickt optimistisch in die Zukunft, vor allem Anhängerinnen und Anhänger der SP und der FDP, wie die untenstehende Grafik zeigt:
Auch die Parteilosen, also jene, die keiner Partei nahestehen, erwarten eine zukunftsorientierte Politik. Diese parteilich Unentschiedenen machen mit 25 Prozent die grösste Gruppe der Befragten aus. Sie stellen im Hinblick auf die eidgenössischen Wahlen im Herbst das grösste Mobilisierungspotenzial für die Parteien dar. Für die Parteien heisst das, dass sich diese Gruppe mit konkreten zukunftsgerichteten Lösungen abholen liesse.
Wenn die Politik auf die Zukunftsperspektiven fokussiert, scheinen Lösungen über die Parteigrenzen hinweg möglich. Besonders die Klimaerwärmung sehen die Schweizerinnen und Schweizer als Chance, um unsere Lebensweise und Arbeitswelt in Frage zu stellen und neu zu gestalten. Lediglich bei den Befragten, die der SVP nahestehen, ist das Klima kein Zukunftsthema, wie die Grafik zeigt:
Wenn die Parteien zukunftsorientierte politische Antworten anbieten, speziell in den Bereichen Digitalisierung, nachhaltiges Wachstum und Klima, können sie auch diejenigen mobilisieren, die bisher keiner Partei nahestanden.
(dhr)