Die Schweizer Politik wird weiblicher. Im Nationalrat beträgt der Frauenanteil mittlerweile beträchtliche 42 Prozent. Auch im Bundesrat sind drei der sieben Mitglieder weiblich.
Im Ständerat und anderen kantonalen oder städtischen Parlamenten gibt es jedoch noch Luft nach oben, wenn es um den Anteil Frauen geht.
Dabei würden Frauen die besseren Politikerinnen abgeben. Zu diesem Schluss kommt zumindest eine Sonderausgabe des ersten Chancenbarometers, das sich zum 50-jährigen Jubiläum des Frauenstimmrechts den Frauen in der Politik widmet. Zu folgenden vier Erkenntnissen kamen die Forschenden:
Für die Studie wurde ausgewertet, wie es um das politische Engagement der Schweizerinnen steht und welche Gestaltungschancen sie sehen. Dabei kam heraus: Frauen sehen gegenüber Männern vermehrt Chancen.
Insbesondere bei umstrittenen Herausforderungen sahen die Frauen grössere Chancen für positive Veränderungen als Männer.
Doch was heisst das? Inwiefern macht die Gabe, Chancen zu sehen, Frauen zu besseren Politikerinnen? Sind sie nicht einfach die grösseren Optimistinnen? Jein, meint Autorin Tina Freyburg, Professorin für Vergleichende Politikwissenschaft an der Universität St. Gallen: «Es geht immer darum, inwiefern die Frauen ein Potential sehen für Veränderungen.» Dieses chancenorientierte Denken richte den Blick auf die positiven Seiten der Herausforderungen. Damit schaffe man die Bedingungen, sie auch zu bewältigen. «In der Politik sollten also alternative Vorschläge für positive Veränderungen und nachhaltige Lösungen diskutiert werden», so Freyburg.
Die Zukunft gestalten könne man also nur, wenn man Antworten habe. Und anscheinend haben die Frauen mehr Antworten. Doch die Frauen sehen nicht nur mehr Chancen, sondern auch konkreten Handlungsbedarf.
Nicht alle Frauen sehen jedoch gleich viele Chancen. Wie fast alles im Leben ist auch der Chancenblick an Voraussetzungen gebunden.
Frauen mit höherer Bildung und einem überdurchschnittlichen Einkommen sehen allgemein eher grosse Chancen. Und Frauen auf dem Land signifikant weniger. Während Frauen, die sehr grosse Chancen sehen, in allen Kategorien gleichermassen zu finden sind, gibt es unter den auf dem Land lebenden Frauen und solchen mit weniger Einkommen oder Bildung weniger moderate Optimistinnen. Das Alter spielt keine signifikante Rolle.
Auch wenn in diesem Beitrag mit Klischees aufgeräumt werden soll, so hat sich doch ein Vorurteil bestätigt: Frauen sind zurückhaltender als Männer, auch in der Politik. Während Männer ihre politischen Ansichten gerne offen zum Ausdruck bringen, sei es im Internet oder direkt gegenüber Politikern und Politikerinnen, bevorzugen Frauen allgemein weniger exponierte Formen der politischen Partizipation. Darunter fällt zum Beispiel der bewusste Verzicht auf bestimmte Produkte.
Für Frauen, die sich als wirksam erleben, gilt dies jedoch nicht. Diese beteiligen sich ähnlich exponiert wie die Männer. Haben Frauen zudem einen Chancenblick, so treten sie ebenfalls eher mit ihren politischen Ansichten nach aussen.
Gleichzeitig glauben Frauen, die sich politisch einbringen, dass ihr Engagement signifikant wirksamer ist – unabhängig von Alter, Bildung, Einkommen und Wohnort.
Wenn es jedoch so viele chancenorientierte Frauen gibt, wieso sind nicht mehr von ihnen in der Politik?
Der Grund dafür dürfte im Nutzen/Kosten-Verhältnis liegen. Frauen beteiligen sich politisch, um einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten, um politisch mitzubestimmen und zur Lösung politischer Probleme beizutragen. 41 Prozent der Frauen wollen Verantwortung für sich und ihre Mitmenschen übernehmen, das sind sieben Prozent mehr Frauen als Männer. Anerkennung hingegen ist weder für Frauen noch für Männer eine treibende Kraft für ihr Engagement.
Frauen sind jedoch auch eher gehemmt von den Kosten, die mit einer politischen Partizipation einhergehen. Abschreckend wirkt auf Frauen vor allem, dass es frustrierend sein kann, wenn lange kein Fortschritt sichtbar ist oder gar ausbleibt. Auch hemmt Frauen häufiger als Männer die Tatsache, dass politisches Engagement weniger Zeit für familiäre Angelegenheiten oder persönliche Interessen zulässt.
Die Forscherin kommt zum Schluss: «Die Zukunft ist weiblich.» Damit aber wirklich mehr Frauen sich politisch engagieren, braucht es ein Umdenken: «Viele Frauen betrachten Politik als eine Sphäre, auf die sie persönlich keinen Einfluss nehmen können. Dass sie aber durch individuelles Handeln an bestehenden Zuständen etwas verändern können, demonstrieren Berichte über ihr Wirken.»
Den Frauen wird deshalb geraten, das eigene Handeln nicht von der Hoffnung auf einen positiven Ausgang abhängig zu machen, sondern von der Überzeugung, dass es richtig ist, sich zu engagieren.