Die deutsche Umweltmedizinerin Claudia Traidl-Hoffmann kritisiert in ihrem Buch «Überhitzt», dass Deutschland zu wenig gegen Hitzetote unternimmt. Und die Schweiz? «Die steht genauso blank da wie Deutschland oder Österreich. Alle drei Länder haben die zunehmenden Hitzewellen ignoriert und keine Vorsichtsmassnahmen entwickelt», sagt sie. Anders Frankreich.
Nach dem Hitzesommer 2003 sei dort ein vorbildlicher Hitzeschutz entwickelt worden. «Deutschland, Schweiz oder Österreich müssten sich diesen nur mal anschauen und könnten ihn Copy-Paste anwenden.»
Dass Frankreich Vorreiter ist, hat einen tragischen Hintergrund: 15'000 Menschen starben 2003 gemäss amtlichen Angaben im Zusammenhang mit einer Hitzewelle. Zum Vergleich: In der Schweiz waren es knapp 1000 zusätzliche Todesfälle. Die französischen Behörden liessen danach einen «Plan Canicule» ausarbeiten, einen Hitzeplan. Dieser sieht verschiedene Massnahmen vor, etwa Radio- und Fernsehspots, aber auch den direkten Kontakt zu gefährdeten Personen, um zu überprüfen, ob alles in Ordnung ist.
Einen solchen Hitzeplan gibt es in der Schweiz auf nationaler Ebene nicht. Dies falle in die Verantwortung der Kantone, heisst es beim Bundesamt für Gesundheit (BAG). «Es liegt in ihrem Ermessen, welche Massnahmen sie umsetzen.» Das BAG stelle Informationen zur Verfügung und gebe Verhaltensempfehlungen für die breite Bevölkerung, um die Kantone in ihren Ausführungen zu unterstützen.
Das führt zu einem Hitze-Röstigraben. Vorab Westschweizer Kantone haben nach 2003 Hitzemassnahmenpläne erarbeitet. Genf, Waadt, Freiburg, Neuenburg, Wallis und das Tessin kennen heute solche Pläne. Je nach Kanton sind die Massnahmen unterschiedlich. Teilweise werden gefährdete Personen, die dies wollen, täglich kontaktiert.
Die Deutschschweiz ist diesbezüglich hingegen eine Wüste mit einigen Oasen. In manchen Kantonen und Städten werden einzelne Massnahmen umgesetzt, Pläne wie in der Westschweiz gibt es aber nicht.
Dabei wirken diese durchaus. Laut der Wissenschafterin Martina Ragettli vom Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut zeigt die Forschung, dass Hitzeaktionspläne zur Prävention der Auswirkungen beitragen. Einzelne Massnahmen seien zwar auch sinnvoll. Weil Hitzewellen häufiger werden, würden aber koordinierte Massnahmen zwischen verschiedenen Akteuren immer wichtiger, erklärt sie.
Das Schweizerische Tropen- und Public-Health-Institut hat im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit die «Hitzewelle-Massnahmen-Toolbox» erarbeitet, quasi ein Werkzeugkasten möglicher Massnahmen. Darin wird auf kantonaler Ebene die Einführung eines Hitzeaktionsplans empfohlen.
Doch braucht es diesen wirklich? Manche Kantone finden: Nein. Luzern beispielsweise sieht seine Aufgabe darin, zu informieren und damit beizutragen, dass die Bevölkerung weiss, wie sie sich bei grosser Hitze verhalten soll. Der Fokus liege nicht in erster Linie beim persönlichen Kontakt mit Einzelpersonen, sondern beispielsweise mit Multiplikatoren wie Alters- und Pflegeheimen, heisst es beim Kanton.
Allerdings ist es nicht so, dass alle Kantone die Hände in den Schoss legen. Ein Thema ist die Hitze durchaus. St. Gallen beispielsweise erarbeitet derzeit einen Hitzeaktionsplan; wegen der Covid-Pandemie haben sich die Arbeiten allerdings verzögert.
Zürich setzt im Rahmen seines Massnahmenplans zur Anpassung an den Klimawandel neue Aktivitäten um, ab heute laufen etwa Radiospots. In Basel gibt es beispielsweise eine Hitzehotline, der Aargau will unter anderem mit dem Projekt «Schatten für Kinder und Klima» mehr schattige Plätze schaffen, etwa auf Schularealen oder Spielplätzen.
Den direkten Kontakt sucht hingegen die Stadt Luzern in einem Pilotprojekt. Die rund 7700 Einwohnerinnen und Einwohner, die über 75 Jahre alt sind und nicht in einer Institution wohnen, können sich anmelden und werden dann ab dem dritten aufeinanderfolgenden Hitzetag zur Sicherheit einmal täglich angerufen. Bisher haben sich 18 Personen angemeldet, wie Mirjam Müller-Bodmer, Leiterin der zuständigen Fachstelle für Altersfragen sagt.
Dass es nicht mehr sind, habe auch damit zu tun, dass nur Personen in Frage kämen, die nicht auf Verwandte, Bekannte oder Nachbarn zählen könnten. Zudem müsse man erreichbar sein. Denn nimmt die Person das Telefon nicht ab und eine von ihr angegebene Kontaktperson ebenfalls nicht, wird der Hausarzt angerufen. Kann der Hausarzt weder über den aktuellen Gesundheitszustand der betroffenen Person Auskunft geben noch mit ihr Kontakt aufnehmen, muss die Ambulanz aufgeboten werden.