Das Kino Arthouse Le Paris gleich beim Bahnhof Stadelhofen in Zürich ist eine Institution. Doch eine Institution zu sein, reicht heutzutage nicht mehr aus im Kino-Geschäft. Darum sollen bald die Bauarbeiter aufmarschieren: Die Betreiber planen, das Kino um ein Bistro und eine Bar mit 80 Sitzplätzen zu erweitern. Das geht aus einem diese Woche veröffentlichten Baugesuch hervor.
Dass die Gastronomie eine grössere Rolle spielen soll in den fünf zur Gruppe gehörenden Kinos, gaben die Verantwortlichen der DCM-Gruppe bereits bekannt, als sich das Unternehmen im Jahr 2020 an der Kinokette beteiligte. Der Markt werde härter, das Publikum sei immer schwieriger zu erreichen.
Noch wollen sie nichts Genaueres zu den Plänen verraten. Doch überraschend kommen diese nicht: Viele Kinobetreiber erweitern derzeit ihr Angebot um Essen, Spiel und Spass, um in einem schrumpfenden Markt bestehen zu können.
Vor allem Kinos mit nur einem oder zwei Sälen, die keiner Kette angehören, haben es schwer. Zwischen 2010 und 2019 verschwanden hierzulande 43 Kinos mit nur einem Saal. Die Pandemie beschleunigte den Abwärtstrend: Alleine 2020 und 2021 mussten weitere 10 solcher Ein-Saal-Kinos ihren Betrieb aufgeben. Von ihnen gab es Ende des vergangenen Jahres nur noch 158 Stück. Insgesamt gibt es hierzulande 257 Kinos.
Die Zahl der Säle aber nahm zwischen 2010 und 2021 von 558 auf 603 zu. Denn Kinofilme werden immer häufiger in Multiplex-Häusern konsumiert. Die grössten bieten mittlerweile Platz für ein mittelgrosses Dorf: Die Pathé-Gruppe kann in ihrem Kino Balexert in der Nähe von Genf in 13 Sälen über 2900 Kundinnen und Kunden gleichzeitig empfangen, die Arena-Gruppe bespielt im Zürcher Sihlcity ein Kino mit 18 Sälen und über 2500 Sitzplätzen und im grössten Kino der Swisscom-Tochter Blue, dem Abaton in Zürich, gibt es Platz für 2300 Menschen.
Solche Kinos lassen sich wirtschaftlicher betreiben als kleine Einzelkinos: Gesteuert werden die Vorführungen im Zeitalter der Digitalisierung sowieso von einem Computer. Mit mehren Sälen kann ein diverses Publikum angesprochen werden. Gleichzeitig können Filme länger programmiert werden – und je grösser das Haus und je mehr Besucherinnen und Besucher gleichzeitig drin sind, desto mehr lässt sich mit Einnahmen aus dem Kiosk-und Barbetrieb verdienen.
Von solchen Skaleneffekten können viele unabhängige Anbieter nicht profitieren. «Kinobetriebe sind wie andere Kulturbetriebe nicht mehr wirtschaftlich zu führen, wenn sie nicht einer grossen Kette angehören», sagt Sandra Meier, die das Kinok in der St. Galler Lokremise führt.
Das Kinok habe das Glück, dass es seit der Gründung als Programmkino in der Mitte der 80er-Jahre subventioniert sei. Zudem sei es in der Lokremise in ein weit ausstrahlendes Kulturzentrum mit Ausstellungsraum, Theatersaal und Gastronomie eingebettet. «Es ist ein attraktiver Ort, an dem verschiedenste Interessensgruppen aufeinandertreffen und auf Angebote der anderen Partner aufmerksam werden», sagt Meier.
In einer solchen Verzahnung verschiedener Angebote könnte eine Chance für kleinere Betreiber stecken. Wie die Arthouse-Gruppe oder das Kinok setzen denn auch immer mehr Kinochefs darauf. Schon 2014 wurde im aargauischen Schöftland das Cinema 8 in seiner heutigen Form eröffnet – eine Überbauung aus Kino, Restaurants, Hotel und Bowlingbahnen.
In Zürich entstand 2017 mit dem «Kosmos» ein Zentrum mit Kino, Buchladen, Restaurant und Veranstaltungsforum, das allerdings auch wegen personeller Verwerfungen zuletzt vor allem negative Schlagzeilen machte. In Oensingen hat der Betreiber des Kinos diesen Sommer ein Restaurant und Hotel gekauft und will das Kino dereinst in die Liegenschaft integrieren.
Selbst die grossen Ketten gehen diesen Weg. Kino ist hier nur noch ein Angebot von vielen. Insbesondere Blue setzt auf Brot und Spiele. Die Kette hat in den vergangenen Jahren etwa ihre Kinos in der Stadt Bern geschlossen und stattdessen 2018 ein Multiplex-Kino im Vorort Muri mit Bowling-Bahnen, einer Bar und einer Spielzone eröffnet. Auch die Blue-Kinos in Biel und Winterthur wurden mit Bowling-Bahnen ausgerüstet. Im neuen Multiplex in Chur, das Ende Oktober eröffnet wird, wird es ein Restaurant und eine Bar geben.
Am Gastronomie-Angebot hängt allerdings der Erfolg eines Kinos nicht alleine. Dieses brauche es mit Ausnahme eines kleinen Kiosks nicht zwangsläufig, um ein Kino wirtschaftlich betreiben zu können, sagt Frank Braun. Er ist für das Programm der Neugass Kino zuständig, welche die Kinos Bourbaki in Luzern sowie Riffraff und Houdini in Zürich betreibt und die Filme im Kosmos programmiert. Entscheidend seien für die Wirtschaftlichkeit aber mehrere Säle an einem Standort.
«Einzelne Säle sind auf Grund der hohen Liegenschafts- und Personalkosten kaum wirtschaftlich betreibbar», sagt er. Und: «Neben einem guten Gastronomieangebot hilft vor allem auch eine Nutzung der Säle durch Dritte ausserhalb der regulären Spielzeiten.» Die Zugehörigkeit zu einer Kette wiederum stärke jeden einzelnen Standort und verbessere die Kostenstruktur in der Administration.
Von diesen Skaleneffekten können Betreiber von Einzelkinos allerdings nicht profitieren. Und auch das Anbieten von Bier, Burgern und Bowling erfordert finanzielle Mittel und Know-How, die vielen fehlen. Das Sterben der Kleinsten dürfte im Kinomarkt in den nächsten Jahren weitergehen – zumal die Zuschauerzahlen weiterhin schlecht sind. Von einer «sehr angespannten Situation» spricht Frank Braun. Besonders im Arthouse-Bereich seien die Einnahmen weiterhin stark unter den Zahlen von 2019. Die Gruppe hoffe auf eine Erholung im Herbst.
Besser dran sind jene Häuser, die als Genossenschaft organisiert sind oder von der öffentlichen Hand unterstützt werden. «Es muss ein Paradigmenwechsel stattfinden», sagt denn auch Sandra Meier vom St. Galler Kinok. «Der Kinobesuch muss als kulturelle Praxis genauso geschützt und gefördert werden wie der Besuch eines Theaters oder Museums.»
Brauch ich nicht.