Rote und grüne Linien schlängeln sich auf Linoleum-Boden. Turnringe baumeln von der Decke. Die Turnhalle in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Lenzburg sieht aus, wie Turnhallen eben aussehen.
Nur der bunte Boxring in der Mitte wirft Fragen auf. Fragen, auf die Annina Sonnenwald und Simona Hofmann Antworten haben. Seit 2013 inszenieren die beiden Frauen Theaterstücke im Gefängnis.
Schauspieler sind die Insassen. So auch in der jüngsten Inszenierung von Sonnenwald und Hofmann. Der Boxring dient als Bühne. Er ist die Spielfläche für Friedrich Dürrenmatts Erzählung «Die Panne».
Die Backsteinwände der Turnhalle schlucken alle Geräusche. Die Gefangenen hört man erst, als sie bereits in der Halle stehen. Sieben Männer, einer kahl geschoren, ein anderer mit längeren Haaren, einer mit Bart, ein anderer ohne, schütteln Hände zur Begrüssung.
Nur ganz kurz ertappt man sich dabei. Bei der Frage, was sie wohl verbrochen haben, um hier zu sein. Dann beginnt die Probe. «Ihre Straftaten spielen für uns keine Rolle», sagt Sonnenwald. «Angst hatten wir nie. Aber Respekt braucht es», ergänzt Hofmann.
Die beiden Frauen sind sich einig: Die grösste Herausforderung sei nicht die Zusammenarbeit mit den Insassen. Sondern die Organisation. «Der Zeitplan muss strikt eingehalten werden.» Um 13.30 Uhr starten die Proben, um 16.30 Uhr werden die Gefangenen zurück in ihre Zellen geführt. «Länger proben geht nicht. Auch wenn wir uns gerade mitten in einem kreativen Prozess befinden», sagt Regisseurin Sonnenwald.
Vor jedem Gang in die Gefängnis-Turnhalle müssen die Frauen Taschen und Körper vom Scanner durchleuchten lassen. Material spontan zum Proben mitbringen, geht nicht. «Wir benötigen für jeden einzelnen Gegenstand eine Bewilligung», sagt Sonnenwald und steigt in den Boxring.
Sie muss für Jo, der die Hauptrolle spielt, einspringen. Er habe Zahnschmerzen und könne nicht zur Probe kommen, informiert die Gefängniswache. Sonnenwald ist jetzt Textilvertreter Alfredo Traps. Steht umgeben von vier Männern mit nackten Oberkörpern im Ring.
Traps, so schreibt es Dürrenmatt, strandet wegen einer Autopanne in einem kleinen Dorf. Findet Zuflucht im Hause eines pensionierten Richters und seinen Freunden. Dort lässt er sich auf eine fiktive Gerichtsverhandlung ein. Und merkt nicht, dass aus Spiel bald bitterer Ernst wird.
Die vier Männer im Ring tänzeln sich zusammen mit Sonnenwald durch die Probe. Ein weiterer Insasse kümmert sich um die Technik. Ein Zweiter fungiert als «Nummerngirl». Regisseurin Hofmann feuert von der Seitenlinie an. Gibt den Darstellern Inputs.
Während eine Szene genauer angeschaut wird, setzt sich Pablo an den Pausentisch. Der Mittvierziger spielt den Staatsanwalt. Mimt Traps' Antagonisten – und gleichzeitig seinen eigenen. «Als Gefangener sind Staatsanwälte nicht gerade deine besten Freunde», sagt Pablo.
Doch die Rolle sei «irgendwie an mir hängen geblieben». Er spielt bereits zum zweiten Mal einen Staatsanwalt. Das erste Mal vor sechs Jahren im Theaterstück «Tell vor Gericht».
Zum Theater ist Pablo zufällig gekommen. «Ich hatte davor überhaupt keine Berührungspunkte», sagt er. Ihm gefällt, wie frei er und seine Mitspieler die Rollen gestalten können. Die Regisseurinnen Sonnenwald und Hofman würden ihnen viel Raum für eigene Ideen lassen. «Es ist eine Abwechslung im monotonen Gefängnisalltag.»
Den Text lernt er in seiner Zelle. Er spricht ihn laut vor sich hin, so lange, bis sich sein Zellennachbar kürzlich erkundigt, ob alles in Ordnung sei. «Der dachte, ich hätte sie nicht mehr alle», schmunzelt Pablo. Doch die Worte müssen sitzen.
Pablos Pause ist zu Ende. Er steigt zurück in den Ring. Fährt mit seiner Anklage gegen Textilvertreter Traps fort. «Schuldig oder unschuldig?», raunen die Darsteller am Ende des Stücks durch die Turnhalle. Entscheiden müssen nicht sie. Sondern das Publikum.
Ich bin im Nachbardorf aufgewachsen. In den 80er Jahren war ich dam mal an einer Aufführung. Es war sehr eindrücklich.
Damals gaben wir dem Gefängnis auch einen anderen Namen.
Auf der anderen Seite der Stadt war die Hero Konservenfabrik und so nannten viele die Strafanstalt "äussere Konservi". Sind die Gefangenen doch auch konserviert im Gefängnis auf Zeit.