Schweiz
Wirtschaft

Vernichtet der Mindestlohn Jobs? Der Kanton Genf liefert die Zahlen

Vernichtet der Mindestlohn Jobs? Für Bürgerliche lohnt sich der Blick in diesen Kanton

Während der Nationalrat Mindestlöhne einschränken will, liefert Genf neue Zahlen. Im Kanton mit dem schweizweit höchsten Mindestlohn variieren die Folgen für den Arbeitsmarkt je nach Branche stark.
19.06.2025, 18:2119.06.2025, 18:21
julian spörri, ch media
Mehr «Schweiz»
[Stockbild] Housework. Hausarbeit. Woman. Frau. Bathroom. Badezimmer. Lavabo. Waschbecken. Clean. Grooming. Putzen. Sponge. Schwamm. (KEYSTONE/Ayse Yavas) === , === : DIA, Nr. 156977]
Reinigungsangestellte profitieren vom Mindestlohn – aber nur, wenn die Jobs dessen Einführung nicht zum Opfer fallen.Bild: KEYSTONE

Immer mehr Kantone führen einen Mindestlohn ein. Doch wird auch der bürgerliche Widerstand dagegen immer konkreter. Am Dienstag sprach sich die Mehrheit des Nationalrats dafür aus, dass national verbindliche Gesamtarbeitsverträge kantonalen Mindestlöhnen vorgehen. In Genf und Neuenburg hätte das zur Folge, dass Angestellte in gewissen Branchen einige Franken pro Stunde weniger verdienen als bisher. Basel-Stadt, Jura und das Tessin, die ebenfalls einen Mindestlohn kennen, wären nicht betroffen. Der Aufschrei wegen des «Angriffs auf den Föderalismus» ertönte jedoch aus vielen Kantonen, ebenso wie aus dem linken Lager.

Demgegenüber sind rechte Politiker der Ansicht, dass Mindestlöhne Jobs «vernichten» – etwa Nationalrat Marcel Dobler (FDP/SG). Was ist an dieser Befürchtung dran? Am Donnerstag präsentierte der Kanton Genf eine Studie zu den Folgen des Mindestlohnes von aktuell 24.48 Franken pro Stunde. Nicht nur der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist brisant: Auch sind die Resultate national von Interesse, weil es sich um das schweizweit höchste Lohnniveau handelt.

Kantonaler Flickenteppich ausgenutzt

Die Analyse von Genfer Wirtschaftsprofessoren zeigt, dass die Einführung des Mindestlohnes im November 2020 zu keinem grösseren Stellenabbau führte – in gewissen Branchen aber die Schaffung neuer Jobs hemmte. Während sich in Sektoren wie der Coiffeurbranche oder dem Zügelwesen keine signifikativen Effekte einstellten, war das in den zwei Niedriglohnsektoren mit den meisten Beschäftigten anders: dem Gastgewerbe und dem Reinigungswesen.

So wurden in Genfer Restaurants und Hotels zwischen 2020 und 2022 zwar mehr Stellen geschaffen als im Nachbarkanton Waadt, der keinen Mindestlohn kennt. Laut der Studie wäre die Zahl der Vollzeitstellen in Genf ohne Mindestlohn allerdings noch um 3 bis 4 Prozent höher gewesen. Gleichzeitig sank das durchschnittliche Pensum. Das bedeutet: Entweder arbeiteten Kellnerinnen und Kellner von sich aus weniger, weil der Stundenlohn stieg. Oder ein Teil der Arbeitgeber kürzte Pensen, um zusätzliche Kosten abzuwenden. Das Gastgewerbe passte sich so den neuen Bedingungen an.

Eine andere Anpassungsstrategie kam im Reinigungswesen zum Zug. Während in der Waadt zwischen 2020 und 2022 ein Stellenplus von 12,6 Prozent resultierte, sank die Zahl der Putzjobs in Genf um 1,4 Prozent. Studienautor José Ramirez brachte dafür an der Pressekonferenz zwei Erklärungsansätze vor: Einerseits habe die Reinigungsbranche im internationalen Genf besonders unter dem covidbedingten Homeoffice-Boom gelitten, als es weniger Büros zu reinigen gab. Andererseits seien Putzfirmen sehr mobil und womöglich von Genf in die Waadt übergesiedelt, um keine Mindestlöhne auszuzahlen.

Schwarzarbeit bereitet Probleme

Davide De Filippo von der Gewerkschaft SIT nahm die Resultate erfreut zu Kenntnis: Analog zu einer früheren Genfer Studie, die sich mit der Arbeitslosigkeit befasste und ausser bei jungen Menschen keine negativen Effekte des Mindestlohnes aufdeckte, fielen die Folgen auch im Bereich der Arbeitsplätze insgesamt gering aus, so De Filippo. Das zeige, dass «der Diskurs der Rechten falsch» sei und es die Firmen schafften, den «Schock» abzufedern. An dieser Stelle schritt die Genfer Wirtschaftsdirektorin Delphine Bachmann (Mitte) ein und betonte, eine differenzierte Analyse sei wichtig.

Auch der Präsident des Genfer Gewerbeverbandes, Pierre-Alain L’Hôte, zeigte sich zurückhaltender und forderte Analysen über längere Zeiträume. Er unterstrich, dass in Branchen wie dem Coiffeurwesen jüngst vermehrt Schwarzarbeit festgestellt worden sei. Es brauche mehr Kontrollen, um die Missachtung des Mindestlohnes zu verhindern, so L’Hôte.

In einer Sache waren sich Regierungsrätin, Gewerkschafter und Arbeitgebervertreter einig: Der Genfer Volksentscheid zur Einführung des Mindestlohnes wird nicht infrage gestellt. Die Studie soll dazu dienen, Verbesserungen vorzunehmen.

Doch wird Bundesbern Genf – und andere Kantone – dabei machen lassen? Als Nächstes befasst sich der Ständerat mit der Frage, ob er Gesamtarbeitsverträge oder kantonale Mindestlöhne höher gewichtet.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
38 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Steibocktschingg
19.06.2025 19:58registriert Januar 2018
Es gibt eigentlich genau eine Sache dazu zu sagen: Wenn eine Firma nicht existenzsichernde Löhne kann (oder will), dann ist ihre Art zu geschäften kacke.
728
Melden
Zum Kommentar
avatar
Voraus denken!
19.06.2025 23:08registriert März 2022
Der bürgerliche Block will keinen Flickenteppich bei den Mindestlöhnen.

Ein Flickenteppich bei der Steuerbelastung für den Geldadel ist aber kein Problem.

Aber das vergessen die Wähler gleich wieder.

Tumbes Wahlvieh halt. Schade um das demokratische Recht zu wählen und abzustimmen.
462
Melden
Zum Kommentar
avatar
Schuhmeister Flaig
19.06.2025 19:52registriert November 2014
Ortsangepasste Mindestlöhne sind ein Muss und zwar primär aus drei Gründen:

Erstens bedeuten zu tiefe Löhne immer eine Subvention von Gewinninteressen, da Menschen mit zu tiefen Löhne früher oder später staatliche Leistungen beanspruchen müssen, siehe Ergänzungsleistungen oder Prämienverbilligungen.

Zweitens steht dies einem aufgeklärten Menschenbild entgegen, da man zur BittstellerIn degradiert wird, obwohl man viel und hart arbeitet.

Drittens ist der Binnenkonsum die wichtigste Stütze der CH-Wirtschaft. Wenn nicht genug Geld in den Portemonnaies ist, dann schadet das am Ende allen.
426
Melden
Zum Kommentar
38
BLKB gibt nach Millionen-Abschreiber Untersuchung in Auftrag
Die Basellandschaftliche Kantonalbank (BLKB) lässt das Debakel mit dem Millionen-Abschreiber auf der Tochtergesellschaft Radicant extern untersuchen. Sie reagiert damit auf die öffentliche Diskussion. Die Untersuchung soll das auf die Finanzbranche ausgerichtete Beratungsunternehmen GW&P durchführen.
Zur Story