Am Ende wurde aus der gemäss Bild «lahmen Watch-Party» des Leverkusen-Spiels in Freiburg mit nur vier Spielern, Trainer Vincent Kompany und einigen Staff-Mitarbeitern doch noch ein feuchtfröhliches Meisterfest. Dank des 2:2-Unentschiedens vom einzig verbliebenen Verfolger um Granit Xhaka durfte Bayern München am gestrigen Sonntag den 34. Meistertitel feiern. Am Vortag hatten es die Bayern beim 3:3 in Leipzig aufgrund eines Gegentors in letzter Sekunde noch verpasst, diesen klarzumachen.
Der Bundesliga-Triumph war aus vielerlei Hinsicht ein besonderer: Es war Thomas Müllers 13. und letzter im Trikot des FC Bayern und Harry Kanes erster überhaupt. Ausserdem holte sich der Rekordmeister nach einem titellosen Jahr die Meisterschale zurück. Dies musste natürlich gebührend gefeiert werden.
Nachdem zu Beginn lediglich Kane, Joshua Kimmich, Serge Gnabry und Eric Dier im Edel-Restaurant «Käfer», das am Sonntagabend exklusiv für die Bayern-Stars offen hatte, zugegen waren, stiessen nach dem definitiven Gewinn der Meisterschaft immer mehr Profis dazu. Kane und Co. sangen «We Are The Champions» und «Sweet Caroline», rauchten Zigarren und tranken laut der deutschen Tageszeitung auch eine Menge Champagner. Erst nach 1.30 Uhr sollen die letzten Spieler, darunter auch Kane, das Restaurant verlassen haben.
Am nächsten Tag meldete sich ein etwas müde aussehender Harry Kane mit belegter Stimme auf Instagram: «Was eine Nacht, was für eine Feier! Ich bin sicher, dass alle die Folgen noch ein wenig spüren.» Der 31-jährige Stürmer, der mit 24 Toren und neun Assists in 29 Bundesliga-Spielen einer der entscheidenden Faktoren war, schien restlos glücklich nach dem ersten Titel seiner Karriere: «Ich fühle mich fantastisch. Es hat ein Weilchen gedauert, aber es ist ein schönes Gefühl.»
Restlos glücklich dürften mit dieser Saison bei den Bayern dennoch nicht alle sein. Dass die Euphorie so gross ist, liegt vor allem an der so enttäuschenden vergangenen Saison, die erstmals seit 2011/12 ohne Titel endete. Gemessen an den eigentlichen Ansprüchen des Klubs in den letzten Jahren, ist die deutsche Meisterschaft das Mindestziel.
Daher fällt es den Münchnern auch gar nicht so leicht, die Saison zu beurteilen. Die Frage nach einem Bundesliga-Fazit brachte Teilzeit-Captain Joshua Kimmich nach dem Spiel in Leipzig ins Grübeln. Lange habe er nichts herausgebracht ausser einem lang gezogenen «ääähm», schreibt der «Spiegel». Dann sagte er: «Ich fand, dass wir eine sehr gute Bundesliga-Saison gespielt haben.»
76 Punkte nach 32 Spielen und damit schon jetzt mehr als in den letzten beiden Jahren hat der FC Bayern auf dem Konto. Nur zweimal musste sich der frisch gebackene Meister geschlagen geben: in Mainz sowie in Unterzahl trotz 2:0-Führung gegen Bochum. Es ist eigentlich eine eindrückliche Bilanz.
Aber da waren eben auch sieben Unentschieden – in den Topspielen gegen Leverkusen und selbst das in dieser Saison schwächelnde Dortmund blieb München viermal sieglos – sowie nicht nur überzeugende Auftritte gegen Kiel (4:3), Wolfsburg (3:2) oder St. Pauli (3:2). In der Vorsaison hätte dies gegen das überragende Leverkusen nicht zur Meisterschaft gereicht. Kimmich bemängelte die «sehr unnötige Niederlage gegen Bochum», die späten Gegentore und dass es sein Team manchmal trotz Dominanz nicht zu Siegen geschafft habe.
Dazu kommen die für bayrische Ansprüche zu frühen Ausscheiden in DFB-Pokal und Champions League. In ersterem bedeutete Leverkusen im Achtelfinal Endstation, ein früher Platzverweis gegen Goalie Manuel Neuer war mit dafür verantwortlich. In der Königsklasse musste Bayern München den Traum vom «Finale dahoam» nach zwei auch wegen vieler Ausfälle eher enttäuschenden Auftritten im Viertelfinal gegen Inter Mailand begraben. Kimmich sagte danach: «Wenn man zurückblickt, dann haben wir nicht viele europäische Topteams geschlagen.»
Der FC Barcelona sezierte den Bundesligisten beim 4:1-Erfolg in der Champions-League-Ligaphase. Auch gegen Aston Villa (0:1) und Feyenoord Rotterdam (0:3) kassierten die Bayern Niederlagen, in den Playoffs brauchte es gegen Celtic Glasgow einen Last-Minute-Treffer, um die Verlängerung zu verhindern.
Der «Spiegel» bringt diesen Kontrast so auf den Punkt: «Kompanys Spiel scheint verlässlich gegen kleinere Gegner zu funktionieren, deshalb war die Meisterschaft logisch. Aber die auch intern kritisch betrachtete Bilanz gegen Topgegner lässt die Münchner in der Königsklasse an Grenzen stossen.»
Auffällig waren vor allem die Probleme in der Defensive. So richtig konnte auch Ex-Verteidiger Kompany, dessen offensiver Spielstil ein gewisses Risiko birgt, dieser keine Stabilität einhauchen. «Die Zeit» bilanziert kritisch: «Eine Handschrift hat Kompany dem Team nicht verpasst. Eine Weiterentwicklung ist nicht zu erkennen.» Vielen Gegnern sei es leichtgefallen, in den Strafraum der Bayern zu kommen. Gleichzeitig seien die Kombinationen in der Offensive zuletzt gegen Inter ins Stocken geraten.
Noch ist die Zufriedenheit mit Trainer Kompany aber gross. Der 39-jährige Belgier hat ein hervorragendes Verhältnis zur Mannschaft und macht sich auch in der Klubführung keine Feinde. Er setzt sich damit klar von Vorgänger Thomas Tuchel ab. Ur-Bayer Thomas Müller, der den Verein nach dieser Saison verlässt, sprach von «einer Aufbruchsaison in die richtige Richtung». Es habe endlich wieder eine «Einheit aus Mannschaft, Trainer und Verein» gegeben, wie es sie seit Pep Guardiola nicht mehr gegeben habe. Dennoch dürfte Kompany in der nächsten Saison in der Bringschuld sein.
Er muss beweisen, dass er die Entwicklung seines Teams weiterführen kann. Der FC Bayern München will auch in der Champions League wieder um den Titel spielen. Mit der Meisterschaft in seiner Premierensaison brachte Kompany den Klub zurück in die Erfolgsspur. Obwohl dank diesem am gestrigen Sonntag für einen Tag grosse Freude herrschte, bringen nationale Titel in München auf Dauer aber keine Zufriedenheit. Erst recht nicht, wenn das Team den Beweis schuldig bleibt, nicht mit der europäischen Elite mithalten zu können.
Nach der Horrorsaison 2023/24 ist das erste Jahr unter Vincent Kompany sicherlich dennoch ein Erfolg – aber einer mit Vorbehalten.