Um diese Aufgabe haben ihn wenig beneidet. Im Sommer trat Arne Slot die Nachfolge von Überfigur Jürgen Klopp, dem in Liverpool wie bei all seinen vorherigen Stationen die Herzen nur so zuflogen, an. Der Deutsche wurde Meister und Champions-League-Sieger mit den Reds, hatte nach knapp neun Jahren an der Merseyside aber keine Energie mehr. Der nächste Trainer bei Liverpool kann nur verlieren, war die eingängige Meinung. Doch das war ein Irrtum.
Denn Slots Start verlief fulminant. Nach zwölf Spieltagen steht Liverpool mit acht Punkten Vorsprung auf Platz 1, mit einem Sieg heute Sonntag (17 Uhr) gegen Verfolger Manchester City kann dieser weiter ausgebaut werden. Auch in der Champions League ist Liverpool mit der maximalen Punkteausbeute aus fünf Partien Spitzenreiter. Die Siege gegen Real Madrid am Mittwoch (2:0), Leverkusen (4:0), oder auch auswärts gegen Manchester United (3:0) in Slots drittem Pflichtspiel waren echte Statements. Die Stimmung könnte in Liverpool ein knappes halbes Jahr nach dem tränenreichen Abschied von Klopp nicht besser sein.
Doch macht Slot so viel anders als Klopp oder profitiert er schlicht von der Vorarbeit seines Vorgängers? Dass er ein intaktes und konkurrenzfähiges Team übernahm, ist nicht abzustreiten. Dennoch schien Liverpool lange nicht so stark wie aktuell. Dabei lässt Slot einen sehr ähnlichen Fussball spielen wie Klopp. Sonst hätte ihn der 19-fache Meister gar nicht erst eingestellt. Schliesslich suchte Liverpool mithilfe von Daten ein Team, dessen Spielstil dem attraktiven und intensiven Fussball des «Normal One» ähnelt. Fündig wurde es beim Feyenoord Rotterdam von Arne Slot.
Der 46-jährige Niederländer setzt ebenfalls auf Offensivfussball und hohes Pressing. «Ich möchte so viele gute Fussballer wie möglich in der Mannschaft haben, und ich möchte sie so hart wie möglich arbeiten lassen», lautet ein Zitat von Slot, das auch von Klopp stammen könnte. Jedoch lässt sich der neue Liverpool-Coach auch von Trainern wie Marcelo Bielsa, Mikel Arteta und vor allem Pep Guardiola inspirieren.
Dies ist auch in Liverpool bemerkbar. Denn der grosse Unterschied zwischen dem Spiel der Reds in dieser zur letzten Saison liegt in der zeitweisen Zurückhaltung. Anders als Klopp, der von seinem Team verlangte, Chaos zu stiften, und eigentlich nie davon abwich, legt Slot mehr Wert auf Kontrolle. «Ihre Spielweise ist nicht mehr ganz so wild», stellt BBC-Kommentator Chris Sutton fest. Liverpool-Profi Alexis Mac Allister erklärte ausserdem: «Wir haben mehr Struktur.»
Dies zeigt sich unter anderem darin, dass Liverpool auch im Pressing nicht mehr ganz so aggressiv agiert wie unter Klopp, dessen Devise es war, den ballführenden Gegner auf dem ganzen Feld zu jagen. Slots Liverpool versucht weniger, den Ball bereits im Angriffsdrittel zurückzuerobern, sondern defensiv stabiler zu stehen und so Konter zu unterbinden.
Klopp versuchte, das Spiel des Gegners mit seinem langjährigen Angriffstrio aus Salah, Roberto Firmino und Sadio Mané zu diktieren und in eine gewisse Richtung zu lenken. Jetzt sind die Mittelfeldspieler wie Mac Allister oder auch Ryan Gravenberch wichtiger – sie sollen Bälle abfangen und die sogenannte Rest-Defense (Verteidigung bei eigenem Ballbesitz) verankern. Bisher zahlt sich das aus, lassen die Reds doch 0,4 Tore pro Spiel weniger zu als in der Vorsaison (0,67 statt 1,08), wobei der Unterschied bei den «Expected Goals»-Werten deutlich geringer ist (0,95 statt 1,05).
Um solider und strukturierter zu stehen, spielt Liverpool auch nicht mehr ganz so schnell und direkt nach vorne. Star Mohamed Salah, der nach 19 Spielen schon wieder zwölf Tore und zehn Assists erzielt hat, beschreibt es so: «Wir versuchen jetzt, jederzeit den Ball zu kontrollieren. Zuvor setzten wir auf Konter und Gegenpressing, das tun wir noch immer, aber wenn wir den Ball haben, lassen wir ihn auch mal durch die eigenen Reihen rotieren.»
Die Idee dahinter ist gemäss Slot, zu verhindern, dass die eigenen Spieler durch Ballverluste nach riskanten Pässen das Selbstvertrauen verlieren, während jenes des Gegners gleichzeitig steigt. «Wenn du den Ball häufig hast, fühlst du dich besser», so Slot. Hier ist der Einfluss von Guardiola deutlich zu spüren. Trotzdem hat Liverpool in der laufenden Saison im Durchschnitt etwas weniger Ballbesitz als 2023/24. Bei den Spielern ist der Effekt dennoch zu spüren. Mehrere Akteure laufen in dieser Saison bisher zur Hochform auf. Darunter Mittelfeld-Motor Gravenberch, Flügelflitzer Luis Diaz, aber auch die bewährten Virgil van Dijk und Salah.
Was bei Slot ebenfalls beeindruckt, ist seine akribische Vorbereitung. Er stellt sein Team jeweils hervorragend auf den Gegner ein – und erklärt seine taktischen Kniffe nach dem Spiel. Als Liverpool den Rivalen Manchester United in dessen Stadion dominiert hatte, sezierte er im Interview bei Sky die Pressing-Strategie des Gegners und erklärte auch gleich, was er seinen Spielern vorgab, damit es zu vielen 1-gegen-1-Situationen kommen konnte. Nach der Champions-League-Gala gegen Leverkusen erklärte er, weshalb er Luis Diaz statt des klassischeren Mittelstürmers Darwin Nuñez aufstellte. Der Uruguayer hätte Jonathan Tah, «dem vielleicht besten deutschen Verteidiger», in die Karten gespielt. Deshalb sollte Diaz sich immer wieder ins Mittelfeld zurückfallen lassen und Tah mit schnellen Läufen in die Tiefe überraschen. Der Kolumbianer erzielte drei der vier Tore.
Ohnehin hat Slot bisher eine überragende Bilanz gegen starke Gegner. Etwas, was bei Klopp nicht immer so war. Am heutigen Sonntag misst sich Slot im Spitzenkampf der Premier League erstmals mit Klopps langjähriger Nemesis Pep Guardiola. Dann können der niederländische Coach und das aktuell wohl beste Team Europas in der bisher fast perfekten Saison – die einzige Niederlage setzte es gegen Überraschungsteam Nottingham – ein weiteres Statement setzen.