Zum möglicherweise letzten Mal treffen am heutigen Sonntagnachmittag (16.45 Uhr) Jürgen Klopp als Trainer des FC Liverpool und Pep Guardiola als Coach von Manchester City aufeinander. Einzig im FA Cup könnte es noch zu einem weiteren Duell zwischen den beiden Welttrainern kommen, bevor Klopp die Reds im Sommer verlässt. So sollten Fussballfans das heutige Spiel an der Anfield Road, das gleichzeitig der Spitzenkampf der Premier League ist, noch einmal besonders geniessen.
Denn das Duell Liverpool gegen Manchester City war DAS Spiel der letzten Jahre. Wenn sich die Teams von Klopp und Guardiola massen, schaute die Fussballwelt genau hin. Es war sozusagen der neue Clásico. Wenn auch nicht von den Zuschauerzahlen – da ziehen Barça und Real Madrid noch immer deutlich stärker –, aber wer wissen wollte, was gerade der State of the Art im Fussball ist, musste beim englischen Spitzenkampf zwingend einschalten.
Besonders spannend macht die Affiche, dass nicht nur zwei der besten Teams der Welt aufeinandertreffen, sondern dass sich auch die Spielweisen und Charaktere der beiden Trainer stark unterscheiden.
Hier das Manchester City, das Pep Guardiola über die Jahre zusammengestellt hat. Spieler für Spieler, Puzzlestück für Puzzlestück. Eine Mannschaft, in der jeder genau weiss, was er tun muss, und zwar in jeder Situation. Ein Team, in dem alles durchgetaktet ist – und Spieler wie Phil Foden dennoch genug Freiheiten haben, um dem vom 53-jährigen Trainer perfekt gemixten City-Cocktail ihre Geheimzutat hinzuzugeben.
Die Skyblues der letzten Jahre stehen dem glorreichen FC Barcelona nur insofern nach, als ein Spieler von der Klasse eines Lionel Messi fehlt. Wobei Kevin De Bruyne die Rolle des Genies auf seine Weise fast ebenso grandios ausfüllt. Eine Augenweide, ihm zuzusehen, erst recht, seit er mit Erling Haaland einen Zielspieler hat, der die überragenden Zuspiele verwertet wie ein Sternekoch die Spezialitäten aus dem Delikatessengeschäft.
Auch auf den weiteren Positionen haben die Cityzens fast ausschliesslich Weltklasse-Spieler. Wie Verteidiger Rúben Dias, die Mauer mit dem filigranen Füsschen im Aufbauspiel. Oder Rodri, dieser Modell-Sechser, den Guardiola als derzeit besten Mittelfeldspieler der Welt sieht, «weil er alles kann». Und wie Bernardo Silva, der das Spiel beeinflusst, auch wenn er oftmals gar nicht gross auffällt. Der Portugiese ist sozusagen der Schattenritter unter den City-Stars.
Demgegenüber steht das Liverpool von Jürgen Klopp. Das optimale Gegenstück zu Guardiolas Maschinerie der Perfektion. Denn die Reds verfolgen eine gänzlich andere Philosophie als das ManCity des Katalanen. Co-Trainer Pep Lijnders beschreibt den Spielstil der Nordwestengländer als «geordnetes Chaos». Letzterer Begriff hätte bei Guardiola wohl Schweissausbrüche zur Folge, sollte dieser mit seinem Team in Verbindung gebracht werden.
Bei Liverpool fühlt man sich hingegen wohl, sobald das Spiel aus den Fugen gerät. Dann sind die Reds am besten und können ihre Vorteile auch gegenüber dem stärksten Kontrahenten ideal ausspielen. Deshalb soll der Gegner gejagt werden, nicht nur von vorne – wie beim Pressing üblich –, sondern auch von hinten. Dadurch wurde Liverpool zum möglicherweise aufregendsten Team. Wer ein Spiel des 19-fachen Meisters einschaltet, wird nur selten enttäuscht.
Damit das mutige System funktioniert, müssen auch die Offensivstars wie Mohamed Salah, Roberto Firmino und Sadio Mané oder jetzt Darwin Núñez und Luis Diaz stets nach hinten arbeiten. Für einen anderen Trainer wäre das möglicherweise eine Schwierigkeit, Stars wie Salah oder Mané dazu zu kriegen, auch in der Defensive auszuhelfen. Klopp hatte damit jedoch keine Probleme: «Ich habe allen gesagt, solange du nicht Messi bist, musst du mitverteidigen.»
Ob seinem Ruf als Motivator und seiner teils aufbrausenden Art am Spielfeldrand darf jedoch nicht vergessen werden, dass der «Normal One» seinem heutigen Gegenüber in taktischer Hinsicht in nichts nachsteht. So hat auch er über die Jahre ein hervorragendes Team zusammengestellt, das vor Spielfreude nur so strotzt und über Spieler wie Virgil van Dijk oder Mohamed Salah verfügt, die in einer Ära ohne Lionel Messi und Cristiano Ronaldo auch hätten Weltfussballer sein können. Und als sein Team in der letzten Saison eine Krise durchlebte, wusste Klopp genau, was es braucht, um wieder zurück an die Spitze zu finden.
Um die Neuzugänge Dominik Szoboszlai und Alexis Mac Allister wurde ein neues Mittelfeld geformt, das sofort grandios funktionierte. Unterstützung erhält es dabei von Rechtsverteidiger Trent Alexander-Arnold, der im Spiel mit dem Ball in die Mitte rückt. Jetzt steht Liverpool wieder an der Spitze der Premier League, hat den EFL Cup gewonnen und ist auch in Europa League und FA Cup noch dabei.
Dies ist der Attraktivität der Spiele zwischen dem FC Liverpool und Manchester City ebenfalls zuträglich: Beide kämpfen um Titel. Natürlich hiess der englische Meister in fünf der letzten sechs Jahren Manchester City und gewannen die Cityzens erst gerade das Triple, doch triumphierte auch Liverpool je einmal in Champions League und Premier League und setzte sich in den beiden Cup-Wettbewerben unter Klopp insgesamt dreimal durch. Ausserdem ist der Ausgang der Direktbegegnungen jeweils kaum vorherzusagen.
21-mal trafen die beiden Teams in Pflichtspielen aufeinander, seit Guardiola zur Saison 2016/17 bei City übernommen hat. Achtmal gewann Liverpool, siebenmal die Blauen aus Manchester und sechsmal trennten sich die Kontrahenten unentschieden. Ausgeglichener könnte die Bilanz kaum sein, was das Duell auch von den vorherigen Duellen zwischen Klopp und Guardiola unterscheidet, als sie noch in Dortmund und München an der Seitenlinie gestanden haben.
Liverpool und City hingegen trieben sich stets in neue Höhen. Um Meister zu werden, musste fast ein neuer Punkterekord aufgestellt werden. ManCity schaffte 2017/18 als erstes Team in der Geschichte der Premier League 100 Punkte, im Jahr darauf wurde es mit 98 Zählern Meister, Liverpool musste sich mit einem Punkt weniger mit der Vizemeisterschaft begnügen – wie 2021/22, als 92 Zähler nicht genug waren. Punkteausbeuten, die in fast jeder anderen Saison zum Titel gereicht hätten. Immerhin gelang dazwischen der Titelgewinn mit 99 Punkten.
Alexander-Arnold sagt deshalb auch zu FourFourTwo: «Es ist kein Zufall, dass die besten Punkteausbeuten alle in den letzten fünf, sechs Jahren zustande gekommen sind. Ich weiss nicht, ob Manchester City ohne uns ebenfalls so konstant viele Zähler geholt hätte. Und ich bin sicher, dass wir es ohne City auch nicht getan hätten.»
Es ist schwer vorherzusehen, wie sich das derzeit hochstehendste Duell der Fussballwelt nach dieser Saison entwickelt. Der noch unbekannte Nachfolger von Klopp steht vor einer riesigen Herausforderung, das hohe Niveau des Teams zu halten. Deshalb sollten wir das heutige Duell umso mehr geniessen. Denn nur dann können wir sehen, wie Fussball in Perfektion aussehen kann.
Klopp mit dem Verein erreicht hat.