In Interviews ist Lionel Messi normalerweise eher zurückhaltend, äussert sich diplomatisch und findet über jeden lobende Worte. Doch seine Wutrede nach der 1:2-Niederlage in der Liga gegen Osasuna hatte es in sich.
Damals machte Barcelona den Hauptkonkurrenten Real Madrid vorzeitig zum Meister. Eine Blamage für die Katalanen, die über grosse Teile der Saison die Tabelle anführten. Er bezeichnete das Team als eine «inkonstante, schwache Mannschaft». Messi weiter: «Wir müssen selbstkritisch sein, die Spieler und alle Mitarbeiter in diesem Verein. [...] Unsere Leistungen in den letzten Spielen lassen viele Wünsche offen.»
Wenn sich der beste Spieler eines Teams so äussert, sollten alle Alarmglocken läuten. Denn Lionel Messi ist nicht einfach nur der beste Spieler des FC Barcelona, er ist der Kronprinz und heimliche Klub-Boss. Seinetwegen wurden bereits Trainer gefeuert, auch Transfers wurden nach ihm ausgerichtet. Wenn er etwas will, bekommt er das auch. Zumindest fast immer. Denn auf Titel musste er diese Saison verzichten. Zum ersten Mal seit 12 Jahren. In besagtem Interview prognostizierte er bereits, dass Barça so keine Chance auf den Champions League-Titel haben würde – und behielt recht.
Am Dienstag zog er die Reissleine. Messi will von einer Klausel Gebrauch machen, den Klub ablösefrei verlassen zu dürfen. Bei den Fans führte das zu Protesten. Nur wenige Stunden, nachdem das Messi-Einschreiben publik wurde, versammelten sich einige Fans vor dem Stadion, zeigten den Mittelfinger in Richtung des Vereinsgebäudes. Die Wut auf die Chefetage ist gross.
Und womöglich ist es genau das, was Messi will: Nicht seinen eigenen Wechsel, sondern den an der Klubspitze.
🔊 Ramon Planes: "We want to build a team around the most important player in the world" pic.twitter.com/0fDSpM83mE
— FC Barcelona (@FCBarcelona) August 26, 2020
Mehrfach kritisierte der 33-Jährige in den letzten Jahren indirekt die Führungsriege um den umstrittenen Präsidenten Josep Bartomeu. 2018 merkte Messi in einem Interview mit der spanischen Zeitung «Sport» an, dass zu viele Talente die Barça-Jugendakademie La Masia verlassen würden. «Unter Guardiola war die Ausbeute am grössten. Zuletzt ist das etwas verloren gegangen und wichtige Spieler haben die Akademie verlassen, weil sie woanders bessere Chancen sehen. [...] Es ist untypisch, dass sie vom besten Team der Welt zu viel kleineren Teams gehen.»
Diese Äusserungen waren nicht nur an die Trainer des Klubs gerichtet, die zu wenigen Eigengewächsen eine Chance gaben. Sie waren auch an die Vereinsspitze gerichtet. Denn Messi selbst ist ein Produkt von La Masia. Genauso wie Andres Iniesta, Gerard Pique oder Thiago Alcantara, die zu Zeiten von Präsidenten wie Joan Laporta (2003 bis 2010) oder Sandro Rosell (2010 bis 2014) im Klub zu Stars wurden. Doch unter Bartomeu, der seit 2014 im Amt ist, gab es nur noch ganz wenige Erfolge in Sachen Jugendarbeit. Ein Dorn im Auge von Lionel Messi.
Sportlich lief es dazu seit dem Rücktritt von Trainer Luis Enrique 2017 eher dürftig. National feierten die Katalanen zwar zwei weitere Meisterschaften und einen Cupsieg, doch auf internationaler Ebene lief es enttäuschend. 2018: Aus im Champions-League-Viertelfinal nach einer 0:3-Pleite im Rückspiel bei der AS Roma – trotz eines 4:1-Siegs im Hinspiel. 2019: Aus im Champions-League-Halbfinal nach einer 0:4-Klatsche im Rückspiel beim FC Liverpool – trotz eines 3:0-Siege im Hinspiel. Nun die 2:8-Demontage gegen Bayern München.
Egal, ob damals Ernesto Valverde oder heute der mittlerweile entlassene Quique Setién – die Trainer-Entscheidungen von Bartomeu und seinem Team waren zuletzt nicht die richtige Wahl. Die internationalen Enttäuschungen nagten an Messi, der hungrig nach weiteren Titeln war und immer noch ist.
Barça zeigte kaum noch den typischen Barcelona-Fussball, der unter Johan Cruyff oder Pep Guardiola die Massen begeisterte. Zu oft fehlte eine klare Struktur. Das wurde in der Champions League in genannten Spielen teuer bestraft. Dazu floppten millionenschwere Transfers: Weder Ousmane Dembélé (kam 2017 für 138 Millionen Euro von Borussia Dortmund) noch Philippe Coutinho (kam 2018 für 145 Millionen vom FC Liverpool) oder Antoine Griezmann (kam 2019 für 120 Millionen von Atlético Madrid) konnten bisher die Erwartungen erfüllen. Die Arbeitslast blieb auf den immer gleichen Schultern und auch abseits des Rasens gab es immer mehr Wortgefechte.
Als im Februar 2020 Ernesto Valverde als Trainer gehen musste, erklärte der damalige Sportdirektor Eric Abidal in einem «Sport»-Interview, dass mehrere Spieler gegen Valverde gewesen seien und sich der Klub deshalb von ihm trennen musste. Das stiess Messi übel auf. Bei Instagram schrieb er: «Jeder muss Verantwortung für seine Aufgaben übernehmen und Entscheidungen treffen. Wir Spieler müssen auf dem Platz liefern und dafür gerade stehen, wenn es nicht so läuft. Die sportliche Führung sollte sich ebenso ihrer Aufgaben bewusst sein und Verantwortung für ihre Entscheidungen übernehmen.»
Messi weiter: «Wenn man öffentlich über Spieler redet, sollte man auch ihre Namen nennen. Wenn man das nicht tut, beschmutzt man den Namen eines jeden und streut unnötig Gerüchte, die nicht wahr sind.» Der Giftpfeil Messis traf nicht nur Abidal, sondern auch Bartomeu, der Abidal zwei Jahre zuvor eingestellt hatte. Bartomeu schlichtete daraufhin zwischen beiden Parteien, doch der Streit hinterliess Narben.
Nur einen Monat später rissen diese wieder auf. Durch die Corona-Krise war der FC Barcelona finanziell schwer getroffen. Der Verein kündigte deshalb an, die Spielergehälter temporär um 70 Prozent zu kürzen. Daran übte Messi scharfe Kritik: «Es überrascht uns immer wieder, dass es innerhalb des Klubs welche gab, die versucht haben, uns ins Rampenlicht zu stellen und Druck auf uns auszuüben, damit wir etwas tun, was wir ohnehin immer vorhatten», schrieb er bei Instagram.
Messi bekam viel Zuspruch für seine Aussagen, die Klubführung erntete Kritik. Als dann auch noch die Meisterschaft unter Neu-Trainer Setién verloren ging, gab Messi das zu Beginn des Textes beschriebene Interview. Auch dort forderte er Selbstkritik von allen Mitarbeitern ein. Dass er damit weniger die Vereinsköche als die Klubführung meinte, ist klar.
Die Stimmung in Barcelona ist längst gekippt, Bartomeu angezählt, Abidal musste nach dem 2:8 gegen die Bayern gehen. Doch mit Ronald Koeman kam auf geheiss des Präsidenten ein neuer Trainer, der es mit Messi sogleich verscherzt hat.
Nach seinem Amtsantritt soll der 57 Jahre alte Niederländer im Gespräch mit dem argentinischen Superstar dessen Sonderstellung in Frage gestellt haben. «Die Privilegien im Kader sind vorbei, alles muss für die Mannschaft getan werden», soll Koeman laut einem Bericht des argentinischen Online-Portals «Diario Olé» gesagt haben: «Ich werde unflexibel sein, man muss an das Team denken.» Zuvor hiess es noch, Koeman wolle um Messi ein neues Team aufbauen. Die aktuelle Mannschaft gilt als satt und überaltert.
Messis Wechselabsichten haben nun die fussballverrückte Stadt aufgeschreckt. Von Klub-Legende Carles Puyol gab es die «ganze Unterstützung» für Messi, auch Teamkollege und Fan-Liebling Luis Suarez spendete virtuellen Beifall. Es brodelt im Klub.
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— Luis Suarez (@LuisSuarez9) August 25, 2020
Wenn Bartomeu jetzt der Präsident wird, unter dem Lionel Messi den Klub verlässt, ist er aus Sicht der Fans wohl nicht mehr tragbar. Messis Einschreiben sorgt also für eine schwierige Lage, aus der sich Bartomeu nur in zwei Szenarien befreien kann.
Erstens: Messi geht und Bartomeu schafft einen erfolgreichen Umbau, wobei ihm selbst dann die Fans den Abgang ihres Helden kaum verzeihen könnten. Zweitens: Bartomeu tritt zurück und überlässt einer anderen Person seinen Posten. Dann würde womöglich auch Kronprinz Lionel Messi in Barcelona bleiben.
Ja weil das mit seinen 33 Jahren ja noch so viel Zukunft hat.
Ein Team sollte als Naja "Team" und nicht als one man show aufgebaut werden.
Ansonsten werden die Katalanen, sobald er dann wirklich alters- oder verletzungsbedingt weg ist, sehr tief fallen.