Die Verträge von Verteidiger Elia Riva (23) und Stürmer Alessio Bertaggia (28) laufen in Lugano aus. Sportlich wäre es halbwegs zu verkraften, wenn die beiden Nationalspieler den Klub Ende Saison verlassen sollten. Politisch hingegen ganz und gar nicht. Der Verlust auch nur einer dieser beiden Spieler könnte ein Erdbeben auslösen, das selbst den Sockel erschüttert, auf dem Trainer Chris McSorleys und Sportchef Hnat Domenichellis Autorität steht.
Wir wollen transparent sein. Damit nicht der Eindruck aufkommt, hier soll auf Kosten Luganos schäbige Transfer-Gerüchtemacherei betrieben werden. Deshalb die Hintergründe zu dieser Story.
Kürzlich habe ich einen alten Freund getroffen, der das Glück hat, unter Palmen zu leben. Sein Herz hängt an Lugano und er vernimmt zwischen Espresso und Grappa viel in den zahlreichen Grotti der Stadt. Der Stachel der Frustration über die nunmehr 15 Jahre dauernde Meisterlosigkeit ist einer sanften Depression gewichen. Seine Schwärmereien von den schon fast vergessenen meisterlichen Heldentaten sind von der gleichen leisen Traurigkeit wie die wunderbaren Erzählungen des grossen österreichisch-ungarischen Chronisten Joseph Roth über die melancholischen Landschaften des Ostens in den Zeiten der längst untergegangenen kaiserlich-königlichen Monarchie mit Franz Josef und Sissi.
Nun sagt also mein langjähriger Gewährsmann, er sei in tiefer Sorge. Es sei möglich, dass Elia Riva und Alessio Bertaggia Lugano am Ende der Saison verlassen. Was? Nein, das kann nicht sein! Gewiss, Elia Riva ist einer der besten jungen Verteidiger im Land. Er kann sicherlich einen neuen Arbeitgeber finden. Aber er ist einer von Lugano und wird einer von Lugano bleiben. Und Alessio ist immerhin der Sohn von Sandro Bertaggia. Der vielleicht grössten Heldenfigur der Klubgeschichte. Sechsmal Meister (1986, 1987, 1988, 1990, 1999 und 2003).
Nun werde ich belehrt: Doch, doch, das sei sehr wohl möglich. Die Wahrscheinlichkeit eines Wechsels sei sogar klar grösser als 50 Prozent. Aber warum? Ich erfahre nun: Elia Riva und Alessio Bertaggia seien bestrebt, noch besser zu werden. Das sei in Lugano nicht so einfach.
Nun gut, das mag so sein. Chris McSorley ist eben ein grosser Bandengeneral, der mehr Wert auf System als auf die individuelle Aus- und Weiterbildung legt. Stark vereinfacht gesagt: Chris McSorley sieht es nicht ungern, wenn schon aus der eigenen Zone heraus auf den gegnerischen Torhüter geschossen wird. Mit etwas Glück gibt es dann ein Bully und man ist ohne Risiko vor dem gegnerischen Tor angelangt. Moderne Trainer legen eher mehr Wert darauf, dass man sich in die gegnerische Zone spielt und erst dann den Abschluss sucht.
Wenn also Elia Riva und Alessio Bertaggia mit der Scheibe und auch sonst allenthalben noch besser werden wollen, dann kann ein Wechsel in ein Team mit modernerer Spielauffassung durchaus nicht schaden. Wie überhaupt ein Tapetenwechsel oft gut tut.
Am meisten würden beide natürlich von einem Wechsel in die NHL oder nach Schweden profitieren. Aber dafür sind sie dann doch nicht gut genug. Moderneres Hockey könnten sie etwas weniger weit entfernt in Zürich, in Biel, bei den Lakers, in Zug, in Davos oder sogar in Ambri spielen.
Auf Anfrage bestätigt Luganos Sportchef Hnat Domenichelli: «Ja, es ist richtig. Die Verträge dieser beiden Spieler laufen aus. Gespräche über eine Verlängerung laufen.» Alessio Bertaggia und Elia Riva haben natürlich einen Marktwert. Sie müssten also nicht Lehrgeld zahlen, wenn sie sich in Biel, Zürich, Zug, Davos oder Rapperswil-Jona zwei oder drei Jahre weiterbilden möchten.
Aber kein Klub wird am Ende des Tages eine Verlängerungsofferte von Lugano überbieten. Lugano steht mit Chris McSorley im ersten von drei Vertragsjahren. Das grosse Ziel: Meister werden. Der Verlust von Elia Riva und/oder Alessio Bertaggia wäre ein arger Rückschlag auf dem Weg zu meisterlichem Ruhm. Und, wie gesagt, ein politisches Erdbeben.
Aber ich glaube nicht, dass die Wahrscheinlichkeit eines «Transferbebens» rund um Elia Riva und Alessio Bertaggia höher als 50 Prozent ist. Weil Lugano eine gute «Erdbeben-Versicherung» hat. Die Frage ist eigentlich nur, wie viel die «Erdbeben-Versicherung» zahlen muss.
Nun ist die Frage: Wo hat sich Lugano gegen «Erdbeben» versichert? Bei der klugen Präsidentin Vicky Mantegazza. Sie ist als Milliardärin dazu in der Lage, Gutes zu tun, wenn der Abgang von Spielern droht, deren Abgang sich Lugano eigentlich nicht leisten kann. Oder leisten sollte. Money talks.
Sportchef Hnat Domenichelli findet diese «Erdbeben-Versicherungs-Theorie» nicht eben geistreich. Er sagt, Lugano habe ein Budget und jeder Spieler einen seiner Leistungsfähigkeit entsprechenden Wert. Mit anderen Worten: Lugano ist ein ganz normales Hockeyunternehmen mit leistungsgerechten Löhnen und Budgetobergrenze.
Was die Aussage des Sportchefs untermauert: Tatsächlich hat die «Erdbeben-Versicherung» nicht gezahlt, als der Vertrag von Grégory Hofmann im Frühjahr 2019 ausgelaufen war. Der damalige NL-Torschützenkönig wechselte zum EV Zug. Diese Saison stürmt er nun in der NHL.
Aber Grégory Hofmann ist kein Tessiner. Er ist ein Bieler und kommt erst im Sommer 2015 von Davos her nach Lugano. Sein Wegzug schmerzte, hatte aber keinerlei politische Bedeutung. Spieler kommen und gehen, Lugano aber bleibt bestehen. Sein Transfer war zudem für Luganos Anhängerinnen und Anhänger wieder einmal der Beweis, dass nicht Lugano mit der grossen Kelle anrichtet und die Löhne befeuert, sondern Zug. Dass in Lugano Geist und nicht Geld zählt.
Alessio Bertaggia und Elia Riva aber sind eigene Junioren. Tessiner. Bis auf dreieinhalb Jahre in Nordamerika und Zug hat Bertaggia sein ganzes Hockeyleben in Lugano verbracht. Riva kam bereits im Mini-Novizen-Alter nach Lugano.
Wie soll Lugano wieder «grande» werden und wo bleibt die Glaubwürdigkeit, wenn es nicht einmal mehr gelingt, die besten, die leidenschaftlichsten eigenen Spieler zu halten? Die Frage ist nicht ob, sondern nur, wie viel die «Erdbeben-Versicherung» notfalls zahlen wird.
P.S. Es geht hier wirklich nicht um billige Transfer-Gerüchtemacherei auf Kosten von Lugano. Deshalb sei gesagt: Auch andere Klubs haben «Erdbeben-Versicherungen». Also Frauen oder Männer mit abgeschlossener Vermögensbildung, die bei ganz, ganz wichtigen Transfergeschäften bei Bedarf halt noch ein paar «Hunderternötli» drauflegen. Sogar die SCL Tigers haben für solche Fälle eine pulverdampferprobte Versicherung von echtem Schrot und Korn.
Riva muss nun erst beweisen, dass er einer der besten jungen Verteidiger im Land ist. Ohne Zweifel bringt er grosses Potential mit aber Potential alleine macht noch keinen "grossen" Verteidiger.