Das 85. Spiel (!) an einer WM hat Mark Streit die dramatischste Niederlage beschert. Die zweite Minute der Verlängerung gegen Lettland läuft. Mark Streit stürmt auf der Aussenbahn in die gegnerische Zone. In der Mitte ist Matthias Bieber mitgelaufen. Mark Streit spielt den Pass rückwärts in die Mitte um seinem Kollegen eine Torschussmöglichkeit zu eröffnen. Der Puck wird abgefangen, der Gegenangriff führt zum Siegestreffer für die Letten (62:19 Min.).
Mark Streit ist eine der grössten Spielerpersönlichkeiten unserer Hockeygeschichte. Er versteckt sich nach diesem Missgeschick nicht. Ein Reporter fragt ihn, wie er diese Szene gesehen habe. Er antwortet cool: «Genauso wie Sie.» Und ergänzt: «Nein, so würde ich den Pass nicht mehr spielen.»
Es gibt allerdings entlastende Argumente für den Angeklagten Mark Streit. Er hat nicht einen Fehler in der eigenen Zone gemacht. Er hat versucht, die Entscheidung zu erzwingen. So, wie es sich für einen Leitwolf gehört. Dass es ausgerechnet ein konstruktiver Spielzug ist, der den Untergang herbeiführt, ist eine bittere Ironie der Geschichte dieser WM.
Mark Streit hat in dieser Partie erstmals länger gearbeitet (25:14 Minuten) als Roman Josi (23:41 Min.). Die Statistik ist sein Feind. Er hat jetzt eine Minus- Bilanz (-2) und Roman Josi eine Plus-Bilanz (+3). Erinnerungen an 2012 steigen auf. Als nach dem Verpassen der Viertelfinals der Boulevard über eine Story zu Mark Streit den bösartigen Titel «Captain Minus» setzte. Captain Mark Streit hatte das Turnier mit einer Statistik von -5 beendet.
Mark Streit ist zusammen mit Roman Josi der überragende Feldspieler der Schweizer. Nationaltrainer Glen Hanlon hat sich nach dem Spiel nicht zu einer Kritik an seinem Captain hinreissen lassen. Das tut ja ohnehin kein Coach. War Mark Streit als ältester Spieler des Teams (er ist 37) womöglich in dieser Schlussphase nicht mehr frisch? «Nein», sagt Glen Hanlon. «Er ist in guter Form.» Wo er recht hat, hat er recht.
Glen Hanlon sagt, seine Mannschaft habe so gut gespielt, dass es berechtigte Hoffnungen auf einen Punktgewinn gegen die anstehenden drei Partien gegen die Titanen Schweden, Kanada und Tschechien gebe. «Die Geschichte sagt ja, dass es den Schweizern eher leichter fällt, gegen Grosse zu punkten.»
Mit der Leistung gegen Lettland war er «in einigen Teilen» zufrieden. «In anderen aber nicht.» Womit war er nicht zufrieden? «Mit dem Toreschiessen.» Die Schweizer dominierten die Letten mit 36:21 Torschüssen. Aus insgesamt 126 Schüssen haben die Schweizer in Prag bloss acht Tore erzielt.
Im Powerplay hatte Glen Hanlon gegen Lettland erstmals nicht mehr Mark Streit und Roman Josi gemeinsam aufs Eis geschickt. «Unser Powerplay war nun besser.» Aber eben nicht gut genug. Unsere Powerplay-Erfolgsquote beträgt 5,26 Prozent. Gut ist diese Quote ab 20 Prozent.
Was am meisten fehlte, war ein grosser, kräftiger Stürmer, im Überzahlspiel für Unruhe sorgen und dem Torhüter die Sicht nehmen kann. Glen Hanlon sagt: «Wir haben darüber nachgedacht, ob wir einen solchen Spieler mit zum Turnier nehmen sollen. Aber wir können es uns nicht leisten, einen Stürmer zu nominieren, der nur zu diesem Zweck taugt.»
Gibt es denn überhaupt einen Stürmer, den er für diese Rolle hätte nominieren können? Glen Hanlon denkt nach und sagt dann: «Nein.» Der einzige, der dafür in Frage gekommen wäre, ist Ryan Gardner (37), den der SCB bei Gottéron soeben gegen Timo Helbling getauscht hat. Aber der Gardner war in den Playoffs weit von einer WM-Form entfernt.
Wie weiter? Die Rechnung ist einfach: Lettland schafft auf unsere Kosten die Viertelfinals, wenn es aus den letzten drei Partien (Frankreich, Österreich, Deutschland) mindestens sechs Punkte holt und die Schweiz gegen die Titanen (Schweden, Kanada, Tschechien) nicht mehr punktet.
Glen Hanlon sagt, er werde nun das weitere Vorgehen mit seinen «core players» besprechen. Also mit seinen Leitwölfen. Wer sind die eigentlich? «Das ist intern. Aber es ist klar, dass Roman Josi und Mark Streit dazu gehören.»
Gegen Lettland konnte Mark Streit auf dem Eis für einmal nicht helfen. Aber vielleicht hat er ja ein paar gute Ratschläge für Glen Hanlon. Für unseren Nationaltrainer ist guter Rat jetzt sowieso teuer.