Der letzte Eindruck von Ende März ist nicht gut. Wut im Gesicht. Eine abschätzige Geste. Ein unmotivierter Handschlag mit Trainer Murat Yakin. Und als er sich nach der Auswechslung auf die Bank setzt, kickt Granit Xhaka eine Flasche weg. Es ist ein Verhalten, das kein Trainer goutiert. Weil das Verhalten suggeriert: Ich bin wichtiger als das Team. Solche Szenen haben auch schon zu irreparablen Schäden in der Beziehung zwischen Spieler und Trainer geführt.
Hinterher räumt Xhaka ein, enttäuscht über die eigene Leistung beim Testspiel gegen Kosovo (1:1) zu sein. Er erklärt seinen Unmut auch damit, erst kurz vor seiner Auswechslung den Rhythmus gefunden zu haben. Und er verweist auf seinen Charakter, seine Ansprüche, immer und jederzeit ein Leader dieses Teams zu sein. Klar, wäre er nicht derart vom Ehrgeiz getrieben, hätte er nicht schon mit 29 Jahren 100 Länderspiele absolviert.
Aber von einem Captain wird auch erwartet, ein Vorbild zu sein. Den Teamgedanken über die persönlichen Interessen zu stellen. Und sicher nicht, mit Gesten zu demonstrieren, was man von den Entscheidungen des Trainers hält: ziemlich wenig.
Immerhin kam es nicht zum Eklat. Wäre auch peinlich, wenn ausgerechnet eine Szene in einem ziemlich unbedeutenden Testspiel zum Zerwürfnis zwischen Trainer und Captain führen würde. Dafür sind die beiden zu intelligent, zu pragmatisch. Yakin, clever wie er ist, antizipierte die Reaktion Xhakas, reichte ihm noch an der Seitenlinie die Hand und legte nach dem Spiel den Arm um dessen Schultern. Von seiner Seite bestand keine Gefahr eines emotionalen Ausbruchs, weil er vorbereitet war.
In der öffentlichen Aufarbeitung verzichtete Yakin bewusst auf Autoritätsrhetorik. Kein Wort darüber, dass er ein solches Verhalten nicht akzeptiert. Stattdessen zeigte er so viel Verständnis für seinen Captain wie nur möglich, ohne die anderen Spieler zu brüskieren. Trotzdem: Die Szene im Kosovo-Match hatte für kurze Zeit etwas Bedrohliches, als würde sich der Fallschirm nicht öffnen. Und doch gelang es, den Unfall zu vermeiden. Gleichwohl hat die Episode auch gezeigt, dass Yakin und Xhaka erst noch zueinander finden müssen. Wobei vor allem der Captain in der Bringschuld steht.
Für Granit Xhaka hat sich im Nationalteam einiges verändert. Oberflächlich betrachtet könnte man sagen: zum schlechten. Unter Yakins Vorgänger Vladimir Petkovic hatte er sich einen Status erarbeitet, den man beinahe als Carte blanche bezeichnen könnte. Unter Yakin hingegen hatte er lange nicht mal eine Nebenrolle.
Xhaka sieht wegen Krankheit und Verletzungen vom fernen London aus, wie sich die Nati in der WM-Qualifikation gegen Europameister Italien durchsetzt. Natürlich freut er sich über den Erfolg. Aber er muss auch konstatieren, dass andere an seiner Stelle Verantwortung übernehmen, es auch ohne ihn funktioniert. Ja, die Nati made by Yakin hat sich ein Stück weit emanzipiert von seinem Captain.
Verständlich, dass es dem Ego Xhakas nicht besonders guttut, wenn er plötzlich kein Thema mehr ist. Yakin ist sich dessen bewusst. Wie auch, dass ein Xhaka in guter Verfassung ihm zusätzliche Optionen bietet. Also besucht er Xhaka in London, bevor dieser Ende März ein erstes Mal unter ihm ein Länderspiel bestreitet. Und er fliegt im Mai erneut in die englische Hauptstadt, um sich vor dem Nations-League-Zusammenzug ein weiteres Mal mit Xhaka auszutauschen.
Was sie dabei besprochen haben, ist nicht überliefert. Die Vermutung liegt aber nahe, dass Yakin ihm unmissverständlich klar gemacht hat, was er von seinem Captain auf und neben dem Platz erwartet. Dazu gehört sicher nicht ein Verhalten, wie es Xhaka gegen Ende der Saison bei seinem Klub Arsenal gezeigt hat.
0:2 verloren die Londoner gegen Fabian Schärs Newcastle am 16. Mai, was sie die Champions-League-Teilnahme kostete. Xhaka gab hinterher enerviert zu Protokoll: «Wenn jemand für so ein Spiel nicht bereit ist, dann bleibt er besser zuhause.» Sich selbst schloss er eher aus, obwohl er beim zweiten Gegentor nicht mal den Hauch von Gegenwehr erkennen liess.
Wenn Yakin wollte, könnte er auf Konfrontation schalten. Einerseits, weil er derzeit absolut unbestritten ist. Andererseits, weil die Xhakas so etwas wie in seiner Schuld stehen. Es war Yakin, der 2013 die Karriere von Granits älterem Bruder Taulant gerettet hat, in dem er ihm beim FC Basel eine Chance gab. So jedenfalls sieht es Vater Ragip Xhaka. Und wenn das Familienoberhaupt findet, der Trainer Yakin sei ein grosser Trainer, sollten die Söhne sicher nicht die gegenteilige Sichtweise vertreten.
Granit Xhaka ist also gut beraten, sich auch im Sinne des Familienfriedens mit Murat Yakin, seiner Rolle in der Nati und dem neuen Konkurrenzkampf zu arrangieren. Was bedeutet, dass es für ihn Zeit ist, zu liefern. Auf dem Platz, als Vorkämpfer und Taktgeber im Mittelfeld, der aber auch bereit ist, Verantwortung abzugeben. Neben dem Platz als integrative Kraft.
Denn für Yakin zählt allein das Leistungsprinzip. Egal, ob einer schon Legendenstatus hat oder nicht. Für Xhaka hat der Trainerwechsel also auch einen positiven Aspekt. Zieht er mit, wird er als Spieler, Aushängeschild und Persönlichkeit einen weiteren Schritt nach vorne machen.