Der Sieg im Spitzenspiel der Bundesliga, dieses 2:1 gegen das ähnlich formstarke RB Leipzig am Freitagabend, hatte durchaus Symbolcharakter. Es war der zehnte Sieg in Folge und stand stellvertretend für den neuen BVB – den BVB, der nicht nur von Zeit zu Zeit schön spielen kann, sondern auch mit voller Hingabe verteidigen und glücklich gewinnen, wenn es die Umstände erfordern. Den BVB, der sich den in einem Wikipedia-Artikel verankerten Bayern-Dusel des Dauer-Rivalen aus München zu eigen macht.
2:0 führte der BVB dank einem Penaltytreffer von Captain Marco Reus und einem strammen Aufsetzer von Emre Can aus rund 20 Metern am Freitag zur Halbzeit. Eine Viertelstunde vor Schluss kam Leipzig durch Emil Forsberg zum Anschluss, aber danach trotz wilder Schlussphase nicht mehr zum Punkt. Weil der BVB wiederum vor kollektiver Schwerarbeit nicht zurückschreckte: Tief in der Nachspielzeit verhinderte Nico Schlotterbeck den Ausgleich bei einem Schuss von Timo Werner in extremis mit der Schulter, und ganz zum Schluss parierte Goalie Alexander Meyer einen zu wenig platzierten Abschluss von Forsberg.
Seit zehn Spielen widerlegt der BVB das ihm angeheftete Mentalitätsproblem eindrücklich. Sechs dieser Spiele gewann die Mannschaft von Trainer Edin Terzic mit einem Tor Differenz. Der BVB vereint neuerdings spielerische Souplesse mit Arbeitsethos. Es wirkt wie das bayrische «Mia san mia» im Ruhrpott, das mitunter der als Berater angestellte Experte Matthias Sammer in den Klub zu implementieren versucht. «Wir wehren uns mehr, wir sind bereit zu leiden, wir fighten ohne Ende. Da hat die Mannschaft den nächsten Schritt in ihrer Entwicklung gemacht», lobt Sportdirektor Sebastian Kehl.
Federführend am Aufschwung sind neben Trainer Terzic und dem seit Monaten herausragenden Schweizer Goalie Gregor Kobel auch Spieler, die vor kurzem noch als Problemfälle galten. Allen voran Julian Brandt, mit dem der BVB den im Sommer 2024 auslaufenden Kontrakt zunächst nicht verlängern wollte, überzeugt endlich konstant. Nicht nur mit Toren und Pässen, sondern auch mit entschlossenem Spiel gegen den Ball.
Auch die Torschützen waren beim Sieg gegen Leipzig nicht zufällig: Captain Reus gibt dem Offensivspiel des BVB wieder jene Struktur, die die Mannschaft während dessen verletzungsbedingten Abwesenheit häufiger vermissen liess. Can hat sich über die WM-Pause vom gescholtenen Risikofaktor zum Leistungsträger gewandelt. Zugleich bringen Nico Schlotterbeck und Niklas Süle der Mannschaft nach grösseren Anlaufschwierigkeiten inzwischen jene Stabilität, die es im Konzert der Grossen braucht. Die Dortmunder Abwehr hielt dem Druck gegen Leipzig stand, obwohl mit Goalie Kobel die defensive Lebensversicherung der letzten Wochen kurzfristig ausfiel. Auch das passte ins Bild: Ein einzelner Pfeiler bringt das Konstrukt nun nicht mehr zum Einsturz.
Mit der Siegesserie hat Dortmund das Fundament für eine erfolgreiche Saison gelegt. «So eine Serie gibt eine Menge Kraft und Überzeugung», sagt Kehl. Nun folgen die Wochen der Wahrheit, die mit dem Spiel gegen Leipzig eingeläutet wurden. Der zweite Schritt steht am Dienstag im Achtelfinal-Rückspiel der Champions League bei Chelsea an, in welchem es das 1:0 aus dem Heimspiel zu verteidigen gilt. Auch am Wochenende im Revier-Derby auf Schalke werden Dortmunds neue Tugenden besonders gefragt sein – wie danach wiederum am 1. April im Gipfeltreffen bei Bayern München und vier Tage später im Pokal-Viertelfinal in Leipzig.
Im Spiel an der Stamford Bridge könnte Alexander Meyer erneut gefordert sein. Zwar reiste Kobel am Montag mit der Mannschaft nach London, ein Einsatz der designierten künftigen Nummer 1 im Schweizer Nationalteam ist jedoch ungewiss.
Obwohl der Gegner am Wochenende sein Ligaspiel ebenfalls gewann (1:0 gegen Leeds), kommt das Duell gegen Chelsea für den BVB trotz des personellen Fragezeichens im Tor zu einem günstigen Zeitpunkt. Die Londoner tun sich seit dem Besitzerwechsel trotz aberwitzigen Millionen-Investitionen konstant schwer und liegen in der Premier League nur auf dem 10. Platz. Noch nie haben sie seit dem Jahreswechsel mehr als ein Tor in einer Partie erzielt.
In den letzten Wochen kursierte eine Collage mit Chelseas Trainer Graham Potter. Links ein Bild während seiner Tätigkeit bei Brighton, rechts eines nach seinen ersten Monaten bei Chelsea, mit deutlich mehr Falten im Gesicht, akzentuierten Tränensäcken und müdem Teint. Es wirkte, als wäre der 47-jährige Engländer in kurzer Zeit um Jahre gealtert.
Chelsea has done this to Graham Potter in the space of 4 months, free him. pic.twitter.com/vSwWKebvAa
— Rebekka (@rebekkarnold) January 13, 2023
Ja, was Graham Potter bei Chelsea vollbringen soll, ist Schwerarbeit. Als Nachfolger des hoch angesehenen und hoch geschätzten, aber nicht immer umgänglichen Thomas Tuchel hatte der vom neuen Geldgeber Tom Boehly zum Heilsbringer erkorene Potter von Anfang an einen schweren Stand. Der Amerikaner Boehly (mit dem Schweizer Milliardär Hansjörg Wyss im Hintergrund, dem Mitbesitzer des Käufer-Konsortiums) ist zwar ein überaus spendierfreudiger Investor. Allerdings fehlt ihm (noch) der Fussball-Sachverstand. Die mehr als 600 Millionen Euro, die als Ablösesummen für neue Spieler wie Wesley Fofana, Marc Cucurella, Raheem Sterling, Kalidou Coulibaly, Enzo Fernandez, Michailo Mudryk und João Felix flossen, haben ihre Wirkung vorerst verfehlt.
Die Zahlen sind schwindelerregend hoch, der sportliche Output bislang bescheiden. So steckt Chelsea in der Premier League nach zwei Dritteln der Saison als Tabellenzehnter im Mittelfeld fest und ist sowohl im FA Cup als auch im Ligacup im ersten Anlauf an Manchester City gescheitert. Den «Blues» bleibt somit nur noch die Champions League, um die Saison zu retten. (ram/sda)