Wer im selben Flieger sitzt wie Neymar, Messi und Suarez, ist schon einmal nah dran an den Stars. Und doch weit weg. Wer mit Barcelona B auf dem Fussballplatz neben Barcelona A trainiert und auf Iniesta, Piqué und Rakitic schielt, denkt: «Dort, mit diesen Grössen, will ich dereinst Fussball spielen.»
Alain Sutter hat ein Faible für junge Akteure, deren Karrieren ins Stocken geraten, deren Biografien wechselhaft sind. Solche Spieler sind seine Projekte, sie haben für den St. Galler Sportchef einen besonderen Reiz. Als Sutter noch selbst aktiv war, haben nicht wenige Aficionados ihn ähnlich gesehen, als besonders und reizvoll – und vielleicht auch als schwierig.
⚠️ Wir haben zwei Personalien zu vermelden:
— FC St.Gallen 1879 (@FCSG_1879) 30. Januar 2019
Stürmer Jérémy Guillemenot kommt von Rapid Wien in die #Ostschweiz und hat einen Vertrag bis Sommer 2021 unterschrieben.
Zudem hat Miro Muheim seinen Vertrag beim #fcsg um zwei Jahre bis zum Sommer 2021 verlängert. pic.twitter.com/nNqYp8ydD7
Jérémy Guillemenot galt mit 17 Jahren als eines der grössten Schweizer Talente, wenn nicht als grösstes. Der FC Barcelona, der ihn im Sommer 2016 in seine sagenumwobene Jugendabteilung «La Masia» holte, war mit diesem Urteil nicht allein. Auch der Schweizer Fussballverband SFV listete den Mittelstürmer als Footuro-Spieler auf, der nach all den Länderspielen mit den Nachwuchsauswahlen dereinst in der A-Nationalmannschaft aufzulaufen hat. Und Fredy Bickel hätte ihn damals gerne nach Bern geholt, wo er Sportchef war. Es gelang ihm erst im Sommer 2018, da längst in Diensten von Rapid Wien.
Auch in Wien lief vieles schief, wie schon in den Jahren zuvor. Knapp über 100 Minuten spielte Guillemenot bis zu seinem Transfer in die Ostschweiz. Obwohl ihm viele Spielminuten fehlen, kann er gewiss noch ein guter Fussballer werden. Hierfür aber müssen die nächsten Monate und Jahre gelingen, hierfür muss er unbedingt beim FC St. Gallen Fuss fassen. Sonst komme das nicht gut, sagt Bickel.
Guillemenot (sprich: «Schijemeno»), Sohn einer portugiesischen Lehrerin und eines französischen Bildtechnikers, wuchs wohl behütet in Genf auf. Einer Stadt, in der Sport nichts zähle, wie er sagt. Der Bub galt als etwas furchtsam und scheu. Auf dem Fussballplatz mit Servette aber, da war er ein anderer Mensch, frecher und aggressiver. Früh setzte Guillemenot alles auf die Karte Fussball, brach das Gymnasium nach einem Jahr ab. Später, in Barcelona, wo er in der Akademie von jetzt auf gleich das Leben eines Profis führte, war der Spagat zwischen seinem Sport und der Fachmittelschule ebenfalls zu gross; das fehlende Jahr will er noch nachholen.
Dabei hatte Guillemenot noch lange über das Angebot der Katalanen nachgedacht, das ihm so sehr schmeichelte. Die bodenständigen Eltern rieten von der Zusage ab, auch der Berater war nicht begeistert. «Aber wer kann so etwas Einmaliges von so einem einmaligen Klub ausschlagen?», fragt er. Rhetorisch. Und Servette zementierte den Ruf als Talentschmiede der Schweiz, da gab es ja schon Kevin Mbabu, Denis Zakaria, François Moubandje. Oder einst Philippe Senderos.
Bickel hat Guillemenot nie aus den Augen verloren. Auch als sich der Romand bei Barcelona B abmühte, beobachtete Bickel dessen Entwicklung aufmerksam. Vergangenen Sommer griff der Zürcher zu, als sich die Möglichkeit zu einem Transfer bot.
Bickel sagt: «Natürlich verdreht die Offerte eines Topklubs den Kopf eines jungen Spielers. Ich rate von solchen frühen Transfers ins Ausland ab, das kommt selten gut. Man ist dort Massenware, es herrscht ein Kommen und Gehen im Dutzend. Jérémy hätte besser den Schweizer Weg gewählt.» Tatsächlich stellt Johan Djourous Laufbahn, der als Jugendlicher zu Arsenal wechselte und es direkt schaffte, eine Ausnahme dar.
Aber auch bei Rapid fand Guillemenot den Tritt nicht. Genauso wenig wie sein neues Team. Als er die Hypothek des fehlenden Rhythmus endlich aufgeholt hatte, tauschte Bickel den Trainer. Doch Dietmar Kühbauer, der neue Mann an der Seitenlinie, vom Wesen her ein impulsiver Giftzahn, hielt wenig vom ruhigen Stürmer, der bald einmal als Fehleinkauf galt. Man passte und fand nicht mehr zueinander, St. Gallen und Sutter kamen da gerade recht.
Die Zeit mit Barcelona könne ihm niemand nehmen, sagt Guillemenot. Er sei auf dem Platz und in allen Dingen des Lebens so sehr gereift, wie er nirgends sonst hätte reifen können. «Und ja, Messi ist letztlich auch nur ein Mensch, er hat Füsse und Hände wie ich.» Noch sind Guillemenots Gedanken an frühere Tage oft präsent. Und wenn er zum Einschlafen klassische Musik hört, denkt er vielleicht auch ein wenig ans Jetzt, an St. Gallen, wo das einstige Wunderkind mit dem unschuldigen Blick das verloren gegangene Ich wiederfinden will.